Wer ist überhaupt „Leistungssportler“?

Der Begriff „Leistungssportler“ wird in der Presse und Fachpublikationen oft leichtfertig verwendet. Doch es ist wichtig, den Begriff genauer zu definieren – denn sonst kann es zu Fehlschlüssen kommen.

Von Jürgen Scharhag , Martin Halle

 

13.02.2018

Mögliche sportinduzierte kardiale Schädigungen bei Leistungssportlern sind in den letzten Monaten erneut vermehrt in wissenschaftlichen Publikationen und in der Presse diskutiert worden. 

 

Aktuell werden dazu immer wieder Studien in hochrangigen kardiologischen Journalen publiziert und in Internetforen thematisiert. Beispielsweise wurden Befunde eines kernspintomografischen myokardialen Late Gadolinum Enhancements bei 9 von 54 (17%) männlichen Triathleten im Alter von 44 ± 10 Jahren mit einer maximalen Sauerstoffaufnahme von 55 ± 9 ml/min/kg und Trainingsumfängen von mindestens 10 Stunden pro Woche publiziert, die einer früheren Untersuchung an höher trainierten Ausdauersportlern ähnlichen Alters widersprechen. 

 

Weitere aktuelle Beispiele sind Berichte über eine vermehrte Koronarverkalkung bei Sportlern oder körperlich „hoch-aktiven“ Personen im mittleren Alter um 55 Jahre, die gelegentlich zu Interpretationen führen, dass „Leistungssportler mehr Koronarverkalkungen haben“.

Erster Vorschlag für eine Definition

Von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die korrekte Verwendung des Begriffs „Leistungssportler“ (in internationalen Publikationen häufig als „athletes“ bezeichnet). Zur adäquaten Einordnung und Übertragbarkeit auf entsprechende Sportlerkollektive ist hierbei die bestmögliche Charakterisierung der leistungsphysiologischen und trainingsanamnestischen Basisdaten eine „conditio sine qua non“, da sonst weder Autoren noch Leser wissen, über welches Kollektiv sie tatsächlich schreiben bzw. lesen. In klinischen Publikationen ist eine gute Charakterisierung Standard. In sportkardiologischen Veröffentlichungen ist diese noch verbesserungswürdig. 

 

Deshalb wurde 2016 ein erster Vorschlag zur Definition des Begriffes „Athlete“ bzw. Leistungssportler für wissenschaftliche Forschung auf medizinischem und gesundheitswissenschaftlichem Gebiet verfasst.

 

Bei der Beschreibung von Sportlerkollektiven mit dem Anspruch „Leistungssport“ sind bestimmte Aspekte zu berücksichtigen.

 

  • Basis des Leistungssports ist die regelmäßige, in der Regel mindestens überregionale Wettkampfteilnahme verbunden mit der Mitgliedschaft in einem Sportverein oder -verband. Hierbei sollte eine Unterscheidung zwischen Weltklassesportler bzw. Olympiasportler, nationalem Elitesportler und beginnendem Leistungssportler mit kürzerer Trainings- und Wettkampfhistorie erfolgen.
  • Zusätzlich sollte das Niveau der sportlichen Leistungen (Bestleistungen, Platzierungen) einschließlich physiologischer Kenngrößen der körperlichen Leistungsfähigkeit angegeben werden.
  • Wichtig sind außerdem Angaben zur Trainingsanamnese.
  • Des Weiteren muss zwischen Jugendsportler, jüngerem Erwachsenensportler im typischen Leistungssportalter von 18 bis 35 Jahren und älterem Erwachsenensportler (sog. Masterathleten) differenziert werden.

 

Letzteres ist deshalb von wesentlicher Bedeutung, als dass mit zunehmendem Lebensalter vermehrt auftretende Erkrankungen zu Fehlinterpretationen führen können, wenn die Befunde unkritisch auf Leistungssportler unterhalb von 35 Jahren übertragen werden. Beispielhaft ist der plötzliche Herztod im Sport zu nennen, da bei älteren Sportlern die koronare Herzkrankheit die häufigste Ursache ist, in der Altersgruppe unter 35 Jahren hingegen Kardiomyopathien bzw. angeborene Herzerkrankungen die häufigsten Ursachen sind.

Beispiele für „falsche“ Begriffsverwendung

In einigen sportkardiologischen Publikationen werden Probanden als Leistungssportler bezeichnet, ohne dass diese die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Eine Übertragbarkeit auf ein typisches leistungssportliches Klientel ist bestenfalls mit Einschränkung möglich. Außerdem sollte berücksichtigt werden, dass manche Masterathleten erst im mittleren Lebensalter mit Wettkampfsport begonnen und bis dahin nicht selten einen ungesunden Lebensstil gepflegt haben.

