Stärken und Schwächen der neuen Gesundheitsgesetze

 

DGK-Jahrestagung 2025 | Gesundheitspolitik: Was bringen Krankenhaus-, Versorgungs- und Notfallreform mit sich? In der Session „Ambulante fachärztliche Versorgung – eine Bestandsaufnahme“ gab Rechtsanwalt Thorsten Ebermann, Rubrikleiter Medizin & Recht, einen Überblick. In seinem Vortrag „Neue Gesetze (KHVVG; GVSG) und geplante Reformen (Notfallversorgung) im Gesundheitswesen – eine kritische Auseinandersetzung“ warf er zudem einen Blick in den Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

28.04.2025

 

Bildquelle (Bild oben): m:con / Ben van Skyhawk

Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG)

 

Das KHVVG, am 12. Dezember 2024 in Kraft getreten, verfolgt primär das Ziel, die stationären Versorgungsstrukturen zu verbessern. Zentrale Elemente sind neue Vergütungsstrukturen mit Leistungsgruppen und Versorgungsstufen sowie eine Krankenhausplanung, die qualitätsorientiert sein soll. Nicht jeder Landkreis, jede Stadt dürfe künftig eine Klinik betreiben, so Ebermann. Vielmehr setze das Gesetz auf Spezialisierung und Zentralisierung. Das bedeutet für manche Patientinnen und Patienten längere Anfahrtswege, was aber für das Qualitätsziel in Kauf genommen werde. Zusätzlich betont das Gesetz Ambulantisierungspotenziale und sieht Mindestanforderungen für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität vor sowie strukturelle Veränderungen durch Leistungsgruppen und Vorhaltepauschalen, um das reine Fallpauschalen-System abzulösen.


Für die Kardiologie bringt das KHVVG u. a. spezifische Leistungsgruppen sowie Mindestmengen und Personalvorgaben mit sich, was sich auch auf die Notfallversorgung auswirkt. Es könnte in kleineren Krankenhäusern zum „Fallenlassen“ der gesamten Kardiologie führen, dafür aber zur Aufrüstung in den größeren Einrichtungen – Ebermann sprach von „Fluch und Segen“ zugleich.


Als Stärke des KHVVG sieht Ebermann die Qualitätsorientierung mit dem Potenzial einer besseren Patientenversorgung sowie eine mögliche wirtschaftliche Stabilisierung vieler Kliniken, die zuletzt unter Insolvenzdruck standen. Schwächen seien hingegen die komplexen Umsetzungshürden, unklare Finanzierungsstrukturen und drohende Versorgungslücken in strukturschwachen Regionen – ein „Kollateralschaden“, den die Politik in Kauf nehme.

Thorsten Ebermann auf DGK Jahrestagung 2025 DGK Jahrestagung 2025: Rechtsanwalt Thorsten Ebermann über Stärken und Schwächen der neuen Gesundheitsgesetze. (Bildquelle: HKM / DGK)

Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)

 

Das GVSG, am 1. März 2025 in Kraft getreten, fokussiert auf eine Stärkung der ambulanten Versorgung. Wesentliche Elemente sind die vollständige Entbudgetierung sowie Versorgungs- und Vorhaltepauschalen in der hausärztlichen Versorgung, die Entbudgetierung für Neupatientinnen und -patienten in anderen Fachbereichen, die Förderung von Niederlassungen in unterversorgten Regionen, mögliche Neustrukturierungen in der fachärztlichen Versorgung sowie – „besser spät als nie“ – ein Ausbau von Digitalisierung und Telemedizin.


