Neuer Lipidsenker: Fast wie eine „Impfung“ gegen hohes Cholesterin

Alle sechs Monate ein kleiner Pieks – und der LDL-Cholesterinspiegel im Blut ist dauerhaft nur noch halb so hoch. Mit dem neuen Wirkstoff Inclisiran scheint das zu klappen, wie drei Phase-III-Studien des ORION-Forschungsprojekts nahelegen. Eine Analyse ihrer gepoolten Daten wurde beim ACC-Kongress vorgestellt.

Von: Peter Overbeck

 

03.04.2020

Der in spezifischer Weise am Enzym PCSK9 (Proprotein Convertase Subtilisin / Kexin type 9) ansetzende Lipidsenker Inclisiran ähnelt zwar nicht im Wirkmechanismus, wohl aber in seiner Applikationsform fast einem Impfstoff: Die Substanz muss nur alle sechs Monate subkutan injiziert werden, um eine anhaltend starke Senkung des LDL-Cholesterins im Blut zu erzielen.

 

 

Erfolg bei Patienten mit heterozygoter FH

Dass davon unter anderem Risikopatienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie (FH) profitieren, belegen die jetzt im „New England Journal of Medicine“ publizierten Daten der ORION-9-Studie. Co-primäre Endpunkte der Studie waren die prozentuale Änderung der LDL-C-Konzentration nach 510 Tagen (17 Monaten) und die LDL-C-Änderung im Zeitmittel für die Phase zwischen 90 Tagen und 540 Tagen (18 Monaten) nach Therapiebeginn im Vergleich zu Placebo.

 

Der mittlere LDL-C-Ausgangswert der insgesamt 482 beteiligten FH-Patienten betrug 153 mg/dl. Nach 17 Monaten registrierten die Untersucher in der zweimal jährlich mit Inclisiran (jeweils 300 mg) behandelten Gruppe eine LDL-Reduktion um 39,7% in Relation zum Ausgangswert, bei einem gleichzeitigen Anstieg um 8,2% in der Placebo-Gruppe. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen  beträgt demnach −47,9 Prozentpunkte (95% Konfidenzintervall [KI] −53.5 bis −42.3; p<0,001).

 

 

LDL-C-Spiegel um fast 50% gesenkt

In der Zeitmittelung für die Phase zwischen 90 und 540 Tagen nach Therapiebeginn ergab sich eine LDL-C-Senkung um 38,1% in der Inclisiran-Gruppe und eine LDL-C-Zunahme um 6,2% in der Placebo-Gruppe relativ zum Ausgangswert.  Der Unterschied zwischen beiden Gruppe beläuft sich in diesem Fall auf  −44,3 Prozentpunkte (95% KI, −48,5 bis −40,1; p<0,001).

 

Die cholesterinsenkenden Effekte von Inclisiran, das additiv zu einer maximal verträglichen Statin-Therapie in Kombination mit Ezetimib (bei mehr als der Hälfte aller Teilnehmer) verabreicht worden war, erwiesen sich als konsistent und unabhängig vom FH-Genotyp der Patienten. In puncto Sicherheit und Verträglichkeit glichen sich Verum- und Placebo-Gruppe.

 

Simultan mit der ORION-9-Studie sind in einem zweiten Beitrag im „New England Journal of Medicine“ in gepoolter Form auch die ORION-10- und ORION-11-Studie publiziert worden. Beide Studien waren zuvor schon separat bei zwei Herzkongressen erstmals vorgestellt worden, ORION-11 beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) Mitte 2019 in Paris und ORION-10 dann im November 2019 beim AHA-Kongress in Philadelphia.

 

Beteiligt daran waren 1561 Patienten mit atherosklerotischen Gefäßerkrankungen (ORION-10l) und  1617 mit atherosklerotischen Gefäßerkrankungen oder entsprechenden Risikofaktoren  (ORION-11), die trotz maximaler Statin-Therapie  erhöhte Cholesterinwerte aufwiesen. Die beiden co-primären Endpunkte der Studien waren die gleichen wie in ORION-9.

