Grippeimpfungen: Kardiovaskuläre Risikoreduktion bei chronisch Erkrankten

 

AHA Congress 2025 | Eine Influenza-Infektion ist ein vorübergehender Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse. Eine vordefinierte Instrumentvariablen-Analyse führte Daten aus den NUDGE-FLU-CHRONIC- und NUDGE-FLU-CHRONIC-2-Studien zusammen, um den kausalen Effekt von Influenza-Impfungen auf kardiovaskuläre Endpunkte zu schätzen. Die Ergebnisse wurden auf dem AHA-Kongress vorgestellt.

 

Prof. Stephan H. Schirmer (Kaiserslautern) kommentiert. 

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar:

Prof. Stephan H. Schirmer
Kardiopraxis Schirmer, Kaiserslautern

 

17.11.2025

 

Bildquelle (Bild oben): f11photo / Shutterstock.com

Studiendesign und Methodik

 

NUDGE-FLU-CHRONIC1 und NUDGE-FLU-CHRONIC-22 waren zwei identisch konzipierte, landesweite, registerbasierte, randomisierte Studien, die in aufeinanderfolgenden Grippesaisons (2023/2024 und 2024/2025) in Dänemark durchgeführt wurden. Beide Studien schlossen Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren ein, die aufgrund bestehender chronischer Erkrankungen Anspruch auf eine kostenlose Grippeimpfung hatten. Die Teilnehmenden wurden im Verhältnis 2,45:1:1:1:1:1:1 entweder der Standardversorgung oder einem von 6 digitalen Anschreiben zugeteilt, mit denen verhaltenswissenschaftliche Konzepte zur Förderung der Impfbereitschaft geprüft wurden. Kardiovaskuläre Ereignisse waren vordefinierte explorative Endpunkte.

Ergebnisse

 

Insgesamt wurden 608.859 Personen-Saisons von 348.732 individuellen Teilnehmenden eingeschlossen; 170.901 (28,1 %) wiesen zu Studienbeginn eine kardiovaskuläre Erkrankung auf. Die Randomisierung zu einem der sechs Anschreiben erhöhte die Grippeimpfquote von 26,0 % auf 38,0 %. Auch die COVID-19-Impfquote stieg von 17,3 % auf 27,0 %. Das bestätigt Anschreiben als effektive Strategie zur Erhöhung der Impfquote.


Die Instrumentvariablen-Analyse zeigte, dass die Grippeimpfung das Risiko für schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) signifikant verringerte (absolute Risikodifferenz: -0,35 %; 95 %KI [-0,70 %; -0,01 %]; p=0,049) sowie das Risiko für Herzinsuffizienz (-0,23 %; 95%KI [-0,45 %; -0,01 %]; p=0,038). Dies entspricht einer „Number Needed to Vaccinate“ (NNV) von 285 bzw. 435.

Fazit

 

In der Instrumentvariablen-Analyse mit über 600.000 Teilnehmenden zeigte sich, dass die Influenzaimpfung das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Patientinnen und Patienten mit bestehenden chronischen Erkrankungen verringern kann, insbesondere durch eine Reduktion des Herzinsuffizienz-Risikos. Aufgrund des gleichzeitig deutlichen Anstiegs der COVID-19-Impfquote könnte der beobachtete Effekt jedoch auch auf eine kombinierte Wirkung von Influenza- und COVID-19-Impfung zurückzuführen sein.

Expertenkommentar

 

Die Kopenhagener Arbeitsgruppe um Tor Biering-Sørensen hatte bereits 2023 gezeigt, dass insbesondere Informationen zum kardiovaskulären Nutzen einer Impfung die (in Dänemark im Risikokollektiv der >64-Jährigen im Vergleich zu Deutschland fast zweimal so hohe) Impfrate signifikant steigern kann. Weitere Analysen auch von <65 Jahre alten Patientinnen und Patienten mit chronischer Vorerkrankung (NUDGE-FLU-CHRONIC1 und NUDGE-FLU-CHRONIC-2) in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zeigten auch hier den günstigen Effekt einer (wiederholten) Aufklärung über den kardiovaskulären Nutzen, versendet über den in Dänemark gängigen elektronischen Postverkehr. In beiden Analysen mit je ca. 300.000 Teilnehmenden waren explorative kardiovaskuläre Endpunkte teilweise im Trend reduziert, jedoch nicht statistisch signifikant. 


In der jetzigen gepoolten Untersuchung beider Studien fand man nicht nur einen Anstieg der Influenza- und auch der Covid19-Impfraten, sondern eine statistisch signifikante Reduktion der MACE-Rate um absolute 0,35 % sowie von Herzinsuffizienz-Endpunkten um 0,23 %.


Die großen dänischen NUDGE-Studien sind aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Sie zeigen die Möglichkeit einer Analyse sehr großer Patienten-(Teilnehmer-)Zahlen in einem praxisnahen Ansatz, der unter anderem durch den ab 2026 dort ausschließlich verfügbaren elektronischen Briefverkehr ermöglicht wird. Zum anderen unterstützen sie die auch in Deutschland bestehende Notwendigkeit einer Aufklärung der Patienten über den kardiovaskulären Nutzen von Schutzimpfungen, der (auch) hierzulande unzureichende perzipiert wird. Die in der aktuellen Analyse errechnete number needed to vaccinate ist nicht niedrig, für die Wirksamkeit in einem 1-Jahreszeitraum aber in der Größenordnung vieler sonstiger sekundärpräventiver Ansätze, die im gleichem Zeitraum 365x zugeführt (eingenommen) werden müssen. 

Zur Person

Prof. Stephan H. Schirmer

Prof. Stephan H. Schirmer hat sich nach seiner Tätigkeit als Oberarzt in der Kardiologie des Universitätsklinikums des Saarlandes seit 2018 als Internist, Kardiologe und Angiologe in Kaiserslautern niedergelassen. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen u. a. Atherosklerose, Kollateralarterienwachstum, Entzündungsvorgänge in Herz und Gefäßen sowie Lipidstoffwechselstörungen.

Key Facts der Studie

Das Ziel der Studie war es, den kausalen Zusammenhang zwischen der Influenza-Impfung und dem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Menschen mit chronischen Erkrankungen im Alter von 18 bis 64 Jahren zu untersuchen.

Die Analyse von über 600.000 Teilnehmenden zeigte, dass die Grippeimpfung das Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Ereignisse und Herzinsuffizienz leicht, aber signifikant senken kann.

Auch wenn der individuelle Effekt gering ist, sprechen die Studienergebnisse dafür, die Influenza-Impfung als einfache und sichere Maßnahme zur kardiovaskulären Prävention bei chronisch kranken Patientinnen und Patienten im Alter von 18 bis 64 Jahren zu fördern.


Referenzen

 

  1. Johansen ND, et al. Electronic Nudges to Increase Influenza Vaccination in Patients With Chronic Diseases: A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2024;332(22):1900-1911. doi:10.1001/jama.2024.21060
  2. Johansen ND, et al. Digital Nudges to Increase Influenza Vaccination in Patients with Chronic Diseases. NEJM Evid. Published online November 10, 2025. doi:10.1056/EVIDoa2500265

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