Es könnte ein erster vorsichtiger Impuls sein, dass derartige Maßnahmen auch für Facharztgruppen ausgeweitet werden und man so von der systembedingten „Stechuhr-Mentalität“ wegkomme. Dies sei aber zum aktuellen Zeitpunkt nicht vorgesehen. Es besteht die Hoffnung, dass sich die hausärztliche Entbudgetierung auf das Überweisungsverhalten und die Zusammenarbeit zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung positiv auswirken könnte. Unbedingt zu vermeiden sei, dass die ambulant bzw. vertragsärztlich tätigen Kardiologinnen und Kardiologen nicht zwischen der Stärkung des stationären Sektors (Kliniken) einerseits sowie der Stärkungen der hausärztlichen Versorgung andererseits als geschwächte Facharztgruppe hervorgehen. Dies einmal mehr mit Blick auf die aktuellen Verhandlungen zur neuen Gebührenordnung für Ärzte und Ärztinnen (GOÄ). Wichtig sei, so Ebermann, eine Stärkung und Stabilisierung aller drei Bereiche: stationärer, fachärztlicher sowie hausärztlicher. Nur so sei eine nachhaltige und qualitativ wertige und sinnvolle Patientenversorgung auch künftig möglich.


Stärken des GVSG seien die Verbesserung in der hausärztlichen Versorgung sowie die Förderung unterversorgter Regionen, auch um das Wegfallen kleinerer Krankenhäuser vor Ort aufgrund des KHVVG aufzufangen. Die Flexibilisierung des ambulanten Sektors und klare Digitalisierungsimpulse seien weitere Pluspunkte. Weiterhin kritisch sieht Ebermann u. a. die entstehende finanzielle Mehrbelastung der GKV. Zudem müsse sich zeigen, ob es zu einer Mengenausweitung ohne Qualitätsverbesserung komme.

Gesetz zur Reform der Notfallversorgung

 

Die geplante Notfallreform, derzeit noch im laufenden Verfahren, reagiert auf überlastete Notaufnahmen, fehlende Patientensteuerung und unklare Zuständigkeiten. Durch integrierte Notfallzentren (INZ), ein gemeinsames Notfallleitsystem mit standardisierter Ersteinschätzung (Triage) und digitale Unterstützungsangebote soll dem begegnet werden.


Stärken der Notfallreform seien eine bessere Patientensteuerung und eine konzentrierte Ressourcennutzung mit dem Potenzial die Notaufnahmen tatsächlich zu entlasten. Schwächen seien jedoch unklare Zuständigkeiten im Übergangszeitraum, komplexe Governance-Strukturen, regionale Umsetzungshürden und der Infrastrukturbedarf.

  • Akute Fälle werden künftig nicht mehr über Terminservicestellen vermittelt, sondern durch sogenannte „Akutleitstellen“ unter der Rufnummer 116117.
  • Die Akutleitstellen führen eine standardisierte Ersteinschätzung der Beschwerden durch.
  • Basierend auf dieser Einschätzung erfolgt die Vermittlung in die passende Behandlung.
  • Während der regulären Sprechstundenzeiten werden Patienten bevorzugt an vertragsärztliche Praxen verwiesen.
  • Die Rufnummern 112 und 116117 arbeiten künftig verbindlich zusammen und müssen digital vernetzt sein, um Patientendaten ohne Medienbrüche auszutauschen.
  • Unter der 116117 stehen rund um die Uhr telemedizinische und aufsuchende Notdienste zur Verfügung.
  • Anrufende in den Akutleitstellen können nach der Ersteinschätzung telefonisch oder per Videosprechstunde behandelt werden, nach Möglichkeit fallabschließend.

  • Integrierte Notfallzentren (INZ) werden als neue Struktur für Notfälle flächendeckend eingerichtet.
  • INZ bieten rund um die Uhr eine zentrale Anlaufstelle für die medizinische Erstversorgung.
  • Sie befinden sich im oder an einem Krankenhausstandort und vereinigen digital vernetzt Krankenhaus-Notaufnahme, Notdienstpraxis und eine zentrale Einschätzungsstelle („gemeinsamer Tresen“).
  • Notdienstpraxen in INZ unterliegen gesetzlich festgelegten Mindestöffnungszeiten, insbesondere abends und am Wochenende.
  • Wenn die Notdienstpraxen geschlossen sind, übernehmen nahegelegene niedergelassene Praxen („Kooperationspraxen“) während regulärer Sprechstundenzeiten die ambulante Versorgung.
  • Falls weder Notdienstpraxis noch Kooperationspraxis verfügbar sind (z. B. nachts), erfolgt die Versorgung durch die Krankenhaus-Notaufnahme.
  • Der „Tresen“ steuert Patientinnen und Patienten anhand eines standardisierten Verfahrens entweder zur Notdienstpraxis oder zur Krankenhaus-Notaufnahme.

