Zeitzeugen-Interview: Prof. Peter Mathes

 

Mit Zeitzeugen-Interviews möchte das Historische Archiv der DGK unter Leitung von Dr. Fokko de Haan, spannende historische Entwicklungen aufzeigen und die Lebenswege bedeutender Persönlichkeiten der Kardiologie nachzeichnen. Der Blick in die Vergangenheit hilft, den heutigen Stand und zukünftige Entwicklungen in der Welt der Kardiologie besser zu verstehen.


Im September 2020 sprach Dr. Fokko de Haan mit Prof. Peter Mathes.

Von:

Dr. Fokko de Haan

Historisches Archiv der DGK

 

21.05.2025

 

Bildquelle (Bild oben): kanetmark / Shutterstock.com

de Haan: Als Kind des Ruhrgebietes wurden Sie 1940 in Essen geboren. Was waren die wichtigsten Erlebnisse und Erkenntnisse der Kriegs- und Nachkriegsjahre für Sie? 

 

Mathes: Das waren aufregende Jahre. Als Kinder … zerschossene Panzer und LKW, wo wir verbotenerweise herumbastelten. Es kam aber auch vor, dass wir in den Ruinen der Essener Innenstadt Ziegel abklopften und sie für 1 Pfennig das Stück verkauften. 

 

de Haan: Ihr Vater war Internist – das spielte sicher eine Rolle bei Ihrer Berufswahl. War Ihre Mutter auch Medizinerin? Hatten Sie Geschwister? 

 

Mathes: Mein Vater war leitender Internist in der Essener Uniklinik und sehr daran interessiert, dass ich Arzt wurde. Meine Mutter war Volkswirtin. Eine Schwester ist in jungen Jahren verstorben. 

 

de Haan: 1965 heirateten Sie und haben 2 Kinder und 3 Enkelkinder. Auch Mediziner dabei? 

 

Mathes: Meine Frau ist ebenfalls Ärztin, hat aber den Beruf wegen der Familie nie ausgeübt. Mein Sohn ist niedergelassener Nephrologe und meine Tochter als Galeristin tätig.

 

 

Zur Person

Prof. Peter Mathes

Prof. Peter Mathes leitete von 1979 bis 2000 die Klinik Höhenried für Herz- und Kreislaufkrankheiten am Starnberger See und von 2000 bis 2020 die Kardiologie am Rehabilitationszentrum München. Er setzte sich auf nationaler und internationaler Ebene für die Verbesserung der kardiovaskulären Rehabilitation ein.

Prof. Peter Mathes

   

   

In den USA fällt die Entscheidung für die Kardiologie

 

de Haan: Nach dem Staatsexamen und der Approbation 1967 zog es Sie für mehrere Jahre (bis 1972) in die USA. Dort arbeiteten Sie in New Jersey, Detroit und Rochester. Was waren die prägendsten Eindrücke? 

 

Mathes: In Amerika wurden mit dem sog. Ventor-Programm Volontär-Ärztinnen und -Ärzte für die Versorgung der Patientenschaft gesucht. Da ich in meinen ersten Berufsjahren sehr unzufrieden und enttäuscht war von der internistischen und auch der chirurgischen Ausbildung wegen mangelhafter diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten griff ich zu und habe diesen Schritt nie bereut. Ich lernte in den USA erstmals eine Coronary Care Unit (CCU) kennen und war begeistert von der Kompetenz des diensthabenden Ärzte- und Pflegepersonals. Die erste Defibrillation hat mich außerordentlich beeindruckt! Danach stand mein Berufswunsch fest: Ich wollte Kardiologe werden!

 

de Haan: Möglicherweise angeregt durch namhafte Lehrende in den USA beschäftigten Sie sich mit dem Energiestoffwechsel und Katecholaminstoffwechsel des infarzierten Herzens. Ist das bis heute Ihre Passion? Waren die Erlebnisse dort richtungsweisend für die Entscheidung, Kardiologe werden zu wollen? 

 

Mathes: Mir war klar, dass ich als angehender Kardiologe zunächst einmal die theoretischen und experimentellen Grundlagen lernen musste. Begeistert war ich von meinem Mentor Richard J. Bing, aber auch von den Ärztinnen und Ärzten an der Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota, wo ich einige Jahre arbeiten konnte. Mich beschäftigten die Untersuchungen zum Intermediär- und Katecholamin-Stoffwechsel beim experimentellen Herzinfarkt.  

 

Die Jahre in Amerika waren sehr arbeitsintensiv, aber für mich die schönsten Jahre. Nicht nur die Kompetenz des Ärzte- und Pflegepersonals, sondern auch die Möglichkeiten und die Atmosphäre waren faszinierend. Ich wäre gerne in den USA geblieben, dies setzte aber voraus, dass ich zwei Jahre als Soldat im Vietnamkrieg Dienst tun müsste. Dies wollte ich mir und meiner Familie ersparen. Daher ging ich zurück nach Deutschland.

