VHF-Risiko-Screening mittels KI anhand elektronischer Gesundheitsdaten

 

ESC Congress 2025 | FIND-AF: In dieser primär in Großbritannien durchgeführten Studie wurde ein multivariables Machine-Learning-Modell (FIND-AF) entwickelt, um anhand elektronischer Gesundheitsdaten (EHR) Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten für Vorhofflimmern zu identifizieren. Ziel des Projektes war es, durch Nutzung ubiquitär verfügbarer Daten die Effektivität von Vorhofflimmerscreening zu optimieren. Die Ergebnisse wurden am 30.08.25 beim ESC im Rahmen der Session Late-Breaking Clinical Trials: Artificial intelligence in Cardiology von Dr. Ramesh Nadarajah (Leeds General Infirmary, UK) vorgestellt.1

 

Dr. Henrike Hillmann (Medizinische Hochschule Hannover) berichtet und Prof. David Duncker (Medizinische Hochschule Hannover) kommentiert.

Von:

Dr. Henrike Hillmann

Medizinische Hochschule Hannover

 

Expertenkommentar: 

Prof. David Duncker

Rubrikleiter Rhythmologie

 

04.09.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Songquan Deng / Shutterstock.com

Studiendesign und Methodik 

 

Im Rahmen der Studie wurde das multivariable Machine-Learning-Modell FIND-AF mittels Random-Forest-Klassifikator entwickelt. Berücksichtigt wurden die Parameter Alter, Geschlecht und Komorbiditäten, auf deren Basis der FIND-AF Score entwickelt wurde, der Patientinnen und Patienten in eine Niedrig- und eine Hochrisikogruppe unterteilte. Das Modell wurde anhand von >1.000.000 Datensätzen trainiert und an >400.000 Datensätzen intern getestet. Eine externe Validierung erfolgte anhand großer internationaler Kohorten (>10 Mio. Individuen) mit sekundärem Vergleich zwischen dem FIND-AF Score und dem CHA2DS2-VASc sowie C2HEST-Score.


Im Anschluss erfolgte die Durchführung einer prospektiven nicht-randomisierten Interventionsstudie. Einschlusskriterien war ein Alter ≥30 Jahre, vorhandene EHR-Daten, kein bekanntes Vorhofflimmern/Vorhofflattern bzw. keine vorhandene orale Antikoagulation bei erhöhtem CHA2DS2-VASc-Score (≥2 bei Männern und ≥3 bei Frauen). Es erfolgte eine Klassifizierung aller Individuen mittels FIND-AF-Modell und -Score. Alle eingeschlossenen Patientinnen und Patienten durchliefen ein Vorhofflimmerscreening, bei dem 4x/Tag für 3 Wochen auf Vorhofflimmern gescreent wurde. Primärer Endpunkt der prospektiven Studie war mittels des Screenings detektiertes Vorhofflimmern.

Ergebnisse

 

Im Rahmen der externen Validierung zeigte sich der FIND-AF Score im Vergleich zu CHA2DS2-VASc und C2HEST überlegen (AUC FIND-AF 0,784 vs. CHA2DS2-VASc 0,735 und C2HEST 0,733). In die prospektive Studie wurden von 17.063 mittels Briefes eingeladenen Personen 1.923 in die Studie eingeschlossen. Von diesen wurden nach Risikoevaluierung mittels FIND-AF-Modell und FIND-AF Score 902 Patientinnen und Patienten in der Niedrigrisikogruppe und 1.021 in die Hochrisikogruppe klassifiziert. Patientinnen und Patienten in der Hochrisikogruppe waren älter (75,4 vs. 64,3 Jahre), häufiger weiblich (59 % vs. 39,5 %) und hatten unter anderem häufiger die Diagnose einer chronischen Niereninsuffizienz (21,7 % vs. 12,5 %), eines Schlaganfalls oder einer TIA (10,6 % vs. 7,7 %), einer ischämischen Herzerkrankung (17,9 % vs. 10,6 %) und/oder einer valvulären Herzerkrankung (7,1 % vs. 1,3 %).  Die Diagnosen Diabetes mellitus und/oder arterielle Hypertonie waren in der Hochrisikogruppe seltener als in der Niedrigrisikogruppe vorhanden (Diabetes mellitus: 29,0 % vs. 37,1 %, art. Hypertonie: 84,5 % vs. 82,8 %).

