Ist die kardioprotektive Wirksamkeit des GLP1-Antagonisten Semaglutid unabhängig vom Körpergewicht?

 

SELECT - Sekundäranalyse: In der Meilenstein-Studie SELECT hatte Semaglutid das kardiovaskuläre Risiko bei Personen mit Übergewicht und CVD signifikant reduziert.1 In einer präspezifizierten Sekundäranalyse der SELECT-Studie wurde nun untersucht, ob das Ausgangsgewicht bzw. der Taillenumfang mit den Risiko-Reduktionen korreliert und inwieweit der kardioprotektive Benefit auf den Gewichtsverlust zurückzuführen ist.2

 

Prof. Ulrich Laufs (Universitätsklinikum Leipzig) kommentiert.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Prof. Ulrich Laufs

Rubrikleiter Prävention

 

23.10.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Songquan Deng / Shutterstock.com

Hintergrund

 

Die SELECT-Studie hatte im Jahr 2023 erstmals gezeigt, dass Semaglutid schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) signifikant um 20 % reduziert. Der Effekt wurde bei Menschen mit Übergewicht oder Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber ohne Diabetes gezeigt. Weiterhin wurde eine mittlere Gewichtsreduktion durch Semaglutid von 8,5 % beobachtet.1


In dieser präspezifizierten Analyse sollten zwei Fragen geklärt werden: erstens der Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Taillenumfang zu Studienbeginn und dem MACE-Risiko und zweitens der Zusammenhang zwischen Gewichtsverlust und MACE-Reduktion.2

Studiendesign und Methodik

 

In der SELECT-Studie erhielten 17.604 Personen mit Übergewicht oder Adipositas (BMI ≥27 kg/m²) aus 41 Ländern (804 Zentren) randomisiert entweder Semaglutid (2,4 mg s.c. 1x pro Woche) oder Placebo. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zum ersten MACE (Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall). In dieser Sekundäranalyse wurde das MACE-Risiko und die Adipositas-Änderungen nach den ersten 20 Wochen untersucht und in einer separaten Analyse das MACE-Risiko während der gesamten Studiendauer und die Adipositas-Änderungen über 104 Wochen. 

Ergebnisse

 

In der Primäranalyse reduzierte Semaglutid die MACE-Inzidenz vs. Placebo signifikant, wobei die relative Risikoreduktion über alle Kategorien von Körpergewicht und Taillenumfang zu Studienbeginn hinweg konsistent war.


In der Semaglutid-Gruppe waren geringere Ausgangswerte für Gewicht und Taillenumfang mit einer geringeren MACE-Inzidenz verbunden: Die mittlere Risikoreduktion betrug jeweils 4 % pro 5 kg Körpergewichtsverlust (HR 0,96 [95%KI [0,94; 0,99]; p=0,001) und pro 5 cm Taillenumfangverlust (95%KI 0,96 [0,93–0,99]; p=0,004). Es wurde jedoch kein linearer Zusammenhang zwischen Gewichtsverlust bis Woche 20 und MACE-Risiko beobachtet. Dagegen zeigte sich ein direkter Zusammenhang zwischen MACE-Risiko und Taillenumfang bis Woche 20 sowie ebenfalls bis Woche 104. Geschätzte 33 % des kardioprotektiven Benefits waren auf die Abnahme des Taillenumfangs zurückzuführen (HR 0,86; 95%KI [0,77; 0,97]).


In der Placebo-Gruppe war ebenfalls ein geringerer Taillenumfang zu Studienbeginn mit einem geringeren MACE-Risiko verbunden (HR 0,96; 95%KI [0,94; 0,99]; p=0,007). Es zeigte sich jedoch kein Zusammenhang zwischen geringerem Körpergewicht zu Studienbeginn und MACE-Risiko (0,99 [0,97–1,01]; p=0,28). Paradoxerweise zeigten Patientinnen und Patienten mit Gewichtsverlust in der Placebo-Gruppe ein erhöhtes MACE-Risiko. 

