Lohnt sich eine Risikoscore-basierte Prävention bei VHF?

 

ESC Congress 2025 | ABC-AF: Die randomisierte Studie aus Schweden untersuchte, ob eine Risikoscore-basierte individuelle Strategie bei Personen mit VHF besser ist als die leitlinien-basierte Standardversorgung. Prof. Jonas Oldgren (Uppsala, Schweden) stellte die Daten in der Session Hot Line 5 vor, die zeitgleich publiziert wurden.1,2

 

Prof. David Duncker (Medizinische Hochschule Hannover) kommentiert.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar:

Prof. David Duncker

Rubrikleiter Rhythmologie

 

04.09.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Songquan Deng / Shutterstock.com

Studiendesign und Methodik

 

Die offene, registerbasierte, randomisierte Studie wurde in 39 schwedischen Zentren durchgeführt. Eingeschlossen wurden Erwachsene mit einer VHF-Diagnose, einschließlich neu oder zuvor diagnostiziertem VHF, mit oder ohne aktuelle orale Antikoagulation (OAK), die 1:1 randomisiert entweder eine Behandlung nach ABC-AF-Risikoscore oder die Standardversorgung erhielten. Bei der Randomisierung wurden Blutproben genommen und die ABC-AF-Risikoscores ermittelt. 


Die medizinischen Behandlungen und andere Interventionen erfolgten in der aktiven Gruppe anhand einer visuellen Darstellung der ABC-AF-Risikoscores zusammen mit individuellen, maßgeschneiderten Behandlungsempfehlungen. Dagegen wurden die Personen der Kontrollgruppe ausschließlich nach ärztlichem Ermessen behandelt. Primärer Endpunkt war die Kombination aus Schlaganfall oder Tod. 

 

Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde die Studie vorzeitig beendet, da bei Personen mit einem CHA2DS2-VASc-Score ≥3 eine Tendenz zu einer höheren Mortalität zu beobachten war.

Ergebnisse

 

Die ITT-Population umfasste 3.933 Personen (medianes Alter 73,9 Jahre und 33,6 % Frauen). Insgesamt hatten 51,3 % Personen paroxysmales VHF, 11,2 % hatten zuvor einen Schlaganfall oder eine transitorische ischämische Attacke erlitten und 85,7 % wurden mit OAK behandelt.


Nach der Randomisierung stieg der Anteil an Personen mit OAK an auf 97,8 % in der aktiven Gruppe und 92,6 % in der Kontrollgruppe (p<0,0001). In der aktiven Gruppe wurden mehr Behandlungen mit Apixaban, Dabigatran und Rivaroxaban beobachtet sowie weniger Behandlungen mit Warfarin. In der Kontrollgruppe gab es mehr Behandlungen mit Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban und ebenfalls weniger Behandlungen mit Warfarin. In beiden Gruppen halbierte sich der Anteil an Personen unter Thrombozytenaggregationshemmern, während die Behandlung mit Statinen zunahm.


Im medianen Follow-up über 2,6 Jahre trat der primäre Endpunkt in beiden Gruppen mit vergleichbarer Häufigkeit auf: 3,18/100 Patientenjahre (100PY) in der aktiven Gruppe vs. 2,67/100PY in der Kontrollgruppe (HR 1,19; 95%KI [0,96; 1,48]; p=0,12). Auch die Rate an Schlaganfällen war vergleichbar (0,87/100PY vs. 0,74/100PY; HR 1,18; 95%KI [0,78; 1,79]; p=0,44) sowie von Todesfällen (2,44/100PY vs. 2,02/100PY; HR 1,21; 95%KI [0,94; 1,55]; p=0,13) und auch schweren Blutungen (2,82/100 PY vs. 2,61/100PY; HR 1,08; 95%KI [0,86; 1,36]; p=0,50) jeweils für die aktive Gruppe vs. Kontrollgruppe.

Fazit

 

Bei Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern führte die individuell angepasste, risikobasierte Behandlungsstrategie anhand der ABC-AF-Risikoscores zu keiner Verbesserung der klinischen Outcomes im Vergleich zur üblichen, leitlinienbasierten Versorgung. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer prospektiven Prüfung der Nützlichkeit von Risikostratifizierungs- und Präzisionsmedizin-Instrumenten in verschiedenen klinischen Settings vor ihrer Einführung in die Routineversorgung. 

Expertenkommentar

 

Die ABC-AF-Studie ist ein sehr wichtiges Signal für den Umgang mit innovativen Risikoscores in der klinischen Praxis. Die Rationale für den ABC-Score ist offensichtlich: die klinischen Risikoscores (CHADS2, CHA2DS2-VASc, CHA2DS2-VA, etc.) bilden das individuelle Risiko nicht gut ab, da das Risiko beispielsweise vom 64. auf das 65. Lebensjahr nicht sprunghaft, sondern über die Zeit eher stetig ansteigt.

Der biomarkerbasierte, individualisierte Ansatz konnte in dieser großen, registerbasierten Studie keinen Vorteil gegenüber der etablierten, leitliniengerechten Versorgung zeigen. Das bedeutet keinesfalls, dass Präzisionsmedizin in der Rhythmologie gescheitert ist – vielmehr unterstreicht es, wie wichtig es ist, neue Konzepte in randomisierten Studien systematisch zu prüfen, bevor sie in die breite Anwendung gelangen.

Bemerkenswert ist, dass in beiden Gruppen eine hohe Qualität der Versorgung erreicht wurde: Die Antikoagulationsraten lagen bei über 90 %, die Verwendung von Thrombozytenaggregationshemmern nahm ab, und Statine wurden häufiger verordnet. Dies spiegelt wider, dass allein die Teilnahme an einer Studie die Versorgung optimieren kann – ein Effekt, den wir aus anderen großen Registerstudien kennen.

Für die klinische Praxis lautet die Botschaft: Wir haben mit den aktuellen Leitlinien bereits ein sehr wirksames Instrumentarium zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern. Die Entwicklung biomarkerbasierter Risikoscores bleibt ein spannendes Feld, das in Zukunft durchaus weitere Ansätze liefern könnte – doch aktuell bestätigt ABC-AF vor allem die Stärke und Relevanz der bestehenden Standards. Die Stärke zusätzlicher, Biomarker-basierter Scores wird sich an anderer Stelle zeigen.

Zur Person

Prof. David Duncker

Prof. David Duncker ist Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums an der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Seine fachlichen Zusatzqualifikationen (DGK) erwarb er in den Bereichen Spezielle Rhythmologie und Herzinsuffizienz. Er ist Nukleus-Mitglied der Arbeitsgruppe AG Elektrophysiologie und Rhythmologie (AGEP) und Vorstandsmitglied der European Heart Rhythm Association sowie Chair des EHRA Digital and mHealth Committees. 

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

 

  1. Oldgren J. ABC-AF study - a randomised controlled study of personalised treatment to reduce stroke or death in atrial fibrillation. Hot Line 5, 30.08.2025, Madrid, ESC 2025
  2. Oldgren J et al. Biomarker-based ABC-AF Risk Scores for Personalized Treatment to Reduce Stroke or Death in Atrial Fibrillation - a Registry-based Multicenter Randomized Controlled Study. Circulation. 2025 Aug 30. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.125.076725. Epub ahead of print. 

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