„Abnormale“ EKG-Befunde bei Leistungssportlerinnen häufig

Welche EKG/Echo-Veränderungen sind bei Leistungssportlern noch normal? Mit COVID-19 ist diese Frage wieder mehr in den Blickpunkt geraten. Laut einer neuen Studie zeigen sich gerade bei Frauen relativ oft scheinbar „abnormale“ EKG-Befunde – für die es aber keine pathologische Erklärung gibt.

Von: Veronika Schlimpert

 

08.12.2020

Wenn Frauen intensiv Sport treiben, scheinen die Auswirkungen auf das Herz nicht unbedingt dieselben zu sein wie bei ähnlich aktiven Männern. Derartige geschlechterspezifische Veränderungen haben sich in einer neuen Studie mit insgesamt 238 professionellen Fußballspielern und Fußballspielerinnen aus den USA gezeigt; der Frauenanteil in der prospektiven Studie war mit 51% vergleichsweise ziemlich hoch.

Männer haben häufiger trainingsbedingte EKG-Veränderungen

Prinzipiell fanden sich bei beiden Geschlechtern relativ häufig als trainingsbedingt eingestufte EKG-Veränderungen, bei den Männern aber viel häufiger als bei den Frauen. Dazu gehörten beispielsweise EKG-Kriterien für eine linksventrikuläre Hypertrophie (64% vs. 11%; p<0,001) und rechtsventrikuläre Hypertrophie (15% vs. 1%; p<0,001), inkompletter Rechtsschenkelblock 13% vs. 4%, p=0,03) und Zeichen einer frühen Repolarisation (85% vs. 35%, p<0,001).

Bei Frauen finden sich häufiger „abnormale“ Befunde…

Auf der anderen Seite ließen sich „abnormale“ – also potenziell pathologische – EKG-Befunde bei den Frauen deutlich häufiger nachweisen als bei ihren männlichen Kollegen (11% vs. 0%; p < 0,001).

 

Der häufigste „abnormale“ Befund war eine T-Wellen-Inversion (bei 9 von 14 Frauen, 69%), die in den meisten Fällen auf die anterioren Ableitungen V1–V3 beschränkt war. Bei zwei Frauen zeigten sich die T-Wellen-Inversion allerdings in den lateralen Ableitungen (V4–V6), ein Befund, der laut Angaben der Studienautoren um Dr. Timothy Churchill eine signifikante Assoziation mit Myopathien aufweist. Des Weiteren konnten die Ärzte bei zwei Frauen eine septale Q-Welle, bei einer Frau eine inferiore ST-Streckensenkung und ebenfalls bei einer Sportlerin ein leicht verlängertes cQT-Intervall (481 ms) feststellen.

…allerdings ohne eine pathologische Erklärung

Alle Sportler und Sportlerinnen waren zum Zeitpunkt der Sportuntersuchung  gesund, und es fand sich auch nach einer erneuten Untersuchung gut zwei Jahre später bei keiner der nochmals untersuchten Frauen mit vermeintlich abnormalem EKG-Befund eine pathologische Erklärung dafür. Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass sich in einer anderen Studie eine ähnlich hohe Prävalenz von anterioren T-Wellen-Inversionen bei Athletinnen gezeigt hat.

 

Derzeit ist eine T-Wellen-Inversion, die sich auf anteriore präkordiale Ableitungen beschränkt, laut internationaler Kriterien bei weißen Athletinnen  in einem Alter unter 16 Jahren als „normal“ anzusehen. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass dieser Befund womöglich ein benigner Befund in allen Altersklassen bei Fußballspielerinnen sein könnte“, verdeutlichen die US-Kardiologen eine mögliche Konsequenz ihrer Ergebnisse.

 

Warum diese EKG-Veränderung spezifisch bei intensiv Sport treibenden Frauen und nicht bzw. selten bei Männern vorkommt, dafür gibt es aktuell noch keine endgültige Erklärung. Hypothesen zufolge könnten beispielsweise Unterschiede in der sympathischen Innervation und der Anatomie bei Frauen, inkl. des erhöhten Aufkommens von Brustgewebe, dafür verantwortlich sein.

Echoparameter liegen bei beiden Geschlechtern oft über Grenzwerten

Neben der EKG-Untersuchung wurde bei den professionellen Fußballern/innen im Rahmen der von der FIFA angeordneten Sportuntersuchung eine Echokardiografie vorgenommen. Unabhängig von den EKG-Befunden lagen einige Echoparameter bei vielen Sportlern und Sportlerinnen oberhalb der von der Amerikanischen Echokardiografie-Gesellschaft definierten Grenzwerte, z.B. linksventrikuläre Wanddicke (bei 30% der Frauen und bei 41% der Männer über der Norm), Kammervolumen (77% bzw. 68%) und linksventrikulärer Masseindex (51/59%).

 

Diese Ergebnissen seien konsistent mit früheren Studien, in denen Fußballer untersucht worden sind, ordneten die Autoren diese Daten ein. Und dies unterstreiche erneut, dass für die Allgemeinbevölkerung geltende Standardwerte nur eingeschränkt auf Eliteathleten anwendbar sind.

Sportart und Alter beeinflussen die Werte

Die Standardwerte hängen laut der US-Kardiologen sogar von der jeweils ausgeübten Sportart ab. So fielen die Dimensionen der Herzkammern im Schnitt bei Fußballern geringer aus, als dies bei professionellen Basketball- und American Football-Spielern zu sehen ist. Nicht überraschend, da die Größe der linken Kammer vom Körpergewicht abhänge, erläutern die Autoren den Hintergrund. Auch die Wanddicke war geringfügig schmaler bei den Fußballern. „Dies macht erneut die Bedeutung sportartenspezifischer Standardwerte deutlich“, so die US-Kardiologen.

 

Ebenfalls eine Rolle spielt ihrer Ansicht nach das Alter der Athleten. So zeigten ihre Daten, dass die linksventrikuläre Myokardmasse, Wanddicke und das Kammervolumen mit dem Alter zunahmen, was wiederum darauf hindeute, dass trainingsinduzierte Umbauprozesse einen progressiven Prozess darstellten, der sich im Laufe der Sportlerkarriere fortsetzt.

 

In der aktuellen Untersuchung waren die Athleten im Schnitt 20 Jahre alt, der/die jüngste war 15, der/die älteste 40 Jahre.

Wissen um Standardwerte gerade in COVID-19-Zeiten wichtig

Von klinischer Relevanz sind die in dieser Studie dokumentierten Werte laut der US-Kardiologen auch vor dem Hintergrund der aktuell kursierenden SARS-CoV-2-Pandemie. Immer mehr Leistungssportler/innen infizieren sich mit dem Virus, und bei ihnen stellt sich die Frage, bei welchen EKG/Echo-Befunden oder anderen kardialen Veränderungen eine Trainingsrückkehr zunächst ausgesetzt werden sollte (mehr dazu lesen Sie in diesem Beitrag).

 

Standardwerte, die von gesunden Athleten aus der prä-COVID-19-Ära stammten, dienten dann als Referenzbereich, um zwischen Sportlern mit klinisch relevanten COVID-Komplikationen und solchen mit benignen trainingsinduzierten Anpassungen zu differenzieren, erläutern Churchill und Kollegen die Bedeutung ihrer Daten für die aktuelle Situation.

 

Als Limitation ihrer Studie weisen sie darauf hin, dass bei den Sportlern mit abnormalen EKG-Befunden, aber normalen Echoparametern keine weiteren Untersuchungen wie ein MRT vorgenommen worden sind. In diesen Fällen besteht laut der Autoren somit eine minimale Restwahrscheinlichkeit, dass eine bisher unerkannte pathologische Ursache vorliegt.


Literatur

Churchill TW et al. Cardiac Structure and Function in Elite Female and Male Soccer Players. JAMA Cardiol. 2020. DOI:10.1001/jamacardio.2020.6088

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