Supervised Learning, Golden Hour und innovative Intensiv-Versorgung

 

DGK Herztage 2024 | Pressekonferenz: Wie verändert Künstliche Intelligenz die Rhythmologie? Gehört die Intensivmedizin in die Kardiologie? Was wird für die „Golden Hour of ROSC“ beim plötzlichen Herztod gebraucht? Im Rahmen der DGK Herztage referierten die drei Tagungspräsidenten von Deutsche Rhythmus Tage, Kardiologie Aktuell und AGIK Live zu zentralen Themen der Kongresse.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

27.09.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Sina Ettmer Photography / Shutterstock.com

Die Tagungspräsidenten und DGK-Pressesprecher Prof. Michael Böhm auf der Pressekonferenz der DGK Herztage 2024. Die Tagungspräsidenten und DGK-Pressesprecher Prof. Michael Böhm auf der Pressekonferenz der DGK Herztage 2024. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

Künstliche Intelligenz in der Rhythmologie

 

Prof. Thomas Arentz, Tagungspräsident Deutsche Rhythmus Tage, veranschaulichte die rasante Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), die erhebliche Potenziale auch und besonders für die Rhythmologie bietet. EKG-Daten mit ihren rund 120.000 Datenpunkten liefern eine hervorragende Basis für KI-Analysen, die sogar die Fähigkeiten erfahrener Kardiologinnen und Kardiologen übertreffen können. So führte Arentz als ein bemerkenswertes Beispiel eine KI der Mayo Clinic an, die 2021 aus normalen Sinusrhythmen nicht nur Vorhofflimmern, sondern auch Parameter wie Alter, Geschlecht, Hämoglobin- und Kaliumwerte bestimmen konnte. Eine Studie aus 2019 zeigte zudem, dass KI mittels Deep Learning die Pumpfunktion des linken Herzens mit herausragender Genauigkeit vorhersagen kann (Area under the curve, AUC = 0,93).


Die beeindruckenden Ergebnisse beruhen jedoch auf Unsupervised Learning, einer selbstständigen Mustererkennung durch die KI, was die Ergebnisermittlung nicht nachvollziehbar und damit zur Black Box macht, gab Arentz zu bedenken. Supervised Learning, das gezielte Training einer KI durch Spezialistinnen und Spezialisten, ermöglicht transparentere Resultate, limitiert aber auch das Potenzial.

Prof. Thomas Arentz, Tagungspräsident Deutsche Rhythmus Tage. Prof. Thomas Arentz, Tagungspräsident Deutsche Rhythmus Tage. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

Bereits zugelassen ist das KI-basierte VOLTA-Mapping bei Vorhofflimmern. Hierbei analysiert die KI in Echtzeit die EKG-Daten eines Multi-Elektroden-Katheters zur Erstellung eines 3D-Modells. Auf dieser Grundlage identifiziert die KI mit hoher Genauigkeit die Ablations-bedürftigen Stellen im Vorhof. Arentz verwies auf Studien wie die randomisierte TAILORED-AF-Studie, die bei VOLTA-Mapping eine geringere Vorhofflimmer-Rezidivrate nachwiesen.


Es sind weitere bedeutende KI-Fortschritte in vielen rhytmologischen Bereichen zu erwarten. Arentz nennt als Beispiele die Identifikation neuer Muster und Merkmale, die Verbesserung der Arrhythmie-Detektion und -Klassifikation sowie die Risiko-Stratifizierung, das Remote-Monitoring und die personalisierte Behandlung.


Die KI-Anwendung wirft jedoch auch ethische Fragen auf: Der Tagungspräsident plädiert für nachvollziehbare Algorithmen im Sinne eines Supervised Learnings, um die Sicherheit medizinischer Entscheidungen in verschiedenen Kontexten gewährleisten zu können und Akzeptanz zu schaffen: „Erklärbare KI priorisiert Transparenz und Transparenz schafft Vertrauen, das für eine breite Akzeptanz von KI-Lösungen erforderlich ist.“

Intensivmedizin und Kardiologie

 

Prof. Marcus Hennersdorf, Tagungspräsident Kardiologie Aktuell, erklärt, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen für fast die Hälfte der Fälle auf Intensivstationen verantwortlich sind. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kardiologie und Intensivmedizin ist daher unerlässlich, so Hennersdorf. Innovative Technologien wie ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung) und Impella-Pumpen können die Überlebenschancen bei kardiogenem Schock verbessern, bergen aber auch Risiken wie schwere Blutungen, weshalb eine hohe interdisziplinäre Expertise gefragt ist. In der ECLS-SHOCK-Studie (2023) zeigte sich, dass nicht alle Schock-Patientinnen und Patienten von einer VA-ECMO profitieren. In der DanGer-Studie (2024) verbesserte der Impella-Einsatz die Überlebenschancen um 26 %.


Als große Herausforderung beim Thema Reanimation sieht Hennersdorf die weiterhin hohe Mortalitätsrate bei plötzlichem Herzstillstand, insbesondere bei Fällen außerhalb des Krankenhauses. Neben der Optimierung der Rettungskette beispielsweise durch schnellere Reaktionszeiten stellen Reanimationshilfen wie das Lucas®-System einen vielversprechenden Ansatz dar, so Hennersdorf, um durch Automatisierung die Qualität zu verbessern und das medizinische Personal zu entlasten.

