Mikro- und Nanoplastik – eine „Zeitbombe“ für die Gefäße?

 

Mikroplastik und Nanoplastik erweisen sich in präklinischen Studien zunehmend als potenzieller Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Direkte Belege für das Risiko beim Menschen fehlten jedoch bislang. Eine aktuelle Studie weist nun auf einen deutlichen Zusammenhang hin. Umweltkardiologe Prof. Thomas Münzel, Universitätsmedizin Mainz, kommentiert die neuen Ergebnisse und fordert zum Handeln auf.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Prof. Thomas Münzel

Universitätsmedizin Mainz

 

08.03.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Dotted Yeti / Shutterstock.com

Neben Trinkwasser, Nahrung und Kosmetikprodukten sind Mikro- und Nanoplastik (MNP) mittlerweile auch an den entlegensten Orten zu finden, beispielsweise in antarktischem Neuschnee. Auch im menschlichen Körper wurden die kleinen Plastikpartikel bereits nachgewiesen, zum Beispiel in Lunge, Placenta, Leber sowie Muttermilch, Urin und Blut. Die Aufnahme kann durch Nahrungsverzehr, Einatmen und Hautkontakt erfolgen. Dabei steigen Absorption und Distribution im Körper mit abnehmender Partikelgröße.


Mikroplastik umfasst Partikel  ≤ 5 mm, Nanoplastik Partikel ≤ 1000 nm. Beide Partikeltypen können toxische Effekte auslösen. In-vitro-Studien weisen auf eine Förderung von oxidativem Stress, Entzündungen und Apoptose in Endothel- und anderen Gefäßzellen hin. Tiermodelle zeigen Auswirkungen hinsichtlich veränderter Herzfrequenz, Beeinträchtigung der Herzfunktion, Myokardfibrose und endothelialer Dysfunktion. Die klinische Relevanz dieser Ergebnisse ist jedoch unbekannt. Eine aktuelle Studie, die im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht wurde, zeigt nun auf, dass atherosklerotische Carotisplaques mit einem deutlich höheren Gesundheitsrisiko assoziiert sind, wenn sie MNP enthalten.1

Probenuntersuchung nach Carotis-Endarteriektomie

 

An der prospektiven, multizentrischen Beobachtungsstudie nahmen Patientinnen und Patienten teil, die sich wegen einer asymptomatischen hochgradigen Carotisstenose (> 70 %) einer Carotis-Endarteriektomie unterzogen. Die entnommenen Carotisplaque-Proben wurden mittels Pyrolyse-Gaschromatographie/Massenspektrometrie (Py-GC/MS), Stabilisotopenanalyse und Elektronenmikroskopie auf Mikroplastik und Nanoplastik untersucht. Die Analyse von Entzündungsbiomarkern erfolgte per Enzymimmunoassay (ELISA) und immunhistochemischem Assay.


Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Tod aus beliebiger Ursache und verglich Teilnehmende mit MNP in den Plaques mit Teilnehmenden ohne solche Anzeichen. Sekundäre Endpunkte umfassten die Werte der Biomarker Interleukin-18, Interleukin-1β, Tumornekrosefaktor α (TNF-α), Interleukin-6, CD68, CD3 und Kollagen.

Polyethylen und Polyvinylchlorid in den Carotis-Plaques

 

Von den 354 in die Studie aufgenommenen Patientinnen und Patienten absolvierten 257 Personen das Follow-up von durchschnittlich ca. 34 Monaten. Bei 150 Teilnehmenden (58,4 %) wurden MNP in Form von Polyethylen in den Plaques der Carotis-Arterien mittels Py-GC/MS nachgewiesen, mit einem mittleren Gehalt von 21,7 μg pro Milligramm Plaque. 31 Teilnehmende (12,1 %) wiesen auch messbare Mengen an Polyvinylchlorid auf, mit einem mittleren Gehalt von 5,2 μg pro Milligramm Plaque. Ergänzende Stabilisotopenanalysen deckten sich mit den MNP-Nachweisen. Außer Polyethylen und Polyvinylchlorid wurden keine weiteren der insgesamt 11 untersuchten Plastiktypen gefunden.


Teilnehmende mit Nachweis von MNP in den Carotisplaques waren mit höherer Wahrscheinlichkeit jünger, männlich, Raucherin oder Raucher, mit unauffälligem Hypertonie-Status und hatten wahrscheinlicher Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, Dyslipidämie und höhere Kreatinin-Werte. Es konnten keine geographisch-bedingten Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt werden.


Bei der weiteren elektronenmikroskopischen Untersuchung wurden sichtbare, gezackte Fremdpartikel innerhalb der Schaumzellen in den Plaques und verstreut im externen Debris festgestellt. Die radiographische Untersuchung zeigte, dass einige dieser Partikel Chlor enthielten, was auf Polyvinylchlorid schließen lässt. Der Großteil der erfassten Partikel war kleiner als 200 nm, was größenmäßig Nanoplastik entspricht.

4,5-fach höheres Risiko, wenn Plastik in Plaques

 

Hinsichtlich der sekundären Endpunkte ergab die lineare Regressionsanalyse eine Korrelation zwischen der Menge des nachgewiesenen Polyethylens und den Expressionsniveaus der untersuchten Marker Interleukin-18, Interleukin-1β, Tumornekrosefaktor α (TNF-α), Interleukin-6, CD68, CD3 und Kollagen.


