Quick Dive: Konsensus zu Ethik bei ECLS

 

In unserer Reihe "Quick Dive" stellen die Autorinnen und Autoren von Publikationen medizinischer Fachgesellschaften prägnant die wichtigsten Hintergründe und Inhalte der jeweiligen Veröffentlichung vor. Dieses Mal wird eingetaucht in:

 

Ethische Aspekte im Rahmen von extrakorporalen Herz-Kreislauf-Unterstützungssystemen (ECLS)

Konsensuspapier der DGK, DGTHG und DGAI

23.8.2024 | Verfasst von: Jochen Dutzmann, Hanno Grahn, Udo Boeken, Christian Jung, Andrej Michalsen, Gunnar Duttge, Ralf Muellenbach, P. Christian Schulze, Lars Eckardt, Georg Trummer, Guido Michels.


Von:

Melissa Wilke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

08.10.2024

 

Bildquelle (Bild oben): vovan / Shutterstock.com

5 Fragen an den Erstautor

Dr. Jochen Dutzmann, Universitätsmedizin Halle

 

Was sind Anlass und Ziel der Publikation?

 

Die Implantation extrakorporaler Herz-Kreislauf-Unterstützungssysteme („extra-corporeal life support“ [ECLS]) ist eine invasive lebenserhaltende Therapiemaßnahme, die nicht selten beim therapierefraktären kardiogenen Schock bis hin zum Herz-Kreislauf-Stillstand zum Einsatz kommt. Mit der vorliegenden Publikation soll in diesem sensiblen Bereich invasiver, risikoreicher und kostenintensiver Behandlungsoptionen das Risiko einer Über- oder Fehlversorgung vermindert werden.

 

Was sind die wichtigsten Take-Home Messages?

 

  1. Eine ECLS-Therapie erfordert nicht nur eine adäquate Indikationsstellung zu Therapiebeginn, sondern auch während der laufenden Therapie eine regelmäßige Überprüfung des Fortbestehens der Indikation, der patientenseitigen Zustimmung und damit der Erreichbarkeit des Therapieziels insgesamt.
  2. Im Rahmen einer regelmäßigen interdisziplinären und interprofessionellen ECLS-Visite können die fortbestehende Erreichbarkeit des Therapieziels, die Belastungen und möglichen Komplikationen der ECLS-Therapie sowie die weiterhin bestehende patientenseitige Zustimmung zur ECLS-Therapie evaluiert und strukturiert dokumentiert werden.

 

Eine zentrale Abbildung aus der Publikation:

Abb.: Integration der ECLS-Visite im Rahmen der ECLS-Therapie

Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung und mögliche Lösungen?

 

Die wesentlichste Herausforderung dürfte die niederschwellige Integration von Ethikstrukturen in die klinische Routine sein. Ein „Sich-Verdeutlichen“ der beiden Säulen „Indikation“ und „Patientenwille“ sowie des übergeordneten Therapieziels kann bereits durch Verbalisierung in der täglichen Visite oder im Rahmen der Dienstübergaben erfolgen. An der im Konsensuspapier vorgeschlagenen Ethikvisite können beispielsweise auch vom Behandlungsteam unabhängige Dritte teilnehmen. Wichtig ist jedoch die Einbeziehung aller an der Behandlung beteiligten Professionen (mindestens ärztlicher und pflegerischer Dienst sowie Kardiotechnik) sowie ärztliche Vertreter aus allen an der Behandlung beteiligten Disziplinen. Zur Nachvollziehbarkeit sollte eine strukturierte Dokumentation der Visiten erfolgen. Der im Konsensuspapier vorgeschlagene Visitenverlaufsbogen kann hierbei hilfreich sein.

 

Welche Punkte sind offengeblieben?

 

Die Autoren haben bei der Erstellung des Konsensuspapiers Wert auf Übersichtlichkeit gelegt: Das Papier soll eine Praxishilfe für den klinischen Alltag darstellen und generelle medizinethische Überlegungen möglichst außen vorlassen. Deswegen sind Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit sowie der Fehl- und Überversorgung, wie sie beispielsweise im entsprechenden Positionspapier der Sektionen Ethik von DIVI und DGIIN diskutiert werden, hier außen vorgeblieben (vgl. Michalsen, A., Neitzke, G., Dutzmann, J. et al. Überversorgung in der Intensivmedizin: erkennen, benennen, vermeiden. Med Klin Intensivmed Notfmed 116, 281–294 (2021)).

 

Ausblick: Welche Entwicklungen zum Thema zeichnen sich ab?

 

Bisher war der Primat der ärztlichen Indikation stets sowohl unter Ärztinnen und Ärzten als auch unter Medizinrechtlerinnen und Medizinrechtlern unangefochten: Eine Therapie ohne rechtfertigende Indikation wird nicht durchgeführt, auch dann nicht, wenn Patient oder Zugehörige sie wünschen. Dieses Dogma wird inzwischen in der medizinrechtlichen Diskussion mitunter aufgeweicht, einzelne Stimmen innerhalb der Jurisprudenz goutieren eine (nicht-indizierte) Wunschmedizin und bringen Ärztinnen und Ärzte damit im klinischen Alltag in prekäre Situationen. Das gilt insbesondere, weil der Einsatz der ECLS im Indikationsbereich „Kardiogener Schock“ vor dem Hintergrund aktueller Daten wie aus ECLS-SHOCK immer fraglicher zu sein scheint. In der Diskussion um das Primat der ärztlichen Indikation, die momentan insbesondere unter Medizinrechtlerinnen und Medizinrechtlern geführt wird, gilt es nun ärztlicherseits Courage zu zeigen und sich Gehör zu verschaffen. Ein angemessener Einsatz von (begrenzten) Ressourcen ist sonst ebenso wenig möglich wie rechtssicheres Handeln in der Praxis.

Weiter zur vorgestellten Publikation:

Konsensuspapier "Ethische Aspekte im Rahmen von extrakorporalen Herz-Kreislauf-Unterstützungssystemen (ECLS)"

Literaturnachweis: Dutzmann J., Grahn H., Boeken U. et al.
Ethische Aspekte im Rahmen von extrakorporalen Herz-Kreislauf- Unterstützungssystemen (ECLS): Konsensuspapier der DGK, DGTHG und DGAI
Kardiologie 2024 · 18:353–364 https://doi.org/10.1007/s12181-024-00703-x

 

Zur Person

Dr. Jochen Dutzmann

Dr. Jochen Dutzmann ist Oberarzt an der Universitätsklinik für Innere Medizin III (Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin). Er ist Internist und Kardiologe mit den Zusatzbezeichnungen Intensivmedizin, Notfallmedizin und Palliativmedizin. Neben seiner klinischen Tätigkeit war er Sprecher der Young DGK und ist zurzeit Sprecher der DGK-Projektgruppe „Ethik in der Kardiologie“ (PG 12).


Kurzinfo: Die Formate der DGK-Publikationen

Leitlinien sind für Ärztinnen und Ärzte eine wichtige Stütze im klinischen Alltag, um ihre Patientinnen und Patienten nach neuestem Stand der Wissenschaft bestmöglich zu behandeln. Dabei dienen die Leitlinien als verlässliche Handlungsempfehlungen in spezifischen Situationen.

Pocket-Leitlinien sind Leitlinien in kompakter, praxisorientierter Form. Bei Übersetzungen von Pocket-Leitlinien der ESC werden alle Empfehlungsklassen und Evidenzgrade der Langfassung übernommen.

Master Pocket-Leitlinien stellen eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte der Leitlinienempfehlungen in Form von grafischen Diagnose- und Therapiealgorithmen dar. Als Quelle der Empfehlungen dienen dabei vorwiegend die nach strengen wissenschaftlichen Kriterien erstellten Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) sowie deren deutsche Übersetzung durch die DGK.

CardioCards behandeln im Wesentlichen Themen der Diagnostik und Akuttherapie für den ambulanten Bereich. Hier werden die essenziellen Informationen von Leitlinien komprimiert und übersichtlich zusammengefasst.

Kommentare beinhalten Hinweise, wie sich die neuen von den alten Leitlinien unterscheiden, Hinweise auf wesentliche Neuerungen, die seit dem Erscheinen der ESC-Leitlinien bekannt geworden sind, Diskussion kontroverser Empfehlungen in den ESC-Leitlinien sowie Möglichkeiten und Grenzen der Leitlinienumsetzung im Bereich des deutschen Gesundheitswesens.

Ein Positionspapier behandelt eine Fragestellung von großem allgemeinen Interesse, für die keine aktuelle Leitlinie vorliegt.

Bei einem Konsensuspapier handelt es sich um ein von mehreren Fachgesellschaften getragenes Statement.

Diese Veröffentlichungen enthalten Empfehlungen einer DGK-Arbeitsgruppe zu einer speziellen Frage von großem Interesse.

Stellungnahmen der DGK beziehen sich auf gesundheitspolitische Fragestellungen und erfolgen durch den Vorstand, gemeinsam mit Kommissionen und Projektgruppen. Sofern möglich und sinnvoll, werden auch Fachgesellschaft-übergreifende Stellungnahmen ausgearbeitet.

Ein Manual ist eine praktisch orientierte Expertenempfehlung für wesentliche kardiovaskuläre Prozeduren.

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