Prof. Marcus Hennersdorf, Tagungspräsident Kardiologie Aktuell Prof. Marcus Hennersdorf, Tagungspräsident Kardiologie Aktuell. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

Bei der postreanimationsmedizinischen Versorgung verweist Hennersdorf auf das CARL-System (Controlled Automatic Reperfusion of the Whole Body). Neben der Kontrolle des O2- und CO2-Gehalts im Blut sorgt das System für eine schnelle Kühlung und einen pulsierenden Blutfluss, um Folgeschäden zu minimieren. Für den Wirksamkeitsnachweis bedarf es jedoch noch weiterer Studien.
Eingespielte interdisziplinäre Teams sind entscheidend, sagt der Tagungspräsident, um von fortschrittlichen Technologien zu profitieren. Schulungsprogramme und Zertifizierungen wie von der DGK tragen zur Verbesserung der Versorgung bei. Insgesamt kann durch die enge Verknüpfung von Expertise, strukturellen Verbesserungen und innovativen Technologien eine optimierte Patientenversorgung erreicht werden, so Hennersdorf.

Plötzlicher Herztod – das braucht es für die „Golden Hour of ROSC“

 

Ein Herzstillstand kann unerwartet jede Person treffen, wie Prof. Alexander Ghanem, Tagungspräsident AGIK Live, an Vorfällen wie bei den Profi-Fußballspielern Christian Eriksen und Abdelhak Nouri verdeutlicht. Dabei zählt jede Minute: Während Eriksen durch rasche Reanimation gerettet wurde, führte eine verzögerte Erstversorgung bei Nouri zu schweren, irreversiblen Hirnschäden.


Schnelle Erste Hilfe vor Ort kann über Leben und Tod entscheiden, so Ghanem, weshalb der Laienreanimation eine besondere Bedeutung zukommt. In Deutschland liegt die Laienreanimationsquote bei nur etwa 40–50 %, während sie zum Beispiel in skandinavischen Ländern über 80 % beträgt. Die Bundesärztekammer stuft die Verbesserung der Laienreanimationsquote als wichtigsten Punkt zur Verbesserung der notfallmedizinischen Versorgung ein, betont der Tagungspräsident.

 

Die „Golden Hour of ROSC“ (Return of Spontaneous Circulation) bezeichnet das kritische Zeitfenster von etwa einer Stunde, in der alle wichtigen Maßnahmen abgeschlossen sein sollten, um die Überlebenschancen nach einem Herzstillstand zu maximieren. Dazu gehört die Erstversorgung vor Ort, der Transport ins Krankenhaus und – in schwereren Fällen – der Anschluss des Patienten an eine Herz-Lungen-Maschine (extracorporeal Cardiopulmonary Resuscitation, eCPR). Studien zeigen, dass die Erfolgsaussichten von eCPR stark davon abhängen, wie schnell die Betroffenen angeschlossen werden. Dies sollte innerhalb von 60 Minuten erfolgen, sagt Ghanem.

Prof. Alexander Ghanem, Tagungspräsident AGIK Live Prof. Alexander Ghanem, Tagungspräsident AGIK Live. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

Die Versorgungslage in Deutschland ist sehr heterogen. In einer vorgestellten Umfrage der Arbeitsgruppe Interventionelle Kardiologie (AGIK) der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) unter 90 spezialisierten Zentren wurde deutlich, dass es je nach Region starke Unterschiede gibt. In manchen Regionen ist die nächste Klinik, die eCPR anbietet, nur wenige Kilometer entfernt, in anderen beträgt die Distanz über 100 Kilometer. Zudem haben ein Drittel der befragten Zentren keine Kapazitäten, um Betroffene rund um die Uhr zu versorgen. Mehr als ein Drittel bietet keine 24/7-eCPR an. Eine zentrale Herausforderung ist daher, so Ghanem, die Betroffenen schnell und effizient auf die verfügbaren eCPR-Kapazitäten zu verteilen.


Weitere Ansätze zur Verbesserung der Versorgung bei Herzstillstand sind beispielsweise, dass Notärzte schnell Verstärkung anfordern können, etwa bei schwer erreichbaren Betroffenen. Zudem wäre eine optimierte Verteilung der eCPR-Systeme vorteilhaft.


Abschließend formuliert der Tagungspräsident drei Appelle – an die Laien: „Prüfen, rufen, drücken.“ Schnelles Handeln rettet Leben. An die Ärztinnen und Ärzte: Vor Ort in den Kliniken Strukturen zu schaffen, ähnlich der Schlaganfallversorgung und früh die eCPR-Indikation zu prüfen. Außerdem an die Politik zu helfen, um eine strukturierte Versorgung zu ermöglichen. „Die Golden Hour ist möglich!“

Frau Anette Anton zu Gast bei der Pressekonferenz der DGK Herztage 2024. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss Frau Anette Anton zu Gast bei der Pressekonferenz der DGK Herztage 2024. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

Ein besonderer Moment: Frau Anette Anton war als Gast zur Pressekonferenz eingeladen. Sie hatte kurz vor Weihnachten 2022 einen Herzstillstand erlebt und dank der Reanimationsmaßnahmen überlebt. Sie berichtete von ihren persönlichen Erfahrungen und möchte mit ihrer Geschichte Mut machen.


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