 

Engagement für die kardiovaskuläre Reha

 

de Haan: Von 1973 bis 1979 arbeiteten Sie in der Medizinischen Klinik I rechts der Isar der TH München bei Prof. Blömer. Wissenschaftlich beschäftigten Sie sich mit der Ventrikelfunktion des infarzierten Herzens – warum wurden Sie nicht interventioneller Kardiologe? 

 

Mathes: Nach Rückkehr aus den USA war ich kurz in Mainz tätig unter Prof. Just und Prof. Schölmerich. Ich konnte aber in keine Arbeitsgruppe aufgenommen werden, und daher beschloss ich, nach München zu gehen. Die Jahre bei Prof. Blömer waren gekennzeichnet durch eine vielfältige klinische Tätigkeit, verbunden mit wissenschaftlicher Tätigkeit. Ventrikelfunktion nach Herzinfarkt war für mich das beherrschende Thema. In diesen Jahren kam es zu einem beispiellosen Aufschwung der Herzkatheter-Diagnostik. Die perkutane Intervention war noch nicht etabliert, es blieben einzig und allein die chirurgischen Möglichkeiten der Bypass-Operation, und die stand nicht ausreichend in Deutschland zur Verfügung. Wir erinnern uns, dass viele Betroffene in dieser Zeit ins Ausland verlegt werden mussten. 

 

de Haan: Über 20 Jahre – von 1979 bis 2000 – leiteten Sie eine der namhaftesten Reha-Kliniken Deutschlands in Höhenried. Später leiteten Sie das Reha-Zentrum in München. Was hat sich in den Jahren in Sachen Reha geändert? Hat sich die Klientel geändert? 

 

Mathes: Von Anfang an war die Person mit einem erlittenen Herzinfarkt das, was mich besonders interessierte. Sowohl die konservative und die chirurgische Versorgung in der Klinik als auch die anschließende Nachsorge und die sich allmählich herausschälenden Risikofaktoren interessierten mich besonders.  

Das Patientenklientel hat sich grundsätzlich nicht geändert. Die häufige Vielzahl der Risikofaktoren bedeutet eben, dass eine effektive Nachsorge und damit Prävention nicht nur einen Risikofaktor behandlungsbedürftig macht, wie es heute manchmal in den Vordergrund geschoben wird.

 

de Haan: In Deutschland hat die kardiovaskuläre Reha einen weltweit einmaligen Stellenwert. Sie selbst waren Präsident der DGPR (2004) und waren auf europäischer Ebene führend tätig (1984 Gründung der „Europ. Ass. for CV-Prevention and Rehabilitation“). Müssen die Konzepte 2020 modernisiert werden? 

 

Mathes: Für mich war es sehr wichtig, meine Vorstellung zur Nachsorge von Infarkt-Betroffenen auf nationaler und internationaler Ebene in den Arbeitsgruppen zu diskutieren. So war ich gemeinsam mit Prof. Donat, Hamburg, Gründer der Arbeitsgruppe „Rehabilitation“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und gemeinsam mit Prof. Mulcahy Gründer der „Working Group on Cardiac Rehabilitation“ der ESC (heute: „Association for Prevention and Rehabilitation“ mit ca. 2.000 Mitgliedern).  

Die weltweite Bedeutung der Rehabilitation führte dazu, dass von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Expertenkommission eingesetzt wurde, die weltweit gültige Empfehlungen erarbeitete. Hier war ich Co-Chairman.  

 

Die Konzepte zur Rehabilitation nach Herzinfarkt haben sich grundsätzlich verändert: Noch in den Siebzigerjahren war es Standard, jedem Behandelten etwa 6 Wochen strenge Bettruhe zu verordnen. Nach Einführung der invasiven Diagnostik mit ggfs. anschließender Bypass-Operation gewannen viele Patientinnen und Patienten hierdurch neue Perspektiven und neue Lebensqualität. Erst später wurde die Intervention an den Koronararterien der Standard.  

 

Mein Bestreben war es immer, das gesamte Konzept der Rehabilitation nach dem Herzinfarkt auf möglichst breite wissenschaftliche Basis zu stellen. Die Rehabilitation entwickelt sich zunehmend zu einem pädagogischen Konzept, bei dem der Gewinn an Lebensfreude, Belastbarkeit und Fitness der zentrale Punkt ist, der Betroffenen unmittelbar vor Augen führt, welchen Gewinn sie davon haben. Dies ist der beste Anreiz, um die Person zu motivieren, ihre Risikofaktoren positiv zu beeinflussen.

 

Empfehlungen zu Risikofaktoren und Sport

 

de Haan: Fast jede 2. Person in Deutschland leidet an Übergewicht und Bluthochdruck. Warum sind die therapeutischen Konzepte und Empfehlungen so schwer umsetzbar? 

 

Mathes: Sowohl beim Risikofaktor Übergewicht als auch in vielen Fällen beim Risikofaktor Bluthochdruck besteht kein unbedingter Leidensdruck, deshalb ist es so schwierig, Patientinnen und Patienten zur Mithilfe zu motivieren. Verzicht auf gutes Essen und Trinken sind nun einmal unpopulär. Es ist deutlich schwieriger, eine gute Blutdruckeinstellung zu erzielen, als die Ziele der Cholesterinsenkung zu erreichen. Noch schwieriger ist es, diese Risikofaktoren im Rahmen der sogenannten Primärprävention anzugehen. 

 

de Haan: Körperliche Bewegung bzw. sportliche Betätigung sind anerkannte Maßnahmen zur positiven Beeinflussung der Arteriosklerose. Welcher Sport ist eher schädlich? 

 

Mathes: Je höher der Ausdaueranteil, desto günstiger ist die Sportart. Sportarten mit raschem Stop-and-go wie Squash und Tennis sind eher ungünstig, weil sie den Sympathikus zu stark aktivieren, damit die Plättchenaggregationsneigung erhöhen und zu thrombotischen Verschlüssen führen können, auch noch Tage nach der Belastung. Das gilt übrigens auch für exzessive Ausdauerbelastungen wie Marathon o. ä. Wettkampfsport ist nichts für Koronarpatientinnen und -patienten. 

 

de Haan: Können wir für die Betroffenen mit chronischer KHK zur Stabilisierung besondere Risikofaktoren ausmachen? 

 

Mathes: Es ist die Summe der Risikofaktoren, die über die weitere Progression der Arteriosklerose entscheiden. Hierbei kommt der Rehabilitation in Deutschland auch heute noch eine zentrale Bedeutung zu, indem sie zumindest in der Sekundärprävention dem Betroffenen klar machen kann, was er persönlich zur Stabilisierung der Gefäßsklerose tun kann. 

 

de Haan: Der Lipidstoffwechsel ist dank neuerer Studienergebnisse und neuartiger Medikamente zu Recht wieder in den Fokus gerückt. Welches sind die häufigsten Fehler in der Behandlung? 

 

Mathes: Sicherlich hat heute der Lipidstoffwechsel zu Recht eine zentrale Rolle bei der Behandlung der Koronarsklerose. Und wir alle sind überrascht von der Bedeutung des LDL-Rezeptors. Aber dies erscheint mir doch zu sehr ökonomisch getrieben zu sein und wir verlieren etwas aus dem Blick: die Eigeninitiative des Betroffenen zu fördern. Denn beispielsweise der Nikotinkonsum ist ein ebenso starker Risikofaktor wie der Lipidstoffwechsel und bisher ist es uns nicht gelungen, ein nachhaltiges Konzept dafür zu entwickeln. Hier ist der Kardiologe als Pädagoge gefordert. 

 

de Haan: Nach unkompliziertem Herzinfarkt, d. h. keiner Einschränkung der Ventrikelfunktion und kein Ischämienachweis, ist sportliche bzw. bewegliche Betätigung in vollem Umfang gestattet? 

 

Mathes: In jedem Fall ist sportliche Betätigung im Sinne von Ausdauersport zu empfehlen. Dabei müssen die Konzepte da ansetzen, wo die Patientinnen oder Patienten stehen, d. h. welche Ausdauerbelastung ist überhaupt machbar? Das muss individuell am besten schon während der Rehabilitation besprochen werden, und dann muss von nachbetreuenden Kardiologinnen oder Kardiologen immer wieder motiviert werden, nicht nachzulassen.

 

Patientinnen und Patienten sollten ein Gefühl dafür entwickeln, wie es ihrem Herzen geht. Es muss erklärt werden, welche Symptome die Grenze der Belastbarkeit anzeigen. Es muss Mut gemacht werden, auch einfache Ausdauerbelastungen regelmäßig durchzuführen. Dabei können durchaus Ressourcen eines Fitness-Studios mit regelmäßigen Ergometrien, die aber überwacht werden sollen, genutzt werden. Das Instrument der Borg-Skala muss Trainern und Betroffenen bekannt sein. 

 

de Haan: Haben Sie persönlich für sich und Ihre Familie eine optimale Lebensweise gefunden bzgl. des CV-Risikos? 

 

Mathes: Früher war ich begeisterter Bergsteiger und Skifahrer. Das kann ich wegen Kniegelenksersatzes nicht mehr ausüben. Aber entspannte Golfrunden sowie zusätzliches Schwimmen gehen, Radfahren und Dauerlauf halten mich fit.

 

 

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