 

Für die Detektion von Vorhofflimmern mittels des durchgeführten Screenings zeigte sich in der Hochrisikogruppe eine >8-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit im Vergleich zur Niedrigrisikogruppe (4,5 % vs. 0,6 %; OR 8,46 ; 95%KI [3,35; 21,40]).

 

Im Vergleich zu den herkömmlichen Scores (CHA2DS2-VAsc und C2HEST) oder einem erhöhten Alter (75–76 Jahren) fand sich für das Screening mittels FIND-AF Score eine höhere Sensitivität bei im Vergleich zum Alter 75–76 und CHA2DS2-VASc-Score höherer, im Vergleich zum C2HEST-Score vergleichbarer Spezifität (Sensitivität 90,2 %, positiv prädiktiver Wert 4,5 %; negativ prädiktiver Wert 99,4 %).

 

Eine Antikoagulation wurde bei 96,7 % (49 von 51) der im Rahmen des Screenings diagnostizierten Vorhofflimmerpatientinnen und -patienten eingeleitet. Die Vorhofflimmerdetektionsrate im ersten Screening-EKG lag bei 47 %.

Fazit 

 

Mittels FIND-AF wurde ein multivariables Machine-Learning-Modell entwickelt, das anhand einfacher und breit verfügbarer Parameter mit hoher Sensitivität Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Risiko für Vorhofflimmern identifiziert und mittels FIND-AF Score in Hoch- und Niedrigrisikogruppen klassifiziert. Ob ein durch FIND-AF gesteuertes Screening auch das klinische Outcome von Patientinnen  und Patienten verbessert, muss in weiterführenden randomisierten Studien evaluiert werden.

Expertenkommentar 

 

Die FIND-AF-Studie zeigt eindrucksvoll, wie Künstliche Intelligenz und Machine Learning die kardiologische Versorgung in Zukunft verändern können. Das Modell nutzte ausschließlich Daten, die in elektronischen Gesundheitsakten ohnehin vorhanden sind, und konnte damit Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten für Vorhofflimmern äußerst zuverlässig identifizieren. Besonders bemerkenswert ist die mehr als 8-fach erhöhte Detektionsrate von Vorhofflimmern in der Hochrisikogruppe – ein klarer Hinweis darauf, dass zielgerichtetes Screening mithilfe von KI eine echte Effizienzsteigerung bringen kann.

Besonders bemerkenswert und außergewöhnlich ist in diesem Kontext der immense Datensatz, der sowohl für das Training als auch die externe Validierung des Modells genutzt wurde.

Gleichzeitig müssen wir die Ergebnisse realistisch einordnen: Ob die Nutzung von FIND-AF tatsächlich auch klinische Endpunkte wie Schlaganfälle oder Mortalität verbessert, bleibt noch offen und muss in randomisierten Studien untersucht werden. Ebenso ist die Frage aufgrund der Besonderheiten des britischen Gesundheitssystems spannend, wie sich ein solches Modell in andere Gesundheitssysteme integrieren lässt – technisch und organisatorisch.

Für die Praxis bedeutet das: FIND-AF ist ein wichtiger und beeindruckender Schritt in Richtung personalisiertes Screening und zeigt, dass KI-basierte Tools unseren klinischen Alltag in naher Zukunft sinnvoll ergänzen können. Noch ersetzt es die etablierten Scores nicht, aber es deutet an, wohin die Reise geht: weg von breit gestreutem Screening, hin zu smarter, personalisierter, datengetriebener Risikoselektion.

Zur Person

Dr. Henrike Hillmann

Dr. Henrike Hillmann ist Assistenzärztin am Herzrhythmus Centrum der Medizinischen Hochschule Hannover. Zu Ihren Schwerpunkten gehören insbesondere innovative Verfahren der Rhythmologie und Elektrophysiologie sowie der Digitalen Kardiologie.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Zur Person

Prof. David Duncker

Prof. David Duncker ist Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums an der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Seine fachlichen Zusatzqualifikationen (DGK) erwarb er in den Bereichen Spezielle Rhythmologie und Herzinsuffizienz. Er ist Nukleus-Mitglied der Arbeitsgruppe AG Elektrophysiologie und Rhythmologie (AGEP) und Vorstandsmitglied der European Heart Rhythm Association sowie Chair des EHRA Digital and mHealth Committees. 

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Referenzen

 

  1. Nadarajah R. FIND-AF: Machine learning guided atrial fibrillation screening. Late Breaking Clinical Science: artificial intelligence in cardiology. 30.08.2025, Madrid, ESC 2025

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