de Haan: Fast jede 2. Person in Deutschland leidet an Übergewicht und Bluthochdruck. Warum sind die therapeutischen Konzepte und Empfehlungen so schwer umsetzbar?
Mathes: Sowohl beim Risikofaktor Übergewicht als auch in vielen Fällen beim Risikofaktor Bluthochdruck besteht kein unbedingter Leidensdruck, deshalb ist es so schwierig, Patientinnen und Patienten zur Mithilfe zu motivieren. Verzicht auf gutes Essen und Trinken sind nun einmal unpopulär. Es ist deutlich schwieriger, eine gute Blutdruckeinstellung zu erzielen, als die Ziele der Cholesterinsenkung zu erreichen. Noch schwieriger ist es, diese Risikofaktoren im Rahmen der sogenannten Primärprävention anzugehen.
de Haan: Körperliche Bewegung bzw. sportliche Betätigung sind anerkannte Maßnahmen zur positiven Beeinflussung der Arteriosklerose. Welcher Sport ist eher schädlich?
Mathes: Je höher der Ausdaueranteil, desto günstiger ist die Sportart. Sportarten mit raschem Stop-and-go wie Squash und Tennis sind eher ungünstig, weil sie den Sympathikus zu stark aktivieren, damit die Plättchenaggregationsneigung erhöhen und zu thrombotischen Verschlüssen führen können, auch noch Tage nach der Belastung. Das gilt übrigens auch für exzessive Ausdauerbelastungen wie Marathon o. ä. Wettkampfsport ist nichts für Koronarpatientinnen und -patienten.
de Haan: Können wir für die Betroffenen mit chronischer KHK zur Stabilisierung besondere Risikofaktoren ausmachen?
Mathes: Es ist die Summe der Risikofaktoren, die über die weitere Progression der Arteriosklerose entscheiden. Hierbei kommt der Rehabilitation in Deutschland auch heute noch eine zentrale Bedeutung zu, indem sie zumindest in der Sekundärprävention dem Betroffenen klar machen kann, was er persönlich zur Stabilisierung der Gefäßsklerose tun kann.
de Haan: Der Lipidstoffwechsel ist dank neuerer Studienergebnisse und neuartiger Medikamente zu Recht wieder in den Fokus gerückt. Welches sind die häufigsten Fehler in der Behandlung?
Mathes: Sicherlich hat heute der Lipidstoffwechsel zu Recht eine zentrale Rolle bei der Behandlung der Koronarsklerose. Und wir alle sind überrascht von der Bedeutung des LDL-Rezeptors. Aber dies erscheint mir doch zu sehr ökonomisch getrieben zu sein und wir verlieren etwas aus dem Blick: die Eigeninitiative des Betroffenen zu fördern. Denn beispielsweise der Nikotinkonsum ist ein ebenso starker Risikofaktor wie der Lipidstoffwechsel und bisher ist es uns nicht gelungen, ein nachhaltiges Konzept dafür zu entwickeln. Hier ist der Kardiologe als Pädagoge gefordert.
de Haan: Nach unkompliziertem Herzinfarkt, d. h. keiner Einschränkung der Ventrikelfunktion und kein Ischämienachweis, ist sportliche bzw. bewegliche Betätigung in vollem Umfang gestattet?
Mathes: In jedem Fall ist sportliche Betätigung im Sinne von Ausdauersport zu empfehlen. Dabei müssen die Konzepte da ansetzen, wo die Patientinnen oder Patienten stehen, d. h. welche Ausdauerbelastung ist überhaupt machbar? Das muss individuell am besten schon während der Rehabilitation besprochen werden, und dann muss von nachbetreuenden Kardiologinnen oder Kardiologen immer wieder motiviert werden, nicht nachzulassen.
Patientinnen und Patienten sollten ein Gefühl dafür entwickeln, wie es ihrem Herzen geht. Es muss erklärt werden, welche Symptome die Grenze der Belastbarkeit anzeigen. Es muss Mut gemacht werden, auch einfache Ausdauerbelastungen regelmäßig durchzuführen. Dabei können durchaus Ressourcen eines Fitness-Studios mit regelmäßigen Ergometrien, die aber überwacht werden sollen, genutzt werden. Das Instrument der Borg-Skala muss Trainern und Betroffenen bekannt sein.
de Haan: Haben Sie persönlich für sich und Ihre Familie eine optimale Lebensweise gefunden bzgl. des CV-Risikos?
Mathes: Früher war ich begeisterter Bergsteiger und Skifahrer. Das kann ich wegen Kniegelenksersatzes nicht mehr ausüben. Aber entspannte Golfrunden sowie zusätzliches Schwimmen gehen, Radfahren und Dauerlauf halten mich fit.