Herzinfarkt und Schlaganfall durch Impfen vorbeugen

 

Infektionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen sich gegenseitig: Das Risiko für schwere Verläufe, Komplikationen und thromboembolische Ereignisse steigt dramatisch an. Doch obwohl der Nutzen von Impfungen für Risikogruppen klar nachgewiesen ist, bleibt die Impfquote in Deutschland und vielen anderen Ländern auf einem zu niedrigen Niveau. Ein aktuelles Review gibt ein Update zu Pathomechanismen und Interaktionen von Infektionen und kardiovaskulären Krankheiten, Benefits durch Impfungen, Impf-Empfehlungen sowie Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten von niedrigen Impfquoten.1

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar:

Prof. Michael Böhm

Universitätsklinikum des Saarlandes

 

17.04.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Ratana21 / Shutterstock.com

Hintergrund und Zielsetzung

 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) stellen die häufigste Todesursache dar und sind für 13 % aller Todesfälle weltweit verantwortlich. Infektionskrankheiten zählen ebenfalls zu den 10 häufigsten globalen Todesursachen, insbesondere COVID-19- und Atemwegsinfektionen. Impfen hat sich als Strategie zur Prävention von Infektionskrankheiten bewährt, wodurch neben den Belastungen durch die Infektionen auch kardiovaskuläre Komplikationen bei Personen mit CVD verringert werden.


Ein Expertenkomitee der EICA (European Interdisciplinary Council for Aging) und der SIPREC (italienische Gesellschaft für kardiovaskuläre Prävention) hat im Rahmen eines 2-tägigen Meetings (10.-11.06.2024) den aktuellen Wissensstand zur Bedeutung von Impfstoffen für die kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Gesundheit zusammengefasst und Lücken identifiziert, um die Prävention zu verbessern. Die Ergebnisse wurden vor kurzem publiziert.1

Gefährliche Interaktionen zwischen Infektionen und CVD

 

Die Pathomechanismen einer akuten Infektion können kurzfristig das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Personen mit CVD dramatisch erhöhen, während umgekehrt aber auch ein erhöhtes Infektionsrisiko bei chronischen Krankheiten besteht. Die systemische Entzündung als pathogener Zustand beeinflusst die Immunfunktion und -reaktion und schwächt die Abwehr gegen Infektionen.


Im modernen Krankheitsverständnis gilt es als bewiesen, dass Atherosklerose eine entzündliche Erkrankung ist. Akute Koronarereignisse, die auf die Destabilisierung und Ruptur von koronaren Plaques zurückzuführen sind, sind mit inflammatorischen Reaktionen assoziiert, was wiederum mit einer zunehmenden Gebrechlichkeit bei älteren Menschen einhergehen kann.


Influenza und andere Atemwegsinfektionen befeuern systemische Entzündungen und Plaque-Destabilisierungen. Für Influenza, die am besten untersuchte häufige Atemwegsinfektion, ist der Zusammenhang mit schweren kardiovaskulären Ereignissen sehr gut belegt. Influenza-Viren, wie auch andere Viren und Krankheitserreger, schaffen durch Freisetzung von prokoagulierenden Faktoren und einer erhöhten Thrombozytenreaktivität eine thrombogene Umgebung, was mit einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse einhergeht (Abbildung 1).

Kardiovaskuläres Risiko bei Infektionen Abb. 1: Pathomechanismen des erhöhten kardiovaskulären Risikos während einer Infektion

Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz-Hospitalisierungen

Mehrere Studien zeigten eindeutig, dass Grippeinfektionen mit einem stark erhöhten Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz-Hospitalisierungen assoziiert sind. So war das Herzinfarkt-Risiko in den ersten 7 Tagen nach einem positiven Influenza-Test um den Faktor 6 erhöht.2 Weiterhin wurde für Atemwegsinfektionen ein 2,5-fach erhöhtes Schlaganfall-Risiko nachgewiesen3, während grippeähnliche Erkrankungen mit einem temporär erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz-Hospitalisierungen verbunden waren.4


Bei älteren Menschen sind neben anderen Atemwegsinfektionen insbesondere Infektionen durch Streptococcus pneumoniae mit einer hohen Krankheitslast verbunden. Streptococcus pneumoniae gehört zu den Pneumokokken und ist der Haupterreger der ambulant erworbenen Pneumonie (CAP), der weltweit am häufigsten tödlich verlaufenden Infektionskrankheit. Die systemische entzündliche Reaktion auf Pneumokokken-Infekte führt bei Personen mit KHK oder Atherosklerose zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko, das nach einer Lungenentzündung über mehrere Wochen bis Monate anhält, oder sogar über mehrere Jahre hinweg, falls die Lungenentzündung mit einer Sepsis verbunden war. Schätzungsweise 23 % der Personen mit einer Pneumokokken-Infektion und 28 % der wegen einer Pneumokokken-Infektion hospitalisierten Personen erleiden nachfolgend ein schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis.5


Auch das weit verbreitete Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) verursacht Atemwegsinfektionen. Der Zusammenhang zwischen RSV und CVD ist ebenfalls bidirektional und umfasst inflammatorische Pathomechanismen wie die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine, die die Endothelfunktion angreifen und einen hyperkoagulierbaren Zustand induzieren mit erhöhtem Risiko für Thrombosen, Plaque-Destabilisierungen und -Rupturen. Zusätzlich kann Fieber bei allen durch Bakterien oder Viren verursachten Infektionen das Risiko für Herzrhythmusstörungen erhöhen.

Klare Evidenz für Benefits durch Impfungen bei CVD

Gegen die häufigsten Infektionskrankheiten, die ältere Personen betreffen, stehen heute Impfstoffe zur Verfügung, wie Influenza, Pneumokokken, Herpes zoster, COVID-19 und das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). In Deutschland und vielen anderen Ländern werden diese Impfungen für ältere Personen und altersunabhängig für alle Personen mit chronischen Erkrankungen empfohlen (siehe Tabelle).


Inzwischen liegen umfangreiche Datensätze vor, die den Benefit der Impfungen für die kardio- und zerebrovaskuläre Gesundheit eindeutig nachweisen. Insbesondere bei Personen mit CVD lassen sich kardiovaskuläre Komplikationen durch Impfungen vermeiden (siehe Tabelle). Die Prävention von Infektionskrankheiten durch Impfungen ist ein einfaches, kosteneffektives und erprobtes Mittel, um Belastungen durch die Infektionskrankheiten und mögliche Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System zu verhindern.

Kardiovaskuläre Benefits und Impf-Empfehlungen

Aufklären und Bewusstsein für Impfungen stärken

In Deutschland betrug die Impfquote gegen Influenza bei Personen ab 60 Jahren nur 38 % in der Saison 2023/24.6 Dagegen wird die Influenza-Zielimpfquote von 75 % für alle Risikogruppen (darunter ältere Menschen ab 60 Jahren) laut WHO und EU für die Influenza-Impfung angestrebt.7


Bei vielen älteren Personen besteht eine ablehnende oder zögerliche Haltung gegenüber Impfungen. Falsche oder fehlende Informationen, Angst vor Nebenwirkungen und ein allgemeines Misstrauen gegenüber dem Gesundheitswesen können Ursachen der Impfablehnung sein. Entscheidend ist es daher, das Bewusstsein für Impfungen zu stärken, um diese Hochrisiko-Gruppe vor vermeidbaren Infektionen und den schwerwiegenden Folgen, wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Hospitalisierungen und Tod zu schützen. Aufklärung und Informationsarbeit sind die wichtigsten Grundpfeiler, um die Impfquote in der vulnerablen Bevölkerungsgruppe zu erhöhen.


Laut den Autorinnen und Autoren sind alle Angehörigen von Gesundheitsberufen, einschließlich Ärztinnen und Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern, Apothekerinnen und Apothekern, dazu aufgerufen, die Bevölkerung proaktiv über den Nutzen von Impfungen aufzuklären. Darüber hinaus sollten aber auch Fachgesellschaften und nationale sowie internationale Leitlinien detailliertere Informationen zur Evidenz von Impfungen liefern und konkrete Impf-Empfehlungen geben für Personen mit CVD oder hohem CVD-Risiko.