  • Die Versorgung mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten für Patientinnen und Patienten aus Notdienstpraxen wird verbessert.
  • Dies erfolgt durch die Einführung von Versorgungsverträgen zwischen Notdienstpraxen und öffentlichen Apotheken.

  • Der Rettungsdienst soll als eigenständiger Leistungsbereich in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aufgenommen werden.
  • Der Rettungsdienst soll digital mit anderen Akteuren der Notfall- und Akutversorgung über die Telematikinfrastruktur vernetzt werden.
  • Geplant sind bundesweite Mindeststandards im Rettungsdienst.

Koalitionsvertrag und Handlungsempfehlungen

 

Im Koalitionsvertrag (unter Punkt 4.2 „Gesundheit und Pflege“) spielt die Ambulantisierung eine wichtige Rolle. Dies wird auch über die bereits umgesetzten und geplanten Gesetze hinaus fortgeführt – unter anderem sind im Vertrag Termin- und Versorgungsgarantien sowie eine zu stärkende sektorenübergreifende Versorgung inklusive der Weiterentwicklung von Hybrid-DRGs aufgeführt. Zudem wird eine Veränderung des ärztlichen Honorarsystems angestrebt.

 

Insgesamt sieht Ebermann einen umfassenden Transformationsprozess des Gesundheitssystems mit Chancen und Risiken für die kardiovaskuläre Medizin. Er empfiehlt den kardiologischen Akteurinnen und Akteuren ein proaktives Handeln durch strategische Netzwerkbildung mit Kooperationspartnern, Investitionen in digitale Infrastrukturen und Telemedizin und die Entwicklung integrierter Versorgungskonzepte.

Im Koalitionsvertrag heißt es zur ambulanten Versorgung wie folgt:

 

4.2. Gesundheit und Pflege

 

Wir wollen eine gute, bedarfsgerechte und bezahlbare medizinische und pflegerische Versorgung für die Menschen im ganzen Land sichern. Dafür wagen wir tiefgreifende strukturelle Reformen, stabilisieren die Beiträge, sorgen für einen schnelleren Zugang zu Terminen und verbessern die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen.


[…]


Ambulante Versorgung


Die ambulante Versorgung verbessern wir gezielt, indem wir Wartezeiten verringern, das Personal in ärztlichen Praxen entlasten und den Zugang zu Fachärztinnen und Fachärzten bedarfsgerecht und strukturierter gestalten. Die telefonische Krankschreibung werden wir so verändern, dass Missbrauch zukünftig ausgeschlossen ist (zum Beispiel Ausschluss der Online-Krankschreibung durch private Online-Plattformen).


Zu einer möglichst zielgerichteten Versorgung der Patientinnen und Patienten und für eine schnellere Terminvergabe setzen wir auf ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag. Ausnahmen gelten bei der Augenheilkunde und der Gynäkologie. Für Patientinnen und Patienten mit einer spezifischen schweren chronischen Erkrankung werden wir geeignete Lösungen erarbeiten (zum Beispiel Jahresüberweisungen oder Fachinternist als steuernder Primärarzt im Einzelfall). Die Primärärztinnen und Primärärzte oder die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) betriebene Rufnummer 116 117 stellen den medizinisch notwendigen Bedarf für einen Facharzttermin fest und legen den dafür notwendigen Zeitkorridor (Termingarantie) fest. Wir verpflichten die KV, diese Termine zu vermitteln. Gelingt dies nicht, wird der Facharztzugang im Krankenhaus ambulant für diese Patientinnen und Patienten ermöglicht. Zudem schaffen wir die flächendeckende Möglichkeit einer strukturierten Ersteinschätzung über digitale Wege in Verbindung mit Telemedizin.

 

Wir stärken die sektorenübergreifende Versorgung. Im Zuge dessen entwickeln wir sektorenunabhängige Fallpauschalen (Hybrid-DRGs) weiter und ermöglichen sie umfassend. Damit verschränken wir Angebote im ambulanten und stationären Bereich.

