Mikroplastik an der Küste: Mehr Diabetes, KHK und Schlaganfälle

 

Die Prävalenzraten von Typ-2-Diabetes, koronarer Herzkrankheit (KHK) und Schlaganfall waren bei Bewohnerinnen und Bewohnern jener US-Küstenbezirke, die an stark mit Mikroplastik belastete Meeresgebiete grenzen, signifikant erhöht – das zeigt eine aktuelle Studie im Journal of the American Heart Association (JAHA).1

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar

Prof. Thomas Münzel

Universitätsmedizin Mainz

 

02.07.2025

 

Bildquelle (Bild oben): NatalyFox / Shutterstock.com

Mikroplastik entsteht durch den Zerfall größerer Kunststoffprodukte wie Lebensmittelverpackungen oder Bestandteile von Körperpflegeprodukten. Als Mikroplastik gelten Kunststoffpartikel mit einer Größe <5 mm; bei weiterer Zersetzung entstehen noch kleinere Partikel, die als Nanoplastik bezeichnet werden (<0,001 mm). Mikro- und Nanoplastik wurden u. a. bereits in Meeres- und Trinkwasser, in Lebensmitteln, in der Luft und im menschlichen Körper nachgewiesen. In Küstenregionen kann Meerwasser ins Grundwasser eindringen und dieses unter anderem mit Mikroplastik verunreinigen.

152 US-Küstenbezirke untersucht

 

In der Studie wurde untersucht, ob eine höhere Konzentration von Mikroplastikpartikeln im Meerwasser mit einer erhöhten Prävalenz von Typ-2-Diabetes, koronarer Herzkrankheit (KHK) und Schlaganfällen bei der Bevölkerung betroffener US-Küstenbezirke assoziiert ist. Hierzu analysierte das Forschungsteam Daten der National Centers for Environmental Information zur Mikroplastikkonzentration in Meeresgewässern. Die Messungen waren zwischen 2015 und 2020 innerhalb von 200 Seemeilen vor der Küste von 152 US-Bezirken an der Ost- und Westküste erfolgt.

 

Der Verschmutzungsgrad wurde anhand der durchschnittlichen Mikroplastikkonzentration im Meerwasser in vier Kategorien eingeteilt:

 

  • gering (0–0,005 Partikel/m³)
  • mittel (0,005–1 Partikel/m³)
  • hoch (1–10 Partikel/m³)
  • sehr hoch (>10 Partikel/m³)

 

Die Prävalenzraten von Typ-2-Diabetes, KHK und Schlaganfall in den untersuchten Bezirken stammen aus einer Bevölkerungsanalyse der Centers for Disease Control and Prevention von 2022, die auf dem Behavioral Risk Factor Surveillance System (BRFSS) 2019–2020 und dem American Community Survey (ACS) 2015–2019 basiert.

Bis zu 18 % höhere Prävalenzraten

 

Bei der Analyse wurden Alter, Geschlecht, Zugang zu ärztlicher Versorgung, sozioökonomischer Status (u. a. Bildung, Arbeitslosigkeit, Haushaltseinkommen) und Umweltaspekte (u. a. Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Nähe zu Parks) auf Bezirksebene berücksichtigt.

 

Im Vergleich zu Bezirken mit geringer Mikroplastikbelastung im Meerwasser wiesen Bezirke mit sehr hoher Belastung signifikant höhere Prävalenzraten auf:

 

  • Typ-2-Diabetes: +18 % (95%-KI[13%; 23%])
  • Koronare Herzkrankheit (KHK): +7 % (95%-KI[3%; 11%])
  • Schlaganfall: +9 % (95%-KI[5%;13%])

 

Die Studie habe zwar die Verschmutzung im Meerwasser gemessen, sei aber nicht auf das Meer beschränkt, betonte Dr. Sarju Ganatra, Letztautor der Studie.2 Mikroplastik sei allgegenwärtig – im Trinkwasser, in Lebensmitteln und sogar in der Luft – und betreffe damit die gesamte Bevölkerung. Der Müll, den wir in der Umwelt entsorgen, käme oft zu uns zurück. Die Politik müsse die Plastikverschmutzung auch als potenzielle Gesundheitskrise begreifen. Es sei Zeit für einen „shift from awareness to action“.

Limitationen und weiterer Forschungsbedarf

 

Zu den Limitationen der Studie zählt, dass die Daten auf Bezirksebene und nicht auf individueller Ebene verglichen wurden. Außerdem erlaubt das Studiendesign keine kausalen Rückschlüsse auf einen Zusammenhang zwischen der Mikroplastikbelastung der Meere und der Entstehung kardiometabolischer Erkrankungen.

 

Auch zur Mikroplastikbelastung der Bewohnerinnen und Bewohner der untersuchten Bezirke lagen keine Daten vor. Die genauen biologischen Mechanismen, über die Mikroplastik dem menschlichen Körper schaden könnte, erfordern zudem weitere Erforschung.

 

Das Forschungsteam plant Folgestudien, um die individuelle Mikroplastikbelastung durch Wasser, Lebensmittel und Luft zu messen und um zu bewerten, wie die Belastung biologische Marker für Entzündungen und kardiovaskulären Stress beeinflusst.

Expertenkommentar

 

Von der Küste ins Krankenhaus: Mikroplastik im Meerwasser erhöht Risiko für Herzkrankheiten

 

Die kürzlich im Journal of the American Heart Association veröffentlichte Studie liefert einen beunruhigenden, wenn auch vorläufigen Hinweis: Menschen, die in US-Küstenregionen mit stark mikroplastikbelasteten Meeresgewässern leben, leiden häufiger an Typ-2-Diabetes, koronarer Herzkrankheit und Schlaganfällen. Die Erhöhung der Prävalenzraten – um bis zu 18 % bei Diabetes – ist kein statistischer Zufall, sondern ein potenzielles Warnsignal, das ernst genommen werden muss.

 

Dass Mikroplastik allgegenwärtig ist – im Wasser, in der Nahrung, in der Luft – ist seit Jahren bekannt. Doch der Schritt von der ökologischen zur gesundheitlichen Relevanz war bislang eher spekulativ. Diese neue Studie schlägt nun eine epidemiologische Brücke zwischen Umweltverschmutzung und der Entstehung kardiometabolischer Erkrankungen. Zwar handelt es sich um eine ökologische Analyse, also um einen Zusammenhang auf Bevölkerungsebene, und nicht um eine individualisierte Risikoberechnung. Doch genau darin liegt ihre gesellschaftliche Sprengkraft: Wenn ganze Regionen durch Umweltfaktoren wie Mikroplastik in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden, stehen nicht nur Medizin und Forschung, sondern auch Umwelt- und Gesundheitspolitik in der Verantwortung. Wie könnte Mikroplastik krank machen? Studien aus der Grundlagenforschung zeigen, dass winzige Kunststoffpartikel oxidative Stressreaktionen, Entzündungsprozesse, hormonelle Dysbalancen und sogar zelluläre DNA-Schäden auslösen können.3

 

Nanoplastik – noch kleiner als Mikroplastik – kann biologische Barrieren wie die Blut-Hirn-Schranke überwinden und tief in Organe eindringen. Besonders alarmierend: Im Herz-Kreislauf-System könnten solche Partikel endothelialen Stress fördern, die Gefäßfunktion stören und so zur Atherosklerose beitragen – ein zentraler Mechanismus hinter Herzinfarkt und Schlaganfall.

 

Noch fehlen uns die harten kausalen Beweise, aber das toxikologische Potenzial von Mikroplastik ist längst nicht mehr zu leugnen. Die vorliegende Studie ist ein erster Mosaikstein in einem Puzzle, das künftig durch prospektive Kohortenstudien, Biomonitoring und mechanistische Humanstudien ergänzt werden muss.

 

Politisch fordert diese Evidenz ein radikales Umdenken: Weg vom Wegwerfplastik, hin zu nachhaltiger Verpackung, saubereren Lieferketten und einer besseren Abwasser- und Klärtechnik. Die Plastikflasche, die wir heute unachtsam entsorgen, könnte morgen im Trinkwasser auftauchen – und übermorgen in unserem Herz-Kreislauf-System Schaden anrichten.

 

Dr. Sarju Ganatra bringt es auf den Punkt: „What we throw into the environment may come back to harm us.“ Der Satz ist einfach, aber gleichzeitig erschütternd – und sollte als Leitmotiv für eine neue Ära der umweltbasierten Präventionsmedizin dienen.

 

Fazit: Diese Studie ist kein Beweis – aber ein Weckruf. Mikroplastik ist kein harmloser Beifang der Zivilisation, sondern womöglich ein stiller Mitverursacher der großen Volkskrankheiten unserer Zeit. Es ist Zeit zu handeln. Nicht irgendwann. Jetzt.

Zur Person

Prof. Thomas Münzel

Prof. Thomas Münzel ist Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie an der Universitätsmedizin Mainz. Zu seinen Schwerpunkten gehören u. a. die Mechanismen und prognostische Bedeutung der endothelialen Dysfunktion. Seit vielen Jahren befasst er sich mit umweltbedingten kardiovaskulären Risikofaktoren. Zudem initiierte er die Gutenberg-Gesundheitsstudie und das Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH) in Mainz.


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