Globale Krankheitslast 1990–2023: Kardiovaskuläre Erkrankungen führend

 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen bleiben weltweit die häufigste Ursache für Krankheit und Tod, wie die aktuelle Global-Burden-of-Disease-Studie zeigt. Seit 1990 hat die Belastung durch kardiovaskuläre Erkrankungen in den meisten Ländern weiter zugenommen – bedingt durch veränderte Risikofaktoren, das Bevölkerungswachstum und die zunehmende Alterung der Bevölkerung.

 

Prof. Christina Magnussen (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) ordnet die Ergebnisse der Studie ein.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar:

Prof. Christina Magnussen

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

 

 

21.10.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Sorapop Udomsri / Shutterstock.com

 

Die Studie „Global Burden of Disease” (GBD) ist eine internationale Forschungskooperation mit dem Ziel, die weltweite Krankheitslast systematisch zu erfassen. Dafür wurden umfassende epidemiologische und demografische Datenquellen aus 204 Ländern und Regionen ausgewertet. Die kürzlich veröffentlichte Analyse aktualisiert die Ergebnisse der GBD-Studie 2021. Es wird die Belastung durch 375 Krankheiten und 88 Risikofaktoren quantifiziert, darunter auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Weltweite Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen nimmt weiter zu

 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren laut der Studie weltweit die führende Ursache für verlorene gesunde Lebensjahre (Disability-Adjusted Life Years, DALYs). Ein DALY entspricht einem verlorenen Lebensjahr in Gesundheit, entweder durch vorzeitigen Tod oder aufgrund von Krankheit oder Behinderung. Im Jahr 2023 entfielen weltweit 437 Millionen DALYs auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, was einen Anstieg um das 1,4-Fache gegenüber 1990 (320 Millionen) bedeutet. Damit beläuft sich der Anteil an der Gesamt-Krankheitslast auf geschätzt 15,6 %. Die wichtigsten Ursachen der kardiovaskulären Krankheitslast waren ischämische Herzerkrankungen, intrazerebrale Blutungen, ischämische Schlaganfälle und hypertensive Herzerkrankungen.

Kardiovaskuläre Krankheitslast weltweit Abb.: Kardiovaskuläre Krankheitslast weltweit, 1990–2023 (Quelle: modifiziert nach Global Burden of Cardiovascular Diseases and Risks 2023 Collaborators, JACC 2025)

Im Jahr 2023 waren die altersstandardisierten, kardiovaskulär bedingten DALY-Raten in Regionen mit niedrigem und niedrig-mittlerem soziodemografischen Index (SDI) am höchsten – fast doppelt so hoch wie in Regionen mit hohem SDI (wie z. B. Westeuropa), wo sie am niedrigsten lagen. Allerdings variiert die kardiovaskuläre Krankheitslast auch stark zwischen Ländern mit gleichem SDI-Niveau, was gemäß Studie vor allem auf unzureichend kontrollierte modifizierbare Risikofaktoren zurückzuführen ist.


Die Zahl der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen stieg weltweit von 13,1 Millionen im Jahr 1990 auf 19,2 Millionen im Jahr 2023. Auch die Prävalenz nahm deutlich zu: Die Zahl der Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen hat sich nach den Schätzungen seit 1990 mehr als verdoppelt: von 311 Millionen auf 626 Millionen Fälle.

Modifizierbare Risikofaktoren maßgebend für globale Krankheitslast

 

Insgesamt waren 79,6 % (95-%-Unsicherheitsintervall: 75,7–82,5 %) der globalen Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Jahr 2023 auf modifizierbare Risikofaktoren zurückzuführen. Das entspricht 347 Millionen DALYs, die potenziell durch Prävention und Risikoreduktion vermeidbar wären.