 

Wir erlassen ein Gesetz zur Regulierung investorenbetriebener Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ-Regulierungsgesetz), das Transparenz über die Eigentümerstruktur sowie die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel sicherstellt.


Wir verändern das Honorarsystem im ärztlichen Bereich mit dem Ziel, die Anzahl nicht bedarfsgerechter Arztkontakte zu reduzieren (Jahrespauschalen). Durch Flexibilisierung des Quartalsbezugs ermöglichen wir neuen Patientinnen und Patienten einen besseren Zugang und die Vergütung von Praxis-Patienten-Kontakten. Wir stärken die Kompetenzen der Gesundheitsberufe in der Praxis. Wir ermöglichen, dass mehr Ärztinnen und Ärzte ihre Weiterbildung in der Allgemeinmedizin in einer Arztpraxis absolvieren können (zwei pro Weiterbilder) und bauen die Kapazitäten der Weiterbildungsstellen für Kinderärztinnen und Kinderärzte aus.

 

Wir stärken die Länderbeteiligung in den Zulassungsausschüssen über eine ausschlaggebende Stimme und ermöglichen eine kleinteiligere Bedarfsplanung. Wir schaffen einen Fairnessausgleich zwischen über- und unterversorgten Gebieten: Wir prüfen eine Entbudgetierung von Fachärztinnen und Fachärzten in unterversorgten Gebieten. Dort können universitäre Lehrpraxen vereinfacht ausgebracht werden. Außerdem gibt es in (drohend) unterversorgten Gebieten Zuschläge zum, in überversorgten Gebieten (größer 120 Prozent) Abschläge vom Honorar. Dabei definieren wir auch den Versorgungsauftrag und ermöglichen den Ländern, die Bedarfsplanung für Zahnärztinnen und Zahnärzte selbst vorzunehmen.

 

Wir schaffen eine gesetzliche Regelung, die die Sozialversicherungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten im Bereitschaftsdienst der Krankenversicherung ermöglicht und bringen Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform auf den Weg. Bei medizinischen Behandlungen stärken wir Patientinnen und Patienten gegenüber den Behandelnden. Wir entwickeln das Hospiz- und Palliativgesetz im Sinne der sorgenden Gemeinschaften weiter und tragen den besonderen Bedürfnissen von Eltern von Sternenkindern Rechnung.

Zur Person

Thorsten Ebermann

Rechtsanwalt Thorsten Ebermann ist Geschäftsführer des Bundesverbands Niedergelassener Kardiologen (BNK) und Fachanwalt für Straf- sowie Medizinrecht. Seine Schwerpunkte umfassen u. a. die Beratung von Praxen und Unternehmen im Wirtschaftsstrafrecht, die Ausgestaltung und Implementierung von Compliance- und Hinweisgeberschutzsystemen sowie die Durchführung interner Untersuchungen.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

 

  • Ebermann T. Neue Gesetze (KHVVG; GVSG) und geplante Reformen (Notfallversorgung) im Gesundheitswesen – eine kritische Auseinandersetzung. Sitzung: Ambulante fachärztliche Versorgung – eine Bestandsaufnahme. DGK-Jahrestagung 2025, 23.–26. April, Mannheim.

Das könnte Sie auch interessieren

Verbesserung der Impfquote in Deutschland

DGK-Jahrestagung 2025 | Prof. S. Baldus über die Ziele der Awareness-Kampagne „Herz ist Impf“ von der Nationalen Herz-Allianz.

Pulmonalisdruck-Monitoring bei Herzinsuffizienz

DGK-Jahrestagung 2025 | Hämodynamisches Remote-Monitoring zur Risikovorhersage bei Herzinsuffizienz. Von Prof. C. Angermann und Prof. B. Aßmus.

Videointerview: Ultra-Niedrigtemperatur-Cryoablation

Heart Rhythm 2025 | Novel ultra-low-temperature cryoablation: Prof. R. Tilz zu neuartigem Ultra-Niedrigtemperatur-Cryoablationssystem.

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen