Kardiale Amyloidose: Neue Wege in der Versorgung

 

Kürzlich haben die medizinischen Fachgesellschaften DGK, DGHO, DGN und DGfN das Konsensuspapier „Versorgung von Patienten mit kardialer Amyloidose“ veröffentlicht.1 Prof. Roman Pfister, Uniklinik Köln, hat als Erstautor mitgewirkt und beleuchtet im Interview aktuelle und zukünftige Entwicklungen im Management dieser Krankheitsgruppe, deren Auftreten häufiger ist als noch vor wenigen Jahren gedacht.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

20.12.2023

 

Bildquelle (Bild oben): sdecoret / Shutterstock.com

HERZMEDIZIN: Wann spricht man von kardialer Amyloidose und was sind die wichtigsten Formen?


Pfister: Amyloidosen sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, bei denen sich Proteine umfalten und als fibrilläre Strukturen in verschiedenen Organsystemen ablagern, oft mit erheblichen Schädigungen der Organfunktionen. Bei einer Beteiligung des Herzens, also der Ablagerung von Amyloidfibrillen im Herzmuskel, spricht man von kardialer Amyloidose. Die beiden Hauptformen sind die AL-Amyloidose, die durch Immunglobulin-Leichtketten verursacht wird, und die Transthyretin-Amyloidose. Transthyretin, ein Transportprotein für Schilddrüsenhormone, kann sich unter bestimmten Bedingungen umfalten und im Herzmuskel ablagern. Dies geschieht entweder aufgrund genetischer Mutationen oder durch ungeklärt altersbedingte degenerative Veränderungen. Die Ablagerungen führen letztlich zu einer Herzinsuffizienz.


HERZMEDIZIN: DGK und ESC haben in den vergangenen Jahren erstmalig Positionspapiere zur kardialen Amyloidose veröffentlicht.2,3 Nun ist das Konsensuspapier von DGK, DGHO, DGN und DGfN zur Versorgung von Patient:innen mit kardialer Amyloidose erschienen. Wo liegen die Unterschiede beziehungsweise was hat sich seither getan?


Pfister: Das aktuelle Konsensuspapier dient in erster Linie als Ergänzung der bestehenden Veröffentlichungen. Das DGK-Positionspapier bietet eine umfassende Übersicht über die Erkrankung, inklusive der diagnostischen Möglichkeiten und der zum Veröffentlichungszeitpunkt noch etwas limitierten therapeutischen Optionen. Es zielte darauf ab, in der kardiologischen Gemeinschaft das Bewusstsein für das Thema zu erhöhen und das Fachwissen zu vertiefen. In den letzten zwei bis drei Jahren haben wir jedoch eine bemerkenswerte Entwicklung in der klinischen Praxis erlebt, gekennzeichnet durch einen starken, beginnend exponentiellen Anstieg der Diagnoseraten. Diese Entwicklung hat die Notwendigkeit unterstrichen, neue Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Versorgung dieser großen Patientengruppe zu optimieren.

Zur Person

Prof. Roman Pfister

Prof. Roman Pfister ist leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor der Klinik III für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln. Dort ist er Leiter des Herzinsuffizienz- und Transplantationsprogramms sowie des interventionellen AV-Klappenprogramms. Seine Forschungsschwerpunkte sind Klinik und Epidemiologie der Herzinsuffizienz sowie Alterseffekte in der kardiovaskulären Medizin.

Prof. Roman Pfister
Bildquelle: Michael Wodak

HERZMEDIZIN: Amyloidosen zählten historisch zu den seltenen Erkrankungen. Sie erwähnten den starken Anstieg von Diagnosen der letzten Jahre. Gibt es aktuelle Schätzungen zur Prävalenz?


Pfister: Hinsichtlich der Prävalenz von Amyloidose gibt es keine präzisen epidemiologischen Daten, da die vorhandenen administrativen Datenbanken die zuletzt rasante Diagnose-Entwicklung noch nicht hinreichend abbilden. In den auf Amyloidose spezialisierten Zentren haben wir in den letzten Jahren einen linearen bis leicht exponentiellen Anstieg der Fallzahlen beobachtet. Zudem weisen Schätzungen aus Screening-Untersuchungen darauf hin, dass etwa fünf bis zehn Prozent der älteren Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz bei erhaltener Ejektionsfraktion von Amyloidose betroffen sein könnten.4,5 Wenn man dies mit der Prävalenz von Herzinsuffizienz, die bei ein bis zwei Prozent in der allgemeinen Bevölkerung liegt, in Bezug setzt, deutet dies auf eine bedeutende Anzahl von Betroffenen hin.

Amyloidosenetzwerke und die Rolle der Niedergelassenen

 

HERZMEDIZIN: Im Konsensuspapier ist das "Amyloidosenetzwerk" ein Schlüsselbegriff. Könnten Sie erklären, was damit gemeint ist?


Pfister: Das Konzept des Amyloidosenetzwerks wurde bewusst in Abgrenzung zum Modell der Amyloidosezentren entwickelt. Amyloidose galt lange als seltene Erkrankung, weshalb die Behandlung bisher hauptsächlich in wenigen spezialisierten Zentren konzentriert ist, um die Expertise zu bündeln. Angesichts der Erkenntnis, dass diese Krankheit deutlich häufiger vorkommt, betrachten wir eine erweiterte Versorgungsstruktur als notwendig. Das Amyloidosenetzwerk ist definiert als interdisziplinäre Verbundstruktur mit ausgewiesener diagnostischer und therapeutischer Expertise auf dem Gebiet der Amyloidose, inklusive hochspezialisierter Diagnostikmodalitäten und Therapiekonzepte – vergleichbar mit überregionalen „Heart Failure Unit“(HFU)-Zentren. Um die Prozesse vom Erstverdacht oder Screening bis zur Therapieentscheidung und Überwachung in der Breitenversorgung abbilden zu können, bedarf es die Integration der Primärversorger in transsektoraler Netzwerkstrukturen, wie sie sich im Bereich der Herzinsuffizienz etabliert haben.


HERZMEDIZIN: Wie sieht die Versorgung durch Amyloidosenetzwerke aus und welche Rolle spielen dabei die etablierten Amyloidoesezentren und die niedergelassenen Kardiologen und Kardiologinnen?


Pfister: Es ist ein wesentliches Ziel des Konsensuspapiers, die Aufgaben klar zuzuteilen, um Sicherheit für alle Beteiligten hinsichtlich der Zuständigkeiten zu schaffen. In den Amyloidosenetzwerken sind die etablierten Zentren integraler Bestandteil, wobei eine Ausweitung erforderlich ist, um eine breitere Versorgung zu gewährleisten. Die Kooperation zwischen Kardiologie-Praxis bzw. den Kardiologie-Kliniken – je nachdem wo die Betroffenen erstmals vorstellig werden – und den Amyloidosenetzwerken ist essenziell. Niedergelassene Kardiologinnen und Kardiologen übernehmen als Primärbehandelnde die initiale Diagnostik einschließlich erweiterter Bildgebung wie Szintigraphie und MRT sowie Laborchemie.


Die laborchemische Analyse monoklonaler Gammapathien zur frühzeitigen Erkennung der AL-Amyloidose ist dabei ein wichtiger Punkt. Da AL-Amyloidose eine rasch progrediente Erkrankung ist, die unbehandelt innerhalb von 6 bis 12 Monaten zum Tod führen kann, ist eine schnelle Diagnosestellung entscheidend. Lange Diagnosewege kosten wertvolle Zeit. Das Vorschalten der Laboranalyse durch Niedergelassene ist ein entscheidender Schritt, um Betroffene schneller zu identifizieren und sie gezielt an Amyloidosenetzwerke zu überweisen, wo finale Diagnose und Therapie-Indikationsstellung durch interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Art eines Tumor-Boards erfolgen kann.


Längerfristig ist auch eine Integration von Hausärzten und -ärztinnen in der Primärversorgung denkbar, wenn wir innerhalb der Kardiologie ausreichend Erfahrungen mit den Prozessen gesammelt haben.


HERZMEDIZIN: Welche Neuerungen ergeben sich für die Therapie aus den Empfehlungen des Konsensuspapiers?


Pfister: Im DGK-Positionspapier wurde bereits auf den Wirkstoff Tafamidis hingewiesen, welcher sich mittlerweile etabliert hat. Im Konsensuspapier wird darüber hinaus auf weitere, potenziell noch effektivere Optionen hingewiesen, die sich aktuell in der Entwicklung befinden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das kontinuierliche Monitoring der Patientinnen und Patienten, wo ein Teil dieser Aufgabe in den ambulanten niedergelassenen Bereich verlagert wird. Fortgeschrittene Entscheidungen, wie die Deeskalation der Therapie, sollten jedoch in Zusammenarbeit mit den Amyloidosenetzwerken getroffen werden.

Ausblick: Therapie und Finanzierung

 

HERZMEDIZIN: Können Sie erläutern, welche neuen Therapieoptionen sich bereits abzeichnen?


