„EMPATICC zeigt Mut zum medizinischen Neuland“

 

ESC Congress 2025 | EMPATICC: Prof. Tienush Rassaf im Gespräch mit PD Dr. Stefan Perings über die wegweisende Studie zur Herzinsuffizienztherapie bei Krebspatientinnen und -patienten.

Von:

PD Dr. Stefan Perings

Herausgeber HERZMEDIZIN.de

 

 

01.09.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Songquan Deng / Shutterstock.com

HERZMEDIZIN: Lieber Tienush, herzlichen Glückwunsch zur Präsentation Eurer EMPATICC-Studie auf dem ESC-Kongress in Madrid! Die gleichzeitige Publikation im European Heart Journal unterstreicht die internationale Bedeutung. Was war Dein erster Gedanke, als Du die Ergebnisse gesehen hast?


Rassaf: Diese Studie zu realisieren bedeutete, in völliges Neuland vorzustoßen. Wir haben gezeigt, dass auch schwerstkranke Patientinnen und Patienten in der letzten Lebensphase bereit sind, an wissenschaftlichen Studien teilzunehmen, wenn sie das Gefühl haben, damit anderen helfen zu können. Das hat uns alle berührt und inspiriert zugleich.


HERZMEDIZIN: Das ist ein wichtiger Punkt. Erzähle uns zunächst: Wie kamt Ihr überhaupt auf die Idee, moderne Herzinsuffizienz-Medikamente bei Krebspatientinnen und -patienten in palliativer Situation einzusetzen?


Rassaf: Die Beobachtung stammt aus unserer täglichen klinischen Praxis. Wir sahen immer wieder Krebspatientinnen und -patienten, die Symptome zeigten, die wir Kardiologinnen und Kardiologen sofort als herzinsuffizienz-typisch erkannt hätten: Atemnot, Ödeme, schwere Erschöpfung, massive Einschränkung der Selbstständigkeit. Aber niemand dachte daran, das Herz als Ursache zu behandeln – obwohl wir heute sehr gute Therapien haben. 

Zur Person

Prof. Tienush Rassaf

Prof. Tienush Rassaf ist Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Essen und medizinischer Direktor am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die Auswirkungen von Krebsbehandlungen auf das Herz. Er ist außerdem Herausgeber der Cardio News.

Prof. Tienush Rassaf

 

HERZMEDIZIN: Die Studienkonzeption war sicherlich eine Herausforderung. Wie habt Ihr das ethisch und praktisch gelöst?


Rassaf: Das war tatsächlich der schwierigste Teil! Wir mussten völlig neue Wege gehen. Eine doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studie mit Patientinnen und Patienten, die möglicherweise nur noch Wochen zu leben haben? Wir haben eng mit Ethikkommissionen, Palliativmedizinerinnen und -medizinern und vor allem mit den Betroffenen und ihren Familien zusammengearbeitet. Die Resonanz war überwältigend positiv – die Menschen wollten Teil dieser Arbeit sein.

Ergebnisse und Implikationen


HERZMEDIZIN: Lass uns über die Ergebnisse sprechen. Der primäre Endpunkt wurde nicht erreicht, aber die Signale bei den Überlebenden waren bemerkenswert. Wie bewertest Du das?

 

Rassaf: Im Gesamtkollektiv haben wir den primären Endpunkt verfehlt – aber das war auch bei der Mortalität von 32 % nach nur 30 Tagen im Nachhinein zu erwarten. Entscheidend ist: Bei den Patientinnen und Patienten, die diese kritische Phase überstanden, sahen wir dramatische Verbesserungen: NT-proBNP sank um 41 %, die Ejektionsfraktion stieg signifikant, und – das ist für uns das Wichtigste – die Lebensqualität verbesserte sich deutlich. Das zeigt: Wenn wir die richtigen Patientinnen und Patienten identifizieren, können wir ihnen wirklich helfen.


HERZMEDIZIN: Das bringt uns zur praktischen Umsetzung. Welche Patientinnen und Patienten könnten in Zukunft von diesem Ansatz profitieren?


Rassaf: Wir denken an Patientinnen und Patienten mit einer Prognose von mindestens zwei bis drei Monaten, besser 6–12 Monaten, die deutliche kardiale Auffälligkeiten zeigen – erhöhtes NT-proBNP, reduzierte Ejektionsfraktion, Zeichen der Herzinsuffizienz. Hier brauchen wir dringend bessere Risikostratifizierungs-Tools. Zu schwer kranke Personen profitieren nicht, weil die Zeit für eine Wirkung nicht ausreicht. Aber für die richtige Selektion könnte dieser Ansatz richtig sein.


HERZMEDIZIN: Siehst Du EMPATICC als Paradigmenwechsel in der Palliativmedizin?


Rassaf: Wir brechen mit dem Dogma, dass Palliativmedizin nur symptomatisch sein kann. Hier zeigen wir: Auch in dieser Phase können wir gezielt pathophysiologische Mechanismen beeinflussen und dadurch Lebensqualität schaffen. Das ist ein Paradigmenwechsel von der rein symptomatischen hin zur mechanistischen Palliativtherapie. Kardioonkologie und Palliativmedizin verschmelzen zu einem völlig neuen Behandlungsfeld.

Ausblick auf Reaktionen und folgende Forschung


HERZMEDIZIN: Welche Reaktionen erwartet Ihr von der internationalen Fachcommunity?


Rassaf: Wir erwarten intensive, kontroverse Diskussionen – und das ist gut so. So eine Arbeit polarisiert. Manche werden sagen: „Das geht zu weit, das ist unethisch.“ Andere werden erkennen, welches Potenzial hier liegt. Wichtig ist: Wir haben die Machbarkeit bewiesen und erste Wirksamkeitssignale gesehen. Jetzt brauchen wir größere, adaptive Studiendesigns und bessere Patientenselektion.

 

HERZMEDIZIN: Wie geht es konkret weiter? Plant Ihr bereits Folgestudien?


Rassaf: Wir arbeiten bereits an EMPATICC 2.0 mit verbesserter Risikostratifizierung und adaptiven Studiendesigns. Gleichzeitig wollen wir das Konzept auf andere onkologische Populationen ausweiten. Und – das ist mir besonders wichtig – wir müssen die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten in der Kardioonkologie intensivieren. Diese Patientinnen und Patienten brauchen speziell ausgebildete Teams, aber da hat die DGK ja bereits die richtigen Schritte eingeleitet.


HERZMEDIZIN: Was bedeutet diese Studie persönlich für Dich als Forscher und Kliniker?


Rassaf: EMPATICC ist für mich der Beweis, dass Kardiologie weit über das Herz hinausgeht. Wir können Menschen in ihrer schwierigsten Lebensphase helfen – nicht mit falschen Versprechungen, sondern mit evidenzbasierter Medizin. 

Die EMPATICC-Studie wurde von der Brost-Stiftung gefördert und auf dem ESC-Kongress 2025 in Madrid vorgestellt sowie parallel im European Heart Journal publiziert (https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaf705).


Referenzen

 

  1. Amker MS. EMPATICC: Optimized Heart Failure Therapy in Terminal Cancer to Improve Self Care Ability. Late-Breaking Clinical Science: heart and vasculature in cardio-oncology 30.08., Madrid, ESC 2025
  2. Anker MS et al. Heart Failure Therapy in Patients with Advanced Cancer Receiving Specialized Palliative Care (EMPATICC trial). Eur Heart J. 2025 Aug 30:ehaf705. doi: 10.1093/eurheartj/ehaf705. Epub ahead of print. PMID: 40884070.

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