Weltweit waren systolischer Bluthochdruck (223 Mio. DALYs), nicht-optimale Ernährung (141 Mio. DALYs), hoher LDL-Cholesterinspiegel (90,7 Mio. DALYs) und Luftverschmutzung (90,5 Mio. DALYs) im Jahr 2023 die modifizierbaren Risikofaktoren mit dem größten Anteil an der globalen kardiovaskulären Krankheitslast. (Hinweis: Die Einzelanteile sind nicht additiv zu verstehen, da sich die zugeschriebenen Krankheitslasten aufgrund überlappender Risikofaktoren methodisch überschneiden.)


Auch für Westeuropa einschließlich Deutschland waren diese modifizierbaren Risikofaktoren am bedeutendsten: hoher systolischer Blutdruck (10,5 Mio. DALYs), nicht-optimale Ernährung (10,2 Mio. DALYs), hoher LDL-Cholesterinspiegel (4,25 Mio. DALYs) und Luftverschmutzung (2,91 Mio. DALYs).


Es folgten weltweit Tabakkonsum, Bleibelastung, Body-Mass-Index (BMI), Nierenfunktionsstörungen, Nüchternblutzuckerwerte, nicht-optimale Temperatur (Hitze/Kälte), geringe körperliche Aktivität und Alkoholkonsum. Die weltweit am schnellsten zunehmenden Risiken für die Belastung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren metabolische und umweltbedingte Risiken, wie hohe BMI- und Nüchternblutzuckerwerte bzw. Luftverschmutzung und zu hohe Temperaturen.

Anstieg der Belastung durch wachsende und alternde Bevölkerung

 

Die altersstandardisierte Rate der durch modifizierbare Risikofaktoren bedingten Krankheitslast sank in Westeuropa seit 1990 deutlich – von 4.279 auf 1.545 DALYs pro 100.000 Personen (−3,1 % pro Jahr); weltweit von 6.440 auf 3.843 pro 100.000 Personen (−1,6 % pro Jahr). Dabei verzeichneten alle erfassten modifizierbaren Risikofaktoren einen Rückgang, nur für Hitze stieg global die jährliche Rate um 0,9 %. Ursächlich sind laut Studie jedoch vor allem „remarkable improvements“ in Regionen mit höherem SDI in den Neunzigerjahren. Danach folgten Abflachen und Stagnation der Verbesserungstendenzen.

Treiber der kardiovaskulären Krankheitslast weltweit Abb.: Treiber der kardiovaskulären Krankheitslast weltweit, 1990–2023 (Quelle: modifiziert nach Global Burden of Cardiovascular Diseases and Risks 2023 Collaborators, JACC 2025)

Insgesamt übersteigt das schnelle Wachsen und Altern der Bevölkerung, insbesondere auch in Regionen mit niedrigem bis mittlerem SDI, die relative Verbesserung bei den Risiko- und Gesundheitsfaktoren, was maßgeblich zum fortlaufenden Ansteigen der globalen kardiovaskulären Krankheitslast beiträgt: Bevölkerungswachstum und -alterung erhöhten die Zahl der kardiovaskulär bedingten DALYs seit 1990 um 128 Millionen bzw. 139 Millionen gemäß der GBD-Schätzungen.

Fazit: Strategische Maßnahmen erforderlich

 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen bleiben weltweit die führende Ursache für Krankheitslast und Tod. Am höchsten belastet sind weiterhin Regionen mit niedrigem bis mittlerem soziodemografischen Index (SDI). Aber auch bei Ländern mit vergleichbarem Entwicklungsstand finden sich erhebliche Unterschiede in der Krankheitslast, was vor allem unzureichend kontrollierten modifizierbaren Risikofaktoren zugeschrieben wird. Passend dazu zeigt eine aktuelle Studie, dass die Lebenserwartung in deutschen Grenzregionen teils deutlich hinter der in den Nachbarländern zurückbleibt, bei Männern im Schnitt um 2,2 Jahre – trotz enger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verflechtungen.2 Es deutet darauf hin, wie nationale Rahmenbedingungen die regionalen Gesundheitsunterschiede beeinflussen.