Expertenkommentar

 

Mittlerweile ist es unumstritten, dass Infekte des Respirationstraktes mit einer gesteigerten Häufigkeit von kardiovaskulären Komplikationen wie Herzinfarkten, Schlaganfällen und Herzinsuffizienzdekompensationen assoziiert sind. Dieser Effekt ist nicht klein, sondern die Häufigkeit des Herzinfarktes kann nach einer Influenza-Infektion um das 6- bis 8-fache in den ersten 7 Tagen nach Infektion gesteigert sein. Da das Risiko im weiteren Verlauf wieder abnimmt, spricht dieser enge zeitliche Zusammenhang für eine kausale Interaktion zwischen dem Infektionsgeschehen und der kardiovaskulären Komplikation.


Bei chronischer Herzinsuffizienz ist die Sterblichkeit nach einem Atemwegsinfekt im Verlauf des nächsten Jahres um den Faktor 5 bis 8 erhöht. Dieses lässt sich für Covid-Infektionen, aber auch für Influenza-Infektionen beobachten. Tendenzen zeigen sich auch für den RS-Virus und Herpes zoster, wobei es hierzu noch wenige Untersuchungen gibt. Aufgrund dieser engen und eigentlichen unbestrittenen Assoziation ist es naheliegend, dass die Verminderung von Atemwegsinfektionen sich in einer Verminderung von kardiovaskulären Komplikationen niederschlägt.


Neben den gängigen Ansätzen zur Prävention wie Lipideinstellung, Blutdruckeinstellung und Behandlung eines Diabetes und den gängigen Therapien der chronischen Herzkreislauferkrankung zur Reduktion von Komplikationen, erscheint eine Impfung nach Daten in der Literatur eine mindestens ähnlich große Effizienz und Kosteneffektivität zu besitzen wie die gängigen Präventionsmaßnahmen.


Diese Zusammenhänge haben die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie/Herz-Kreislaufforschung dazu bewogen, Kampagnen zur Stärkung einer flächendeckenden Immunisierung gegenüber Atemwegserkrankungen zu starten. Neben der Verminderung von Infektionen sollte es in der Gesellschaft ein besonders dringendes Anliegen sein, die häufigste Todes- und Hospitalisierungsursache in unserer Gesellschaft durch eine der erfolgreichsten Interventionen in der Medizin, nämlich der Impfung und Immunisierung gegenüber Krankheitserregern, erfolgreich zu bekämpfen.

Zum Autor des Expertenkommentars

Prof. Michael Böhm

Prof. Michael Böhm ist seit dem Jahr 2000 Professor für Innere Medizin sowie Direktor der Klinik für Innere Medizin III, Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar. Von 2009 bis 2011 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und seit 2018 ist er als Pressesprecher für die DGK tätig.

 

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

 

  1. Ecarnot F et al. Infectious diseases, cardio-cerebrovascular health and vaccines: pathways to prevention. Aging Clin Exp Res. 2025;37(1):80. doi: 10.1007/s40520-025-02968-y.
  2. Kwong JC et al. Acute Myocardial Infarction after Laboratory-Confirmed Influenza Infection. N Engl J Med. 2018;378(4):345-353.
  3. Smeeth L et al. Risk of myocardial infarction and stroke after acute infection or vaccination. N Engl J Med. 2004 Dec 16;351(25):2611-8.
  4. Kytömaa S et al. Association of Influenza-like Illness Activity With Hospitalizations for Heart Failure: The Atherosclerosis Risk in Communities Study. JAMA Cardiol. 2019;4(4):363-369.
  5. Karakasis P et al. Vascular Alterations Following COVID-19 Infection: A Comprehensive Literature Review. Life (Basel). 2024;14(5):545.
  6. https://www.gbe.rki.de/DE/Themen/GesundheitsfoerderungPraeventionUndVersorgung/GesundheitsfoerderungundPraevention/VorsorgeUndFrueherkennung/Influenzaimpfung/influenzaimpfung_node.html?darstellung=0&kennzahl=1&zeit=2023&geschlecht=0&standardisierung=0
  7. https://www.rki.de/DE/Aktuelles/Publikationen/Epidemiologisches-Bulletin/2025/04_25.pdf?__blob=publicationFile&v=9

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