Quick Dive: Kommentar zur infektiösen Endokarditis

 

In unserer Reihe "Quick Dive" stellen die Autorinnen und Autoren von Publikationen medizinischer Fachgesellschaften prägnant die wichtigsten Hintergründe und Inhalte der jeweiligen Veröffentlichung vor. Dieses Mal wird eingetaucht in:

 

DGK-Kommentar zu den Leitlinien (2023) der ESC zur infektiösen Endokarditis

17.9.2024 | Verfasst von: Suzanne de Waha, Mohamed Abdel-Wahab, Bilal Al-Nawas, Michael Buerke, Frank A. Flachskampf, Michael Huntgeburth, Norman Mangner, Björn Plicht, Roland Tilz, Stefan Frantz, Michael A. Borger.


Von:

Melissa Wilke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

17.09.2024

 

Bildquelle (Bild oben): vovan / Shutterstock.com

5 Fragen an die Erstautorin und den Seniorautor

PD Dr. Suzanne de Waha, Universitätsklinik für Herzchirurgie Leipzig, und Prof. Michael A. Borger, Universitäres Herzzentrum Lübeck

 

Was sind die wichtigsten Take-Home Messages?

 

  1. Angesichts der steigenden Inzidenz der infektiösen Endokarditis sowie neuen Beobachtungsstudien wurde die Empfehlung zur antibiotischen Prophylaxe vor orodentalen Prozeduren bei Hochrisiko-Patienten gestärkt. Dies betrifft u. a. Patientinnen und Patienten mit vorangegangener infektiöser Endokarditis, chirurgischen oder transkatheterbasierten Klappenprothesen bzw. nach Klappenrekonstruktion. Auch bei anderen diagnostischen oder therapeutischen Prozeduren (Respirationstrakt, Gastrointestinaltrakt, urogenitales System, muskