Die Ende August veröffentlichten Leitlinien zur arteriellen Hypertonie wurden erstmals von der ESC ohne Beteiligung der European Society of Hypertension (ESH) zusammengestellt, letztere hatte ein Jahr zuvor eigene Leitlinien veröffentlicht. Damit existieren mittlerweile zusammen mit der 2023 erstmals erstellten nationalen Versorgungsleitlinie 3 Leitlinien, die nicht in allen Empfehlungen identisch sind.
Ein zentraler Unterschied betrifft den Zielblutdruck, der mit <130/80 mmHg gemäß ESC für den Großteil der Patientinnen und Patienten ambitionierter ist als in den konkurrierenden Leitlinien - dort wird dieses Ziel zwar auch vor allem für Jüngere empfohlen, für Ältere werden aber höhere Blutdruckziele verfolgt. In Anbetracht mehrerer randomisierter Studien, die auch ältere Patientinnen und Patienten eingeschlossen haben und eine Reduktion harter Endpunkte belegen konnten, halte ich das neue, niedrigere Blutdruckziel für sehr gerechtfertigt. In der Leitlinie wird betont, dass dies eine gute Verträglichkeit der Medikation voraussetzt, was für die Praxis sicherlich eine wichtige Ergänzung der Empfehlung darstellt. Anzumerken ist, dass schon jetzt weniger als die Hälfte der Patientinnen und Patienten unter Therapie einen Blutdruck < 140/90 mmHg erreicht, sodass fraglich ist, wie oft das noch ambitioniertere Blutdruckziel erreicht werden kann.
Durch die neue Kategorie „erhöhter Blutdruck“ und die IA-Empfehlung zur pharmakologischen Therapie ab einem Blutdruck von 130/80 mmHg bei sehr hohem kardiovaskulären Risiko wird die antihypertensive Therapie bei formal noch nicht bestehender arterieller Hypertonie gestärkt, wobei diese Strategie mit schwächerem Empfehlungsgrad auch in den Leitlinien von 2018 enthalten war, und von der ESH zumindest bei koronarer Herzkrankheit ebenfalls empfohlen wird. Die ESC-Empfehlung wird durch 2 große Metaanalysen gestützt und unterstreicht im Einklang mit dem neuen Zielblutdruck nochmals, dass auch im zuvor „hochnormal“ genannten Blutdruckbereich von 130-140 mmHg ein kardiovaskulärer Benefit durch eine verschärfte Einstellung zu erzielen ist.
Neu ist auch, dass einer niedrig dosierten dreifachen Kombinationstherapie der Vorzug gegenüber einer höher dosierten zweifachen Kombinationstherapie gegeben wird. Auch wenn in der Leitlinie die Vor- und Nachteile dieser Empfehlung erstaunlicherweise nicht diskutiert werden, ist dies aus meiner Sicht eine konsequente Umsetzung der evidenzbasierten Erkenntnis, dass die Hinzunahme einer weiteren antihypertensiven Substanz effektiver den Blutdruck senkt als die Aufdosierung der bestehenden Therapie, ohne Nebenwirkungen zu aggravieren. Abzuwarten bleibt, ob sich diese Empfehlung auch unter budgetärem Druck in Deutschland durchsetzen kann.
Die renale Denervation wird in allen 3 neueren Leitlinien als eine Therapieoption bei resistenter Hypertonie empfohlen, dies spiegelt die klare Evidenz der vergangenen Jahre wider. Die Empfehlung der ESC ist dabei etwas zurückhaltender als die der anderen Leitlinien, ein Therapieversuch mit einem Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten oder Betablocker wird zunächst präferiert. Zu beachten ist - und dies hat zur IIb-Empfehlung beigetragen und muss auch Bestandteil des Aufklärungsgespräches sein - dass die renale Denervation zwar zweifelsfrei eine moderate Blutdrucksenkung bewirken kann und angesichts der Bedeutung der Non-Adhärenz durch ihren „always on“ Effekt einen potenziellen Vorteil bei der Behandlung der Hypertonie bietet, es aber keine randomisierten Studien gibt, die eine Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte sicher belegen.
Zusammengefasst ist die aktuelle Leitlinie der ESC nicht nur die neueste der 3 Leitlinien zur arteriellen Hypertonie, sondern setzt aus meiner Sicht die vorhandenen Studiendaten auch am konsequentesten in praktische Empfehlungen um.