Die Aussichten der rund 8.500 Menschen, die derzeit in Deutschland auf eine Organtransplantation warten, bleiben trüb, denn es fehlen nach wie vor Spenderorgane. In den letzten Jahren hat sich der Mangel sogar noch weiter verschärft. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) ist die Zahl der postmortalen Organspender und -spenderinnen in Deutschland seit 2018 um rund 10 % gesunken.1 Zwar ist 2023 ein leichter Aufwärtstrend gegenüber dem Vorjahr zu erkennen, doch die Lücke zwischen Angebot und Bedarf bleibt groß, insbesondere bei Nieren- und Herztransplantationen. So hatte nur etwa die Hälfte der 699 Patient:innen in Deutschland, die im letzten Jahr auf der Herztransplantationsliste standen, ein neues Spenderherz erhalten und 74 Patient:innen verstarben während der Wartezeit.1
„Wenn wir mehr Leben retten wollen, brauchen wir die
Widerspruchslösung“ – Holger Thiele, DGK-Präsident
Im europäischen Vergleich schneiden andere Länder deutlich besser ab: Auf dem ersten Platz liegt Spanien mit 46 Spendenden pro eine Million Einwohner:innen gegenüber nur 10 Spender:innen pro eine Million Einwohner:innen in Deutschland.2 Die Ursache ist naheliegend: Deutschland ist eines von wenigen Ländern innerhalb der EU ohne Widerspruchsregelung. Wenn nicht die Bereitschaft, sondern die Ablehnung der Organspende dokumentiert werden muss, könnten mehr Transplantationen realisiert werden. Die Einführung einer Widerspruchslösung wurde im Jahr 2020 durch den Deutschen Bundestag abgelehnt. Derzeit gibt es einen neuen Vorstoß mehrerer Bundesländer für einen Gesetzesentwurf zur Widerspruchslösung. Die Länderinitiative für mehr Organspenden wurde von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ausdrücklich begrüßt.3 Auch die herzmedizinischen Fachgesellschaften, allen voran DGK und DGTHG (Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V.), machen sich schon seit Jahren stark für mehr Organspenden und forderten erst Anfang dieses Jahres die Bundesregierung auf, die Widerspruchslösung erneut zur Abstimmung zu bringen.4
Die Transplantation bleibt der Goldstandard bei
terminaler Herzinsuffizienz
Etwa 2,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden derzeit unter einer chronischen Herzinsuffizienz mit steigender Tendenz. Seit über 10 Jahren ist die Herzinsuffizienz der häufigste Grund für einen Krankenhausaufenthalt.5 Die Prognose der Herzinsuffizienz ist mit einer durchschnittlichen 5-Jahres-Überlebensrate von 50 % sehr ungünstig und vergleichbar mit Krebserkrankungen.6 Trotz der Fortschritte in der medikamentösen Therapie bleibt die Transplantation die einzige langfristige Option für Betroffene mit terminaler Herzinsuffizienz. Laut ESC- und DGK-Pocket-Leitlinie besteht eine Indikation zur Herztransplantation bei chronischer Herzinsuffizienz im Endstadium unter Ausschöpfung aller konservativen Therapiemaßnahmen.7-9
Tabelle: Indikationen und Kontraindikationen für die Herztransplantation (modifiziert nach Schulze et al. 2022)
Neues Leben mit dem Spenderherz
Die Prognose für Herztransplantierte ist sehr gut, nicht zuletzt durch die Weiterentwicklungen der immunsuppressiven Therapie: Etwa 60 % der Menschen leben 10 Jahre und länger mit einem Spenderherzen. Das mediane Überleben nach einer Herztransplantation beträgt derzeit 12,5 Jahre mit steigender Tendenz. Auch die Lebensqualität ist exzellent: Über 90 % der Menschen mit einem neuen Herzen sind auch im Langzeitverlauf gar nicht oder nur gering eingeschränkt.10 Herztransplantationen könnten somit viele junge Leben retten. Denn die Menschen, die auf ein Spenderherz warten, sind zum größten Teil jünger als 55 Jahre und bei rund 10 % handelt es sich um Kinder oder Jugendliche im Alter unter 15 Jahren.11
Mindestmenge: 10 Transplantationen
pro Jahr
In Deutschland wurden im Jahr 2022 an 18 Krankenhausstandorten Herztransplantationen vorgenommen. Um die Erfolgsaussichten der komplexen Prozedur weiter zu verbessern, legte der G-BA vor kurzem eine jährliche Mindestmenge von 10 Transplantationen pro Krankenhausstandort ab dem Jahr 2026 fest.12 Die DGK und die DGTHG begrüßten diese Entscheidung, damit der anspruchsvolle Eingriff und die aufwendige Nachbehandlung nur durch die routiniertesten Expert:innen erfolgt (DGK- und DGTHG-Pressemeldung).13 Mit der neuen Mindestmenge von 10 pro Jahr bleiben voraussichtlich 11 Krankenhausstandorte bestehen (siehe Abbildung).1 Das mit Abstand größte Herztransplantationszentrum in Deutschland ist das Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen, mit 96 Herztransplantationen im Jahr 2022 und mehr als 2.700 transplantierten Herzen seit 1989.
Abbildung: Herztransplantationen in Deutschland im Jahr 2022 laut Angaben der DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation)
Kunstherzen – kein langfristiger Ersatz
Aufgrund des Organmangels dauert das Warten auf eine Herztransplantation in der Regel in Deutschland mehrere Monate – zu lang für einige schwerkranke Betroffene. Permanent implantierbare Unterstützungssysteme bieten daher eine unverzichtbare Alternative, um die Wartezeit zu überbrücken. Bei den permanent implantierbaren Systemen wird grundsätzlich zwischen ventrikulären Unterstützungssystemen (Ventricular Assist Devices, VAD) und Kunstherzen (Total Artificial Heart; TAH) unterschieden. Das derzeit einzig verfügbare parakorporale VAD-System ist das EXCOR®-System, eine mit Druckluft angetriebene Verdrängungspumpe, die einen pulsatilen Blutfluss generiert. Als vollständige Kunstherzen (TAH) stehen in Deutschland derzeit nur 2 Systeme zur Verfügung: Das Syncardia TAH® als biventrikuläre, intrakorporale druckluftangetriebene Verdrängungspumpe und das neuere Carmat TAH® Kunstherz, das erst seit 2021 zugelassen ist. Für das Syncardia TAH® wurde eine 2-Jahres-Überlebensrate von 34 % angegeben.14 In den letzten Jahren sind in Deutschland nur vereinzelte TAH-Implantationen erfolgt.15 Eine VAD- oder TAH-Therapie kommt derzeit nur als Überbrückung der Wartezeit bis zu einer Herztransplantation in Betracht und stellt derzeit keine langfristige Alternative zum Spenderherz dar.
Xenotransplantation – zweiter Mensch gestorben
Im Rahmen eines Xenotransplantationsprogramms wurden bisher bei 2 Menschen genetisch modifizierte Schweineherzen an der Universitätsklinik Maryland, Baltimore, USA transplantiert: im Jahr 2022 bei einem 57-jährigen und 2023 bei einem 58-jährigen männlichen Patienten. Der erste Empfänger überlebte rund 2 Monate und der zweite Empfänger gut einen Monat mit dem Ersatzorgan.16 Auch in Deutschland wird intensiv an der Xenotransplantation geforscht: Das Team um den Münchener Herzchirurgen Bruno Reichart plant nach eigenen Angaben mit der Realisierung der ersten Schweineherztransplantation beim Menschen im Jahr 2024.17 Ob die Xenotransplantation zukünftig eine Überbrückung oder eine Alternative zum menschlichen Spenderorgan darstellen kann, wird sich wohl erst in einigen Jahren zeigen.
80 % der Deutschen befürworten die Organspende
Die rund 700 schwerkranken Menschen, die derzeit auf der Herztransplantationsliste in Deutschland stehen, können nicht auf zukünftige medizinische Fortschritte warten. Daher werden dringend mehr Spenderorgane benötigt – da sind sich alle Fachgesellschaften und Patientenverbände einig. Auch 80 % der Bevölkerung in Deutschland befürworten eine Organspende, wie eine bundesweite Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Jahr 2022 ergab.18 Um den Menschen mit terminaler Herzinsuffizienz eine Perspektive zu geben, ist die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland dringend erforderlich.
Referenzen