 

Die mittleren LDL-C- Ausgangswerte der Teilnehmer betrugen 104,7  mg/dl respektive 105,5 mg/dl. Nach 17 Monaten waren die LDL-C-Werte der Teilnehmer durch Inclisiran im Vergleich zu Placebo um 52,3% (ORION-10) respektive um 49,9% (ORION-11) reduziert worden. In der Zeitmittelung für die Phase zwischen 90 und 540 Tagen nach Therapiebeginn ergaben sich Reduktionen um 53,8% respektive 49,2% (p<0,001 für alle Vergleiche vs. Placebo).

 

 

Neueste Analyse beim ACC-Kongress vorgestellt

Ergebnisse einer kombinierten Auswertung aller drei Phase-III-Studien (ORION-9, -10 und -11), die auf Daten von insgesamt 3660 randomisierten Patienten basiert, hat Dr. Scott Wright von der Mayo Clinic, Rochester, jüngst beim digital inszenierten „virtuellen” Kongress des American College of Cardiology (ACC.20/WCC virtual) vorgestellt. Nicht überraschend ergab auch diese Analyse in der Zeitmittelung für die Phase zwischen 3. und 18. Monat eine stabile Senkung des LDL-Cholesterins um mehr als 50% durch Inclisiran.

 

Zwar war die statistische “power” auch dieser erweiterten „exploratorischen“ Analyse zu gering und die Follow-up-Dauer zu kurz, um Effekte der Lipidsenkung mit Inclisiran auf klinische Ereignisse zuverlässig aufdecken zu können. Gleichwohl zeigte sich, dass diese Behandlung im Vergleich zu Placebo mit einer niedrigeren Rate für kardiovaskuläre Ereignisse (kardiovaskulär verursachter Tod, Herzinfarkt, Herzstillstand, Schlaganfall) assoziiert war (7,1% vs. 9,4%). Triebkraft für diese Reduktion war einer niedrigere Inzidenz von nicht tödlichen Herzinfarkten in der Inclisiren-Gruppe (5,2% vs. 7,8%).

 

 

Große Endpunktstudie ORION-4 ist unterwegs

Abgesehen von zumeist milden Reaktionen an der Injektionssstelle, die in der Inclisiran-Gruppe häufiger als in der Placebo-Gruppe beobachtet wurden, bestanden sich im Hinblick auf unerwünschte Effekte keine relevanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen.

 

Ob die additiv zu anderen Lipidtherapien mit Inclisiran erzielten Lipidveränderungen, zu denen im Übrigen auch eine Reduktion von Lipoprotein (a) zählt, am Ende auch in eine Reduktion von Morbidität und Mortalität münden, ist derzeit unklar. Den Beleg dafür soll die laufende ORION-4-Studie bringen, deren Ergebnisse für 2024 erwartet werden. Anträge auf Marktzulassung von Inclisiran sind aber auf Basis der Daten zur LDL-senkenden Wirkung bei den zuständigen Behörden bereits gestellt worden.

 

 

Wirkung über RNA-Interferenz

Inclisiran ist ein chemisch verändertes Ribonukleinsäure (RNA)-Molekül. Als sogenannte small interfering RNA (siRNA) unterbindet die Substanz intrazellulär die Synthese von PCSK9. Das geschieht durch RNA-Interferenz (RNAi): Die mRNA für PCSK9 wird an der Translation zur Proteinsynthese gehindert und so das Gen für die PCSK9-Synthese quasi abgeschaltet. Damit dies spezifisch in der Leber passiert, enthält Inclisiran als zweite Komponente N-Acetylgalactosamin, das die siRNA gezielt in die Leberzellen lotsen soll.

 

 


Literatur

Scott Wright: Inclisiran Potently And Durably Reduces Ldl-c In A Pooled Analyses Of Phase 3 Studies. Vorgestellt in der Sitzung „Featured Clinical Research 1” beim beim digital präsentierten Kongress des American College of Cardiology 2020 (ACC2020/WCC Virtual)

 

Raal FJ, et al.: Inclisiran for the Treatment of Heterozygous Familial Hypercholesterolemia.  N Engl J Med 2020; DOI: 10.1056/NEJMoa1913805.

 

Ray KK, et al.:  Two Phase 3 Trials of Inclisiran in Patients with Elevated LDL Cholesterol. N Engl J Med 2020; DOI: 10.1056/NEJMoa1912387

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