Schützt Bitterschokolade vor Diabetes?

 

Eine Kohortenstudie der Harvard School of Public Health mit knapp 200.000 Personen weist daraufhin, dass der Genuss von dunkler Schokolade das Risiko für Typ 2 Diabetes mellitus (T2D) senken könnte. Personen, die mindestens 5 Portionen à 30 g pro Woche zu sich nahmen, hatten ein signifikant geringeres T2D-Risiko gegenüber denjenigen, die keine dunkle Schokolade aßen. Dagegen war der Konsum von Milchschokolade ausschließlich mit einer Gewichtszunahme assoziiert.

 

Prof. Ulrich Laufs kommentiert.

 

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar

Prof. Ulrich Laufs

Rubrikleiter Prävention

 

17.12.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Rimma Bondarenko / Shutterstock.com

Hintergrund

Flavonoide besitzen antioxidative, entzündungshemmende und gefäßerweiternde Eigenschaften. Diese positiven Effekte könnten möglicherweise auch das Risiko für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes mellitus (T2D) verringern. Schokolade, die aus den Bohnen des Kakaobaums (Theobroma cacao) gewonnen wird, zählt zu den Lebensmitteln mit dem höchsten Flavanolgehalt, wobei Flavanole eine Untergruppe der Flavonoide darstellen. Dabei gilt: Je dunkler die Schokolade, desto größer ist der Flavanolanteil.


Der Zusammenhang zwischen Schokoladenkonsum und T2D-Risiko ist allerdings umstritten. Einerseits lieferten Beobachtungsstudien inkonsistente Ergebnisse und andererseits haben die bisherigen Studien den Schokoladenkonsum untersucht, ohne zwischen Bitter- und Milchschokolade zu unterscheiden.
In der aktuellen Studie analysierte das Forschungsteam um Binkai Liu von der Harvard School of Public Health Daten aus 3 großen prospektiven Kohorten: die Nurses' Health Study (NHS) mit 121.700 weiblichen Krankenschwestern (1976 initiiert); die Nurses' Health Study II (NHSII), mit 116.340 weiblichen Krankenschwestern (1989 initiiert) und die Health Profession Follow-Up Study (HPFS) mit 51.529 männlichen Gesundheitsfachkräften (1986 initiiert).1

Methodik

 

Personen mit Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Myokardinfarkt, koronare Bypass-Operation, Schlaganfall) oder Krebs (außer Nicht-Melanom-Hautkrebs) bei Studienbeginn wurden ausgeschlossen. Die Ernährung wurde alle 4 Jahre durch validierte Fragebögen erfasst. Dabei wurde die mittlere Häufigkeit für den Verzehr einer Standardportion Schokolade (ca. 30 g) im vergangenen Jahr abgefragt anhand einer 9-stufigen Skala (von „nie oder <1 pro Monat“ bis „≥6 pro Tag“). Die Schokoladensorte (Milchschokolade oder dunkle Schokolade) wurde zusätzlich in den Fragebögen ab 2006 für die NHS- und HPFS-Kohorte und ab 2007 für die NHSII-Kohorte abgefragt.

Menschen, die dunkle Schokolade essen, ernähren sich gesünder

 

Insgesamt wurden 192.208 Personen (63.798 und 88.383 Frauen der NHS- und NHSII-Kohorten sowie 40.027 Männer der HPFS-Kohorte) in die Gesamt-Analyse und 111.654 (39.400 und 58.187 Frauen der NHS- und NHSII-Kohorten und 14.067 Männer der HPFS-Kohorte) in die Schokoladensorten-Analyse einbezogen.
Das mittlere Alter bei Studienbeginn betrug jeweils 52,3 Jahre, 36,1 Jahre und 53,1 Jahre in der NHS-, NHSII- und HPFS-Kohorte. Über alle 3 Kohorten hinweg war der Verzehr von Milchschokolade stärker assoziiert mit einer höheren Energiezufuhr und einer eher ungesunden Ernährung (höherer Anteil an gesättigten Fetten, Zucker sowie rotem und verarbeitetem Fleisch).


Dagegen war der Konsum von dunkler Schokolade mit einem höheren AHEI (Alternative Healthy Eating Index) und einem höheren Verzehr von Obst und Gemüse, Epicatechin und Flavonoiden verbunden. Diese Assoziationen verhielten sich beim Milchschokoladenkonsum genau umgekehrt. Außerdem korrelierte der Konsum von dunkler Schokolade mit der Aufnahme von Flavan-3-olen, insbesondere Epicatechin, und mit der Aufnahme von anderen Flavan-3-ol-reichen Lebensmitteln und Getränken wie Blaubeeren, Tee und Rotwein.

Bitterschokolade-Konsum (>150 g/Woche) war mit einer geringeren Diabetes-Rate assoziiert

 

In der Gesamt-Analyse wurden 18.862 Personen mit T2D identifiziert. Dabei wurde kein signifikanter Zusammenhang zwischen Schokoladenkonsum und T2D-Risiko festgestellt. Die Adjustierung nach Lebensstil und ernährungsbedingten Risikofaktoren ergab, dass Personen, die ≥ 5 Portionen pro Woche Schokolade verzehrten, ein 10 % (95%-KI 2 % - 17%; p = 0,07) niedrigeres relatives T2D-Risiko aufwiesen im Vergleich zu denjenigen, die nie oder seltener Schokolade aßen.
In der Schokoladensorten-Analyse wurden 4.771 Personen mit T2D identifiziert. Nach Adjustierung der Störfaktoren hatten Personen, die mehr als 5 Portionen pro Woche dunkle Schokolade konsumierten, eine signifikante 21 % (5 % - 34 %) niedrigere T2D-Rate gegenüber denjenigen, die keine dunkle Schokolade aßen (p = 0,006). Eine signifikante Verringerung um 3 % (1 % - 5 %) des T2D-Risikos wurde für jede weitere Portion pro Woche dunkler Schokolade beobachtet. Zwischen den 3 Kohorten wurde eine statistisch signifikante Heterogenität festgestellt, wobei die männliche Kohorte am stärksten vom regelmäßigen Verzehr der dunklen Schokolade (≥ 5 Portionen pro Woche) profitierte: Das T2D-Risiko wurde in dieser Gruppe um 51 % (8 % - 74 %) gesenkt gegenüber denjenigen, die keine dunkle Schokolade aßen. Zudem wurde das T2D-Risiko durch den Verzehr der dunklen Schokolade stärker reduziert bei einer gesunden gegenüber einer ungesunden Ernährung (Hazard Ratio 0,87; 95%-KI [0,68-1,10]).

Milchschokolade-Konsum war mit einer Gewichtszunahme verbunden

 

Im Gegensatz zur dunklen Schokolade war ein steigender Verzehr von Milchschokolade über 4 Jahre mit einer Gewichtszunahme von 0,35 kg (95%-KI 0,27-0,43) verbunden. Der Zusammenhang zwischen Gesamtschokoladenkonsum und Gewichtszunahme war ebenfalls positiv. Diese Ergebnisse waren für die 3 Kohorten weitgehend konsistent, wobei die NHSII-Kohorte die stärkste Assoziation für die Gewichtszunahme durch Gesamt- und Milchschokolade aufwies.
Der BMI wurde als signifikanter modifizierender Faktor für die Gewichtszunahme identifiziert (p < 0,001). Personen mit Adipositas (BMI ≥30 kg/m2), die viel Milchschokolade aßen, legten mehr an Gewicht zu als Normalgewichtige (mittlere Gewichtszunahme 0,68 kg vs. 0,33 kg im 4-Jahres-Intervall). Dagegen war der Verzehr von dunkler Schokolade in allen BMI-Subgruppen nicht mit einer langfristigen Gewichtszunahme verbunden.

Expertenkommentar von Prof. Ulrich Laufs

 

Schwarze Schokolade zur Prävention von Diabetes ohne Gewichtszunahme ist eine wunderbare Weihnachtsbotschaft, die Resonanz findet in dem tief verwurzelten Wunsch von Menschen aller Zeiten, Kulturen und Religionen, durch die Aufnahme der “richtigen” Nahrung Krankheiten zu vermeiden und sich für das Dies- und Jenseits Vorteile zu verschaffen. Uns Kardiologinnen und Kadiologen wird machmal vorgeworfen, alles zu verbieten, das Spaß mache. Daher hoffen wir (und auch die Hersteller der Produkte) besonders auf protektive Effekte der Inhaltsstoffe einer vergnüglichen Ernährung mit schwarzer Schokolade oder auch rotem Wein.   
Unerfreulicherweise ist die Evidenzlage komplex. Teurere Lebensmittel schneiden in Querschnitts- oder Beobachtungsstudien immer besser ab. Und leider liefern Assoziationen zwar interessante Hypothesen, belegen jedoch keine Kausalität. Der mit großem Abstand potentester Prädiktor für positive Gesundheitsparameter aller Art ist der sozioökonomische Status. Personen mit wenig Geld und sozialen Problemen haben häufiger kardiovaskuläre Risikofaktoren und -Erkrankungen. Teure Lebensmittel (Schokolade, Rotwein, Nahrungsergänzungsmittel, frisches Obst u.v.a.m.) selektionieren in erster Linie für höheren Sozialstatus und besseres Gesundheitsverhalten (z.B. weniger Rauchen). Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung (< 10 %) leistet sich regelmäßig die wesentlich teurere schwarze Schokolade. Daher lassen sich aus den meisten Querschnitts- oder Beobachtungsstudien zu vermeintlichen Effekten von Nahrungskomponenten keine belastbaren Empfehlungen ableiten.
Der tägliche Energieverbrauch fällt über die Lebenszeit in zwei Stufen nach der Pubertät und nach dem 55. Lebensjahr ab, d.h. bei unverändertem Eß- und Bewegungsverhalten nimmt das Körpergewicht ab Mitte 50 kontinuierlich zu (unabhängig von Schokolade).2 Für das Ausmaß einer Veränderung des Körpergewichtes durch Ernährung sind die Zufuhr und der Verbrauch von Kalorien entscheidend, der Zeitpunkt der Kalorienaufnahme per se oder die Zusammensetzung der Nahrung pro Kalorie spielen keine wesentliche Rolle.3,4 Selbstverständlich kann ein Intervall-Fasten oder die Reduktion von Fett und Zucker (Schokolade) helfen, die Kalorien-Aufnahme zu reduzieren. Das Nahrungsfreie Intervall als solches hat jedoch keinen Effekt für das Körpergewicht.2 Es spielt bei gleicher Kalorienmenge auch nachweislich keine Rolle, ob das Verhältnis der aufgenommenen Kalorien aus Kohlenhydraten / Eiweiß / Fett  65/15/20 %, 55/25/20 %, 45/15/40 % oder 35/25/40 % beträgt.4 Die Auswirkung von Schokolade auf das Körpergewicht richtet sich nach der konsumierten Kalorienzahl. Wichtiger für das Studienergebnis ist aber wahrscheinlich gar nicht die Schokolade selber, sondern Sorte und Preis der Schokolade als Indikator für den Lebensstil der Konsumierenden.

Fazit

Schwarze Schokolade ist an Weihnachten attraktiv, auch ohne eindeutige Evidenz für additive Gesundheitseffekte. Zur Verhinderung einer Gewichtszunahme muss die Kalorien-Zufuhr (egal in welcher Form und zu welcher Tageszeit) zum Kalorien–Verbrauch passen. Es kann daher eine gute Idee sein, letzteren über die Weihnachtsfeiertage durch Bewegung zu erhöhen. Sozioökonomisch schwache Menschen sind auch gesundheitlich im Nachteil, hier liegen Aufgaben und Chancen für Prävention und Therapie.
Fröhliche Weihnachten!

Zur Person

Prof. Ulrich Laufs

Prof. Ulrich Laufs ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig. Zu seinen Schwerpunkten gehören u. a. kardiovaskuläre Prävention und Lipoprotein-Stoffwechselstörungen. Im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) vertritt er den Bereich der Universitätskliniken.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

  1. Liu B et al. Chocolate intake and risk of type 2 diabetes: prospective cohort studies. BMJ. 2024 Dec 4;387:e078386. doi: 10.1136/bmj-2023-078386.
  2. Pontzer H et al. Consortium. Daily energy expenditure through the human life course. Science. 2021 Aug 13;373(6556):808-812. doi: 10.1126/science.abe5017.
  3. Liu D et al. Calorie Restriction with or without Time-Restricted Eating in Weight Loss. N Engl J Med. 2022 Apr 21;386(16):1495-1504. doi: 10.1056/NEJMoa2114833.
  4. Sacks FM et al. Comparison of weight-loss diets with different compositions of fat, protein, and carbohydrates. N Engl J Med. 2009 Feb 26;360(9):859-73. doi: 10.1056/NEJMoa0804748

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