Primärer Endpunkt: Von den 150 Teilnehmenden mit MNP in den atherosklerotischen Plaques erlitten 30 Personen einen nichttödlichen Myokardinfarkt bzw. Schlaganfall oder einen Tod aus beliebiger Ursache. In der Vergleichsgruppe waren es 8 von 107 Personen. Damit ergab sich unter Berücksichtigung der kardiovaskulären Risikofaktoren für die Teilnehmenden mit MNP in den Plaques ein 4,5-fach höheres Risiko im Beobachtungszeitraum von knapp 3 Jahren (Hazard Ratio 4,53; 95%-Konfidenzintervall: 2,00–10,27; p < 0,001).

Kommentar – Prof. Thomas Münzel:

 

Die Ergebnisse dieser Studie überraschen nicht. Obwohl MNP als Verursacher von Gefäß-Inflammation, oxidativem Stress und auch endothelialer Dysfunktion schon lange im Gespräch sind, fehlte uns jedoch bis jetzt der Nachweis von Plastikmaterial in atherosklerotischen Plaques und eine signifikante Assoziation mit der kardiovaskulären Prognose.


In Bezug auf die Pathophysiologie ist sicherlich interessant, dass MNPs in der Lage sind, den oxidativen Stress in Endothelzellen aufgrund einer mitochondrialen Dysfunktion oder einer Aktivierung von NADPH-Oxidasen steigern können, und damit einem Enzym, das nachweislich erheblich zur Pathophysiologie bei Diabetes, arterieller Hypertonie, Hypercholesterinämie und Herzinsuffizienz beiträgt. Das bedeutet, dass MNPs theoretisch Herz-Kreislauf-Erkrankungen initiieren oder aber auch einen bereits initiierten atherosklerotischen Prozess weiter beschleunigen können.

 

Und nicht nur MNPs allein können für Herz-Kreislauf-Schäden verantwortlich sein. Etwa 50 % des Gewichts von hergestelltem Plastik bestehen aus chemischen Zusatzstoffen wie Phthalaten, Bisphenolen, Per- und Polyfluoralkylsubstanzen, Polychlorierte Biphenyle und Schwermetallen. Diese Zusatzstoffe werden in Plastik eingearbeitet, um ihm bestimmte Eigenschaften wie Farbe, Flexibilität, Feuerbeständigkeit und Wasserbeständigkeit zu verleihen. Dazu gehören auch Karzinogene, endokrine Disruptoren und Neurotoxika. Auch diese Substanzen haben signifikante pro-atherosklerotische Eigenschaften.

Zur Person

Prof. Thomas Münzel

Prof. Thomas Münzel ist Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen präklinische und klinische Studien zu Mechanismen und prognostischer Bedeutung der endothelialen Dysfunktion. Seit vielen Jahren befasst er sich mit umweltbedingten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem initiierte er das Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH) in Mainz.

Die Studienergebnisse werfen viele Fragen auf:


Sollte die Exposition gegenüber Mikroplastik und Nanoplastik als kardiovaskulärer Risikofaktor angesehen werden? Davon sind wir sicher noch weit entfernt. Hierzu sind noch zahlreiche klinische und auch tierexperimentelle Untersuchungen nötig, um Plastik als einen Herz-Kreislauf-Risikofaktor mit Sicherheit identifizieren zu können. Kardiologinnen und Kardiologen tun sich prinzipiell schwer, Umweltstressoren als Herz-Kreislauf-Risikofaktoren zu bezeichnen. Man nehme nur den Feinstaub als Beispiel, wo wir mittlerweile wissen, dass PM2,5 eine Übersterblichkeit von weltweit fast 8 Mio. Todesfällen pro Jahr bewirkt, in erster Linie durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.2 Dennoch spielt der Risikofaktor Feinstaub in den Präventionsleitlinien der ESC und der ACC/AHA nahezu keine Rolle.


Trotz der noch unklaren Situation – Herz-Kreislauf-Risikofaktor ja oder nein? – muss bei der aktuellen Plastikpandemie der Verbrauch jetzt drastisch eingeschränkt werden.


Der erste Schritt besteht darin, zu erkennen, dass niedrige Kosten und der Komfort von Plastik trügerisch sind und dass sie in Wirklichkeit potenziell zur Bildung von atherosklerotischen Plaques verbunden mit kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall führen können.


Wir müssen unsere Patientinnen und Patienten sowie uns als Ärztinnen, Ärzte und Gesundheitspersonal natürlich auch dazu auffordern, den Einsatz von Plastik zu reduzieren, insbesondere von unnötigen Einwegartikeln. Wir müssen unseren eigenen Plastikverbrauch und den unserer Institutionen inventarisieren und Bereiche für eine drastische Reduzierung identifizieren. Wir müssen unsere starke Unterstützung für internationale Plastikabkommen der Vereinten Nationen zum Ausdruck bringen. Schließlich müssen wir uns für die Aufnahme einer verbindlichen globalen Obergrenze für Plastik einsetzen, mit Zielen und Zeitplänen, Beschränkungen für Einwegplastikmaterial und einer umfassenden Regulierung von Plastikmaterialien.


Von kardiologischer Seite aus müssen wir alles tun, um rasch nachweisen zu können, inwieweit Mikroplastik und Nanoplastik für unsere Gefäße möglicherweise eine Zeitbombe darstellen.


Referenzen

 

  1. Marfella R et al. Microplastics and Nanoplastics in Atheromas and Cardiovascular Events. N Engl J Med. 2024 Mar 7;390(10):900-910. doi: 10.1056/NEJMoa2309822. PMID: 38446676.
  2. Lelieveld J et al. Air pollution deaths attributable to fossil fuels: observational and modelling study. BMJ. 2023 Nov 29;383:e077784. doi: 10.1136/bmj-2023-077784. PMID: 38030155; PMCID: PMC10686100.

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