Der anhaltende Anstieg der kardiovaskulären Belastung seit 1990 ist im Wesentlichen auf Bevölkerungswachstum, demografische Alterung und eine zunehmende Exposition gegenüber metabolischen Risiken zurückzuführen. Um die globalen Ziele zur Reduktion der kardiovaskulären Krankheitslast zu erreichen, sind laut Studie umfassende Strategieanpassungen im Gesundheitswesen und der öffentlichen Gesundheit notwendig.

Expertenkommentar

 

Die aktuelle „Global Burden of Disease (GBD)“-Analyse bestätigt: Kardiovaskuläre Erkrankungen bleiben weltweit die führende Ursache für Krankheitslast und vorzeitige Mortalität. Der größte Teil dieser Last ist auf modifizierbare Risikofaktoren zurückzuführen – allen voran Bluthochdruck, ungesunde Ernährung, erhöhtes LDL-Cholesterin und Luftverschmutzung. Die Belastung ist in Ländern mit niedrigem und niedrig-mittlerem Sociodemographic Index am höchsten.

 

Vergleich globaler populations-basierter Konsortien: GBD bietet sehr hohe globale Repräsentativität und ist prädestiniert für Policy-Fragen, Ländervergleiche und Burden-Schätzungen, weist jedoch Grenzen beim Zugriff auf Individualdaten und bei der phänotypischen Tiefe auf. Es kombiniert heterogene Datenquellen und nutzt metaanalytische Auswertungen. Die „Prospective Urban Rural Epidemiology (PURE)“-Studie arbeitet prospektiv auf Individualdatenbasis mit hoher phänotypischer Detailtiefe, ist im Vergleich zu GBD und dem Global Cardiovascular Risk Consortium (GCVRC) jedoch kleiner und fokussiert vor allem auf Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Das GCVRC nutzt Individualdaten aus weltweiten Kohorten und ermöglicht hochaufgelöste Analysen sowie Lebenszeit-Risikomodellierung, erfordert dafür aber eine aufwendige Variablenharmonisierung.

Konvergenz der Evidenz und Implikation: Analysen aus GBD, PURE und GCVRC bestätigen die zentrale Bedeutung weniger, aber hochwirksamer Risikofaktoren in der Primärprävention – bei zugleich klar erkennbaren regionalen Unterschieden.1,3,4 Politik und Versorgung sollten eine Outcome-orientierte Primärprävention verankern – mit strukturierten, regional angepassten Screening-Programmen und der konsequenten Kontrolle der wesentlichen Risikofaktoren (v. a. Hypertonie und Tabakkonsum).

Zur Person

Prof. Christina Magnussen

Prof. Christina Magnussen ist stellv. Klinikdirektorin, Personaloberärztin und Bereichsleiterin Herzinsuffizienz am Universitären Herz- und Gefäßzentrum Hamburg. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die kardiovaskuläre Risikoprädiktion.


Referenzen

  1. Global Burden of Cardiovascular Diseases and Risks 2023 Collaborators. Global, Regional, and National Burden of Cardiovascular Diseases and Risk Factors in 204 Countries and Territories, 1990-2023. J Am Coll Cardiol. Published online September 24, 2025. doi:10.1016/j.jacc.2025.08.015
  2. Stroisch S, et al. Getting closer to each other? Convergence and divergence patterns of life expectancy in 277 border regions of Western Europe 1995-2019. Eur J Epidemiol. Published online July 19, 2025. doi:10.1007/s10654-025-01279-w
  3. Yusuf S, et al. Modifiable risk factors, cardiovascular disease, and mortality in 155 722 individuals from 21 high-income, middle-income, and low-income countries (PURE): a prospective cohort study. Lancet 2020;395(10226):795-808. DOI: 10.1016/S0140-6736(19)32008-2.
  4. Magnussen C, et al. Global Effect of Modifiable Risk Factors on Cardiovascular Disease and Mortality. The New England journal of medicine 2023;389(14):1273-1285. DOI: 10.1056/NEJMoa2206916.

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