„Dem BNK kommt eine Schlüsselrolle für die NHA-Projekte zu“

 

Vor dem Hintergrund der aktuellen BMG-Gesetzesinitiative zur Verbesserung der Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen spricht Prof. Stephan Baldus, Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), über die gegenwärtigen Ziele der Nationalen Herz-Allianz (NHA). Er erläutert vor welchen Herausforderungen Politik und Kardiologie stehen und betont die Bedeutung des Bundesverbandes der Niedergelassenen Kardiologen (BNK) für die Umsetzung der Pläne.

Von:

Romy Martínez & Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

20.11.2023

 

Bildquelle (Bild oben): NPFire / Shutterstock.com

 



HERZMEDIZIN: Kürzlich erschien ein Interview mit Ihnen und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der Welt am Sonntag. Wie bewerten Sie, dass Sie als Kardiologe gemeinsam mit der Politik für dieses Interview angefragt wurden?

Baldus: Ich denke schon, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, die Anliegen der Herzkreislaufmedizin in der Öffentlichkeit zu vertreten. Und die Themen Früherkennung und Prävention liegen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ganz wesentlich am Herzen. Daher finde ich es wichtig und gut, wenn gerade auch diese Themen verstärkt öffentliche Aufmerksamkeit und politische Anerkennung erhalten.

Zur Person

Prof. Stephan Baldus

Prof. Stephan Baldus ist seit 2012 Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin am Herzzentrum der Universität zu Köln. Er ist Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) (2023 – 2025). Zudem ist er bei der DGK Koordinator für die Nationale Herz-Allianz (NHA) sowie für die Arbeitsgruppen innerhalb der Programmkommission.

 

HERZMEDIZIN: Wie beurteilen Sie den Gesetzesentwurf, der auf dem Impulspapier des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) basiert? Stellt dies einen großen Fortschritt für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland dar?

Baldus: Tatsächlich gibt es jetzt erstmals positive Signale für die Umsetzung von Maßnahmen zugunsten von Patient:innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese Entwicklung sehe ich auch als Ergebnis der gemeinsamen Anstrengung in der Nationalen Herz-Allianz, was natürlich sehr erfreulich ist.

Projekte der Nationalen Herz-Allianz und Bedeutung der Niedergelassenen

 

HERZMEDIZIN: Die Nationale Herz-Allianz (NHA) ist eine Initiative, die 2021 gegründet wurde. Worum geht es dabei?

Baldus: Die Nationale Herz-Allianz ist ein Zusammenschluss von Fachleuten und Interessierten im Bereich der Herz-Kreislauf-Medizin. In ihr finden sich die großen für Herzkreislauf stehenden Fachgesellschaften Deutschlands und die Patientenvertretung wieder: die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK), der Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK), die Deutsche Herzstiftung, die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK), die Arbeitsgemeinschaft Leitende Kardiologische Krankenhausärzte (ALKK), das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR). Das Ziel ist es, einheitlich nach außen aufzutreten und nicht nur Fachleute wie Kardiolog:innen, sondern auch Laien und Patient:innen zu erreichen.

 

HERZMEDIZIN: An welchen Aufgaben und Projekten arbeitet die NHA und welche Rolle spielen dabei insbesondere BNK und Niedergelassene?

Baldus: Anlässlich der Initiierung der NHA-Initiative wurde die von BNK und DGK gemeinsam betriebene Online-Plattform Kardiologie.org in das neue Portal Herzmedizin.de überführt. Dem BNK kommt damit eine Schlüsselrolle auch für die NHA-Projekte zu: Sowohl in der Öffentlichkeitsarbeit über diese Plattform als natürlich auch in der flächendeckenden Umsetzung von jetzt innerhalb der NHA geplanten Pilotprojekten:

So haben wir mit dem Projekt "Früherkennung von Hypercholesterinämie bei Kindern" gestartet, für dessen Umsetzung vor allem die Kinderärzte und -ärztinnen essentiell sind. Aber es wird weitergehen und wir werden in Zukunft Projekte haben, wie zum Beispiel zur Früherkennung der asymptomatischen Herzinsuffizienz. Und hier sind die niedergelassenen Kardiologinnen und Kardiologen für die Diagnosestellung unverzichtbar. Auch bei weiteren NHA-Initiativen, beispielsweise zur Schnittbildgebung, sind die Niedergelassenen entscheidend, um die Vorhaben in die Breite zu tragen. So wie niedergelassene Kardiolog:innen auch schon die zentrale Anlaufstelle für Patient:innen sind bei Fragen rund um invasive Koronardiagnostik.

HERZMEDIZIN: Bleiben wir bei der Niederlassung. Würde eine Umsetzung des Gesetzesentwurfs zusätzlichen Aufwand für die niedergelassenen Kardiologie-Praxen bedeuten?

