Seine Sorge – und damit steht er nicht allein – ist, dass der Standort Deutschland für klinische Forschung im internationalen Vergleich immer weiter zurückfällt und damit an wesentlichen Neuentwicklungen unzureichend beteiligt ist. Die Daten sind eindeutig: Bis 2015 belegte Deutschland hinsichtlich der Zahl durchgeführter klinischer Prüfungen weltweit Platz 2 hinter den USA. Inzwischen ist Deutschland auf Platz 6 abgesunken und von China, UK, Spanien und Kanada überholt worden. Dabei sei zu bedenken, dass die Zahl der klinischen Studien in der Kardiologie nur etwa ein Fünftel der onkologischen Studien ausmache. Und es sei ein Warnsignal, wenn ein Unternehmen wie BioNTech im Bereich der Onkologie ausdrücklich das Vereinigte Königreich als Studienstandort wählt und nicht das größte EU-Land Deutschland. Dieser Trend korrespondiere mit dem vom Bundesverband Medizintechnologie erhobenen Innovationsklima-Index, der sich für Deutschland seit 2012 halbiert hat. 89 Prozent der forschenden Unternehmen haben eine eindeutige Präferenz für den Standort USA.
Baldus’ Sorge wurde bei der Kongresseröffnung auch von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach geteilt. Er habe den gleichen Eindruck, dass Deutschland in der klinischen Forschung international zurückfällt. Die Lösung soll ein in Vorbereitung befindliches Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) bringen, das die bestehenden Datensilos auflöst und alle verfügbaren Gesundheitsdaten – anonymisiert/pseudonymisiert – öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen, auch der Industrie, verfügbar macht.
Ähnlich wie Lauterbach sieht auch Baldus erhebliche Chancen zur Verbesserung der Performance in der Versorgung. Immer noch seien Herz-Kreislauf-Erkrankungen weit vor Krebs die wichtigste Todesursache und häufigster Grund für Hospitalisierungen – zugleich mit einem starken sozialen Gradienten. Die Ursachen dafür seien gut bekannt: Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes, Hypercholesterinämie und Hypertonie. Immer noch aber gebe es etwa 600.000 potenzielle Patientinnen und Patienten mit einer nicht erkannten Hypercholesterinämie – trotz einer hocheffektiven Therapie und einer für ein Screening vergleichsweise niedrigen „Number needed to treat“ (NNT).