 

Beispielsweise finden sich in den Studien zur Koronarverkalkung bei (älteren) Sportlern bzw. körperlich Aktiven im Vergleich zu (jüngeren) Hochleistungssportlern überproportional viele (Ex-) Raucher. Als Erklärung für kardiale Fibrosen bei Sportlern werden gerne tierexperimentelle Befunde angeführt, deren Belastungen jedoch nicht auf den Menschen übertragbar sind. Würde man beispielsweise die Trainingsintensitäten der “Marathonratten“ der Studie von Benito et al. auf den Menschen übertragen, müsste ein Ausdauersportler zehn Jahre fünfmal pro Woche jede Trainingseinheit kontinuierlich mit ca. 90% seiner maximalen Herzfrequenz absolvieren. Diesen Sportler gibt es nicht und wird es auch nicht geben.

Definition Leistungssportler

1. Basiskriterien: Sportart; Teilnehmer an Olympischen Spielen, internationalen und nationalen Meisterschaften oder anderen überregionalen Wettkämpfen, Mitglied in einem Sportverein oder -verband

 

2. Leistungsniveau: Bestleistungen, Platzierungen, maximale ergometrischen Leistungsfähigkeit, maximalen Sauerstoffaufnahme oder leistungsphysiologischen Schwellenwerte (z. B. Laktatschwellen, spiroergometrische Schwellen)

 

3. Trainingsanamnese: Dauer (Jahre Leistungssport), Umfang (z.B. Stunden pro Woche), Intensität (z.B. MET).

 

4. Altersgruppen: Jugendliche (12-17 Jahre), jüngere Erwachsenensportler (typisches Leistungssportalter 18-35 Jahre), ältere Sportler (Masterathleten; >35 Jahre).

 

Generell sollten Studienergebnisse aus kleinen, häufig selektionierten Sportlerkollektiven vorsichtig interpretiert und nicht vorschnell durch die Medien verallgemeinert werden. Selbst wenn auffällige Befunde im niedrig zweistelligen Prozentbereich von Relevanz sind und durch weitere Studien abgeklärt werden müssen, ist zu bedenken, dass bei der überwiegenden Mehrheit der untersuchten Sportler keine Schädigungen vorliegen.

Leistungssport scheint dem Herzen nicht zu schaden

Das härteste Kriterium, ob etwas schadet, ist die Lebenserwartung. Epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass frühere Leistungssportler, insbesondere Ausdauersportler, länger leben als Normalpersonen.  

 

Beispielsweise lebten 15.000 olympische Medaillengewinner im Mittel knapp drei Jahre länger als gematchte Kontrollen aus der Normalbevölkerung. Knapp 800 französische Radrennfahrer, die seit 1947 an der Tour de France teilnahmen, lebten sogar sechs Jahre länger als die Durchschnittsbevölkerung. Auch wenn Selektionskriterien wie genetische Faktoren nicht ausgeschlossen werden können, spricht doch einiges dafür, dass professioneller Hochleistungssport kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko darstellt. 

 

Dennoch sind im Kontext bisheriger Querschnittsstudien an Sportlern mittleren Lebensalters, die über mögliche kardiale Schäden berichten, prospektive Längsschnittstudien notwendig, um verlässlich das kardiovaskuläre Risiko von Leistungssport beurteilen zu können.


Literatur

Tahir E, Starekova J, Muellerleile K, et al. Myocardial Fibrosis in Competitive Triathletes Detected by Contrast-Enhanced CMR Correlates With Exercise-Induced Hypertension and Competition History. JACC Cardiovasc Imaging. 2017; E-pub ahead of print.

 

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Schlimpert V. Leistungssportler haben mehr Koronarverkalkung [Internet]. kardiologie.org. 2017 [cited 2018 Jan 7];:1–3. Available from: https://www.kardiologie.org/herz-und-sport/leistungssportler-haben-mehr-koronarverkalkung/12286984

 

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Möhlenkamp S, Lehmann N, Breuckmann F, et al. Marathon Study Investigators, Heinz Nixdorf Recall Study Investigators. Running: the risk of coronary events : Prevalence and prognostic relevance of coronary atherosclerosis in marathon runners. Eur Heart J. 2008;29:1903–1910.

 

Benito B, Gay-Jordi G, Serrano-Mollar A, et al. Cardiac Arrhythmogenic Remodeling in a Rat Model of Long-Term Intensive Exercise Training. Circulation. 2011;123:13–22.

 

 Clarke PM, Walter SJ, Hayen A, et al. Survival of the fittest: retrospective cohort study of the longevity of Olympic medallists in the modern era. Br J Sports Med. 2015;49:898–902.

 

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