Troponin: Point-of-Care-Testing vs. Zentrallabor

 

ESC-Kongress 2024 | WESTCOR-POC: Die große Zahl von Patientinnen und Patienten, die sich mit dem Verdacht auf ein Koronarsyndrom vorstellen, stellt weltweit eine große logistische Herausforderung für viele Notaufnahmen dar. Ein neuer hochsensitiver Troponinassay erlaubt als Point-of-care-Test (POCT) nun die Bestimmung von hs-cTnI aus einem Bluttropfen innerhalb von 8 Minuten. Die WESTCOR-POC-Studie untersuchte in einer randomisierten Studie die Effektivität und Sicherheit gegenüber dem im Zentrallabor etablierten hs-cTnT-Test.

Von:

Prof. Evangelos Giannitsis

Universitätsklinikum Heidelberg

 

12.09.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Iakov Kalinin / Shutterstock.com

Nur ein Bruchteil der Patientinnen und Patienten, die sich mit dem Verdacht eines akuten Koronarsyndroms in einer Notaufnahme vorstellen, erhalten nach Abschluss der Diagnostik die Diagnose eines akuten Koronarsyndroms mit entsprechender Therapie. Die Mehrzahl der Personen kann nach ausreichender Diagnostik nach Hause entlassen werden. Die hohe Zahl der Personen insgesamt sowie die begrenzte Verfügbarkeit von Überwachungsmöglichkeiten und Fachpersonal stellt für viele Krankenhäuser eine große Herausforderung dar, eine Situation, die als „overcrowding“ bezeichnet wird. In den letzten Jahren konnte die Diagnose durch die Einführung der hochsensitiven Troponine verbessert und durch die zunehmende Anwendung schneller diagnostischer Algorithmen auch beschleunigt werden. Die ESC Guidelines empfehlen dabei einen Algorithmus, der eine Troponinbestimmung zum Zeitpunkt der Aufnahme (0 h) und eine zweite Messung innerhalb von 60–180 Minuten (ESC 0/1 h, ESC 0/2 h oder ESC 0/3 h) vorsieht.

 

Die Messung hochsensitiver Troponine war bislang – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur im Zentrallabor möglich. Um Zeitverluste von der Blutentnahme bis zur Ergebnismitteilung zu reduzieren, wurden allerdings eine strenge Zeitvorgabe für die sog. „Turnaround Time“ (TAT), d. h. der Zeit zwischen Blutentnahme und Ergebnismitteilung, gesetzt. Viele Krankenhäuser sind allerdings nicht in der Lage dieses Zeitfenster von maximal 60 Minuten einzuhalten. Diese Limitation soll jetzt durch die zunehmende Einführung hochsensitiver patientennaher „point-of-care“ (POC) Troponintests überwunden werden.    

Beim diesjährigen ESC-Kongress in London wurde jetzt die monozentrische WESTCOR-POC-Studie aus Norwegen vorgestellt. In dieser Studie wurde die Effektivität eines neuen hochsensitiven POCT hinsichtlich der Länge des Notaufnahmeaufenthalts (primärer Effektivitätsendpunkt) sowie die Sicherheit des Protokolls (sekundäre Endpunkte) mit der Standarddiagnostik im Zentrallabor verglichen.

Methodik der WESTCOR-POC-Studie

 

Die WESTCOR-POC-Studie ist eine randomisierte Studie an 1.494 Patientinnen und Patienten, die mit dem Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom an einem einzigen Zentrum in Norwegen rekrutiert wurden. Die Personen wurden entweder auf den neuen hochsensitiven Troponin-I-Test, der innerhalb von 8 Minuten durch ein POC-Gerät messbar war, oder auf den hochsensitiven Troponin-T-Test des Zentrallabors randomisiert. Beide Gruppen verwendeten den von den ESC-Leitlinien empfohlenen 0/1-h-Algorithmus. Als primärer Endpunkt und Surrogat der Effektivität wurde die Dauer des Aufenthalts in der Notaufnahme gewählt. Zusätzlich wurde ein kombinierter Sicherheitsendpunkt bestehend aus Tod, Myokardinfarkt oder einer akuten Koronarrevaskularisation innerhalb von 30 Tagen als sekundärer Endpunkt gewählt. Patientinnen und Patienten mit einem ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) oder fehlender Messung des initialen Troponins wurden ausgeschlossen.