Fazit

 

Autoren der Studie schlussfolgern: „Abschließend zeigen unsere Ergebnisse aus der bisher längsten und größten Studie zu GLP-1-Rezeptoragonisten bei Patientinnen und Patienten mit atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankung, dass Semaglutid zu einer Verbesserung der kardiovaskulären Ergebnisse führte – unabhängig vom Ausgangs-Adipositasgrad und über ein breites Spektrum therapiebedingter Gewichtsabnahme hinweg. Dies stützt die Neubewertung von GLP-1-Rezeptoragonisten als potenziell krankheitsmodifizierende Wirkstoffe bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“

Expertenkommentar

 

Die drei wichtigsten Ergebnisse der Analyse waren erstens, dass die kardiovaskulären Vorteile von Semaglutid in SELECT unabhängig vom Ausgangsgewicht waren. Zweitens hatte das Ausmaß des Gewichtsverlustes in den ersten 20 Wochen keinen wesentlichen Einfluss auf die Risikoreduktion. Das heißt, auch kardiale Patientinnen und Patienten, die unter der Behandlung mit Semaglutid nur wenig an Körpergewicht verlieren, können profitieren. Und drittens war im Unterschied zum Gesamtgewicht der Rückgang des Bauchumfangs mit dem Nutzen assoziiert. Er erklärte der Studie zufolge jedoch nur ein Drittel der protektiven Wirkung.


Diese Daten beweisen jedoch nicht, dass die Effekte unabhängig vom Fettgewebe wären. Eine reine Beurteilung von Körpergewicht wird der Komplexität der Interaktion von Fettgewebe und kardiovaskulärem System nur unzureichend gerecht: „Fett ist nicht gleich Fett“, sondern es handelt sich um hochspezialisiertes Gewebe mit differenzierten Funktionen, wie z.B. subkutan, viszeral, epikardial, perivaskulär oder ektop. Daher kann eine Veränderung von bestimmten Adipozyten-Populationen biologische Effekte haben, ohne dass sich das Gesamtgewicht wesentlich verändert. Beispielhaft ist in der aktuellen SELECT-Analyse die Korrelation zwischen Taillenumfang- und MACE-Risiko-Reduktionen stärker als die Beziehung zur Gewichtsabnahme. Dies ist vereinbar mit einer Reduktion des viszeralen Fettanteils (VAT). VAT ist stärker als subkutanes Fett mit kardialen Ereignissen, insbesondere Herzinsuffizienz und systemischer Inflammation assoziiert.


Umgekehrt muss ein Verlust an Körpergewicht nicht immer gesund sein. Eine Reduktion des Verhältnisses von Muskel- zu Fettmasse wäre z.B. ungünstig. Eine ungewollte Gewichtsabnahme kann auch Ausdruck von Komorbiditäten und Zunahme der Krankheitslast sein – dies kann in SELECT bei einzelnen Patientinnen und Patienten in der Placebo-Gruppe vorliegen und das sog. Adipositas-Paradoxon erklären.


Diese Analyse der SELECT-Studie zeigt, dass die positiven Effekte von Semaglutid nicht allein am Gesamtkörpergewicht abgelesen werden können. Um die Effekte zu verstehen, sind weitere Studien erforderlich, welche die Körperkomposition und Effekte in spezifischen Adipozyten-Kompartimenten evaluieren. Ob und in welchem Ausmaß Semaglutid-Effekte außerhalb des Fettgewebes mechanistisch und klinisch relevant sind, ist sehr spannend, aber noch nicht abschließend beantwortet. Die Analysen von SELECT bestätigen jedoch positive und quantitativ hochrelevante kardiovaskuläre Effekte bei Personen mit einem Ausgangs-BMI unter 30 kg/m2 und bei Personen mit geringer Abnahme des BMI. Diese Beobachtung hat große Bedeutung für die Frage, welche Patientinnen und Patienten von dem Therapieprinzip profitieren können.

Zur Person

Prof. Ulrich Laufs

Prof. Ulrich Laufs ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig. Zu seinen Schwerpunkten gehören insbesondere die kardiovaskuläre Prävention und Lipidstoffwechselstörungen. Er ist Co-Editor-in-Chief des DGK-Fachjournals Clinical Research in Cardiology (CRIC).

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

 

  1. Lincoff AM, Brown-Frandsen K, Colhoun HM, Deanfield J, Emerson SS, Esbjerg S, Hardt-Lindberg S, Hovingh GK, Kahn SE, Kushner RF, Lingvay I, Oral TK, Michelsen MM, Plutzky J, Tornøe CW, Ryan DH; SELECT Trial Investigators. Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Obesity without Diabetes. N Engl J Med. 2023 Dec 14;389(24):2221-2232. doi: 10.1056/NEJMoa2307563. Epub 2023 Nov 11. PMID: 37952131.
  2. Deanfield J et al. Semaglutide and cardiovascular outcomes by baseline and changes in adiposity measurements: a prespecified analysis of the SELECT trial. The Lancet 2025; Published Online https://doi.org/10.1016/ S0140-6736(25)01375-3 

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