Baldus: Früherkennung und präventive Maßnahmen obliegen in erster Linie den Allgemeinmediziner:innen beziehungsweise Hausärzt:innen. Zur Umsetzung benötigen wir intelligente Konzepte, welche die Praxen umsetzen können, ohne ihre Kapazitäten zu überfordern. Das hat aus meiner Sicht das BMG auch erkannt.

Andere Projekte wiederum, wie die schon erwähnte Früherkennung von Hypercholesterinämie bei Kindern, betreffen nicht die Hausarztpraxen, sondern primär die Kinder- und Jugendärzt:innen, die sehr motiviert sind, hier mitzumachen. Für die Spitze der Patient:innen – also zum Beispiel Erwachsene mit erhöhten BNP-Spiegeln im Rahmen des Screenings einer Herzinsuffizienz – sind dann in der Tat die niedergelassenen Kardiolog:innen gefragt. Wo wir die Niedergelassenen darüber hinaus brauchen, ist in der Indikationsstellung für die Koronardiagnostik. Die vorgebrachte Sorge, dass hierfür notwendige Zeitslots in den kardiologischen Praxen für solche Patient:innen nicht realisiert werden können, teile ich nicht.

HERZMEDIZIN: In sozialen Medien wird Früherkennung nicht immer positiv aufgenommen. Man mache gesunde Menschen krank, heißt es da mitunter. Was entgegnen Sie solchen Kommentaren?

Baldus: Da habe ich eine ganz klare Meinung und teile die Bedenken nicht, dass hier etwas medizinisch falsch liefe. Wenn wir bei den Kindern bleiben: Es ist doch offensichtlich, dass Früherkennungsmaßnahmen eine Investition in deren Zukunft sind.

Wir wollen doch erreichen, dass die Kinder später als junge Erwachsene kein kardiovaskuläres Ereignis bekommen. Und das Risiko, dass ein Kind mit einer familiären Hypercholesterinämie Atherosklerose entwickelt und damit auch Herzinfarkt und Schlaganfall gefährdet ist, liegt nicht nur auf der Hand, sondern ist in Studien gut belegt.

Es werden nicht Gesunde krank gemacht, sondern es wird eine vorhandene, genetisch bedingte Erkrankung diagnostiziert, um sie zu behandeln. Das sind wir den Kindern schuldig: Programme zu entwickeln, solche Risiken zu erkennen und mit effektiven Medikamenten zu behandeln.

Ökonomische Aspekte bei der Versorgung

 

HERZMEDIZIN: Wie sehen Sie die Umsetzbarkeit von Früherkennungsmaßnahmen vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation?

Baldus: Ich bin überzeugt, dass das deutsche Gesundheitssystem die Kapazitäten hat, sich um solche Risikogruppen zu kümmern. Auf der anderen Seite ist klar, dass das nicht zum Nulltarif passieren kann. Wenn hier zusätzliche Leistungen erbracht werden, müssen diese auch vergütet werden. Das sollte es uns wert sein, hierfür ein gewisses Budget zur Verfügung zu stellen.

Ich wünsche mir, dass die Notwendigkeit der Verbesserung der Herz-Kreislauf-Gesundheit noch mehr in das Zentrum der Diskussion rückt. Wenn das gelingt – durch den Diskurs mit der Politik und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit –, bin ich zuversichtlich, dass es auch für diesen Bereich der Medizin ein offenes Ohr gibt und die Maßnahmen mit der nötigen finanziellen Unterstützung realisiert werden können.

HERZMEDIZIN: Kommunikation ist sicherlich auch ein guter Weg, um klarzustellen, dass Früherkennung und Prävention am Anfang zwar Kosten verursachen, aber perspektivisch hohe Versorgungskosten eingespart werden. Ist diese Kommunikation auch eine der Aufgaben der NHA?

Baldus: Absolut! Wir arbeiten gemeinsam inhaltlich an Projekten, um die Diskussion in der Öffentlichkeit zu fördern und Aufmerksamkeit zu schaffen. Wenn jetzt ein solches Gesetz käme, könnte man fast sagen, dass die Nationale Herz-Allianz in diesem Punkt sogar von der Politik überholt wird – was mit der schönste Erfolg wäre, den man sich vorstellen kann.

HERZMEDIZIN: Wenn man Prävention – neben der Früherkennung – ganz hoch aufhängt, wie schafft man in den bereits vollen Praxen genügend Ressourcen für die Umsetzung?

Baldus: Das ist letztlich auch eine Frage der Budgetierung. Für effektive Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen müssen finanzielle und zeitliche Ressourcen bereitgestellt werden. Wo das in der ambulanten Medizin nicht der Fall ist, braucht es Veränderung. Wir in der NHA werden darauf auch in Zukunft hinweisen und gleichzeitig durch Öffentlichkeitsarbeit in engem Schulterschluss mit der Herzstiftung alle Anstrengungen unternehmen, das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Bedeutung von Prävention zu schärfen.


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