POCT: Verkürzung der Verweilzeit in der Notaufnahme bei vergleichbarer Sicherheit

 

Die mediane Aufenthaltsdauer in der Notaufnahme wurde um 6 Minuten verkürzt (174 min für POCT vs. 180 min für Standardstrategie). Ein größerer Zeitgewinn von 15 min zugunsten der POCT ergab sich, wenn Patientinnen und Patienten innerhalb von 60 min vom ärztlichen Personal gesehen wurden. Gleichermaßen verkürzte sich die mittlere Aufenthaltsdauer um 43 min, wenn ein Herzinfarkt ohne ST-Streckenhebungen im EKG (NSTEMI) diagnostiziert wurde. Die Rate an Entlassungen war vergleichbar, ohne dass Zahlen genannt wurden.


Die gesamte Verweildauer im Krankenhaus war in beiden Gruppen vergleichbar (21 Stunden für POCT vs. 20 Stunden für Standardstrategie). Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten wurde durch den POCT nicht beeinträchtigt. So lag die Gesamtrate des kombinierten Sicherheitsendpunkts innerhalb von 30 Tagen bei 11,4 % für den POCT im Vergleich zu 9,4 % für die Standardstrategie. Ereignisse, die innerhalb von 30 Tagen nach Entlassung auftraten, waren in beiden Gruppen selten (0,8 % für POCT vs. 0,5 % für Standardstrategie).  

POCT konnte volles Potential nicht zeigen

 

Der primäre Endpunkt „Dauer des Notaufnahmeaufenthalts“ als alleiniger Endpunkt ist weich und hängt stark von der Infrastruktur des Krankenhauses ab. Angaben, ob und wie intensiv die weitere Diagnostik, z. B. mittels Echokardiographie, radiologischer Diagnostik, invasive Koronardiagnostik während des Aufenthalts oder nach Entlassung war, fehlen. Die fehlende Standardisierung der beiden Troponin-Tests (hs-cTnI am POC und hs-cTnT im Zentrallabor) erlaubt keinen Vergleich der diagnostischen Performanz. Somit war die Zahl diagnostizierter oder unerkannter Herzinfarkte mit dem jeweiligen Test nicht Bestandteil des Studienprotokolls. Große Unterschiede ergaben sich auch hinsichtlich der Kategorisierung in die Triagekategorien „rule-out“ (38,6 % für POCT vs. 64,1 % für Standardstrategie) und „observe zone“ (51,1 % für POCT vs. 28 % für Standardstrategie). Auch war die Fallzahl der Studie zu klein und die Nachbeobachtungszeit zu kurz, um einen aussagekräftigen Vergleich der Sicherheit beider Testmethoden zu ermöglichen.

Fazit des Forschungsteams

 

Die Ergebnisse veranschaulichen das große Potential, welches neue hochsensitive Point-of-care-Tests haben können. Als problematisch wurde von den Autorinnen und Autoren der Vergleich von hs-cTnI und hs-cTnT sowie das Fehlen validierter Cut-off-Werte für den verwendeten Assay angesehen. Allerdings wurden durch die Studie auch Systemschwächen des Krankenhauses wie z. B. die knappe Personalausstattung, fehlende Bettenkapazitäten und das Fehlen effektiver Entlassungsstrategien aufgedeckt.

Kommentar

 

Die neuen hochsensitiven Troponinassays für den patientennahen Einsatz sind einfach in der Handhabung und liefern Messergebnisse in 8 Minuten. Sie besitzen ein hohes Potential für Patientinnen und Patienten, die sich mit dem Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebungen im EKG vorstellen und können die Verweildauer in der Notaufnahme reduzieren. Gleichzeitig ergibt sich kein Sicherheitsrisiko durch die POC-Diagnostik im Vergleich zum bisherigen Standard. Ob sich diese Vorteile in der klinischen Realität auch in eine frühere Therapie oder ein effektiveres Management der Betroffenen umsetzen lassen, bleibt allerdings noch offen.

 

Die Verkürzung der Aufenthaltsdauer von im Mittel nur 6 Minuten, ohne sonstige Auswirkungen auf die Einleitung therapeutischer Maßnahmen, Auswirkungen auf das Timing der invasiven Diagnostik, oder der Rate an Direktentlassungen aus der Notaufnahme ist nicht ausreichend, um eine grundlegende Umstellung des bisherigen Laborstandards auf POCT zu begründen. Die hochsensitiven POCT sind personal- und kostenintensiver als die Messung im Zentrallabor und können gerade in Zeiten eines Mangels an medizinischem Personal ein Problem darstellen. Aus meiner Sicht dürften hochsensitive POCT vor allem dort das größte Potential haben, wo derzeit keine oder nur zeitlich eingeschränkt hs-cTn-Messungen im Zentrallabor durchgeführt werden können. 

Zum Autor

Prof. Evangelos Giannitsis

Prof. Evangelos Giannitsis ist Oberarzt und Leiter der Chest Pain Unit an der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf kardialen Biomarkern und kardialer Bildgebung. Bei der DGK ist er als stellv. Sprecher der AG 44 Akuter Thoraxschmerz tätig. (Bildquelle: studioSALT / WhangGueBeck)


Referenzen

 

  • Thulin V. WESTCOR-POC – Point of care versus centralized high-sensitivity cardiac troponin in the emergency department. Speakerin, Hot Line 12, ESC-Kongress 2024, London.
  • Collet JP, Thiele H, Barbato E, Barthélémy O, Bauersachs J, Bhatt DL, Dendale P, Dorobantu M, Edvardsen T, Folliguet T, Gale CP, Gilard M, Jobs A, Jüni P, Lambrinou E, Lewis BS, Mehilli J, Meliga E, Merkely B, Mueller C, Roffi M, Rutten FH, Sibbing D, Siontis GCM; ESC Scientific Document Group. 2020 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation. Eur Heart J. 2021 Apr 7;42(14):1289-1367. doi: 10.1093/eurheartj/ehaa575.
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  • Giannitsis E, Frey N, Katus HA. Accelerated high sensitivity troponin diagnostics: ready for an even faster pace? Eur Heart J. 2024 Jul 21;45(28):2516-2518. doi: 10.1093/eurheartj/ehae344. PMID: 38860689.
  • Cullen L, Collinson PO, Giannitsis E. Point-of-care testing with high-sensitivity cardiac troponin assays: the challenges and opportunities. Emerg Med J. 2022 Nov;39(11):861-866. doi: 10.1136/emermed-2021-211907. Epub 2022 Jan 11. PMID: 35017187; PMCID: PMC9613856.
  • Katus H, Ziegler A, Ekinci O, Giannitsis E, Stough WG, Achenbach S, Blankenberg S, Brueckmann M, Collinson P, Comaniciu D, Crea F, Dinh W, Ducrocq G, Flachskampf FA, Fox KAA, Friedrich MG, Hebert KA, Himmelmann A, Hlatky M, Lautsch D, Lindahl B, Lindholm D, Mills NL, Minotti G, Möckel M, Omland T, Semjonow V. Early diagnosis of acute coronary syndrome. Eur Heart J. 2017 Nov 1;38(41):3049-3055. doi: 10.1093/eurheartj/ehx492. PMID: 29029109.

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