Pfister: Es handelt sich um ein dynamisches Forschungsfeld. Schon in den nächsten ein bis zwei Jahren könnte sich das Therapiespektrum erweitern, was die differenzialtherapeutischen Entscheidungen komplexer machen wird.


Der aktuelle Ansatz beruht, wie erwähnt, vor allem auf Tafamidis, das als Stabilisator für das physiologische Protein dessen pathologische Veränderung verhindert. Ein weiterer Ansatz sind die sogenannten Gene Silencer, welche die Synthese der sich fehlfaltenden Proteine unterbinden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigte, dass diese Behandlung den Krankheitsprozess im Beobachtungszeitraum von einem Jahr effektiv verlangsamen kann.6 Der dritte große Ansatz sind Medikamente, die bereits abgelagertes Amyloid auflösen können. Dies ist besonders für fortgeschrittene Fälle relevant. Derzeit befinden sich diese Medikamente aber erst am Beginn von Phase-III-Studien, nachdem vielversprechende Ergebnisse in den Phasen I und II erzielt wurden.


HERZMEDIZIN: Wo sehen Sie beim Thema Amyloidose aktuell noch offene Punkte?


Pfister: Da sind sicherlich die gesundheitsökonomischen Aspekte zu nennen, wie die Finanzierung von interdisziplinären Konferenzen, ähnlich den Tumorboards, die sehr ressourcenintensiv sind. Eine wichtige Frage ist, ob und wie diese interdisziplinären Boards vergütet werden. Da sollte die Berufspolitik nachbessern, um angemessener auf die Anforderungen bei spezialisierten Erkrankungen einzugehen.


Referenzen

 

  1. Pfister, R., Hagenacker, T., Heemann, U. et al. Versorgung von Patienten mit kardialer Amyloidose. Kardiologie (2023). Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK), AG 40 Onkologische Kardiologie, und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e. V. (DGHO), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN). https://doi.org/10.1007/s12181-023-00653-w. https://herzmedizin.de/fuer-aerzte-und-fachpersonal/leitlinien/leitlinien-katalog/Konsensuspapier-2023--DGK,-DGHO,-DGfN,-DGN--zur-Versorgung-von-Amyloidosepatienten.html
  2. Yilmaz A et al. Diagnosis and treatment of cardiac amyloidosis: position statement of the German Cardiac Society (DGK). Clin Res Cardiol. 2021 Apr;110(4):479-506. doi: 10.1007/s00392-020-01799-3. Epub 2021 Jan 18. PMID: 33459839; PMCID: PMC8055575.
  3. Garcia-Pavia P et al. Diagnosis and treatment of cardiac amyloidosis. A position statement of the European Society of Cardiology Working Group on Myocardial and Pericardial Diseases. Eur J Heart Fail. 2021 Apr;23(4):512-526. doi: 10.1002/ejhf.2140.
  4. Musigk N, Heidecker B. Transthyretin amyloidosis: the picture is getting clearer. Eur J Heart Fail. 2022 Sep;24(9):1697-1699. doi: 10.1002/ejhf.2641.
  5. Antonopoulos AS et al. Prevalence and clinical outcomes of transthyretin amyloidosis: a systematic review and meta-analysis. Eur J Heart Fail. 2022 Sep;24(9):1677-1696. doi: 10.1002/ejhf.2589.
  6. Maurer MS et al. Patisiran Treatment in Patients with Transthyretin Cardiac Amyloidosis. N Engl J Med. 2023 Oct 26;389(17):1553-1565. doi: 10.1056/NEJMoa2300757.

Weiterführender Link

Das könnte Sie auch interessieren

Der Deutsche Herzbericht – Update 2024

Der unter Federführung der Deutschen Herzstiftung erstellte Deutsche Herzbericht fasst jährlich die wichtigsten Entwicklungen in der Versorgung von Herzerkrankungen in Deutschland zusammen. Das aktuelle Update 2024 spiegelt die Zahlen aus dem Erfassungsjahr 2022 wider

KI zur nicht-invasiven intrakardialen Druckmessung

AHA-Kongress 2024 | SEISMIC-HF I: Erste Daten zur KI-unterstützten nicht-invasiven Bestimmung des intrakardialen Drucks. Von Dr. K. Franke und PD Dr. P. Breitbart.

Künstliche Intelligenz in der Echokardiographie im Fokus

AHA-Kongress 2024 | AI-ECHO & PanEcho: Zwei Studien zur Effizienz und Qualität von KI in der Diagnostik. Von PD Dr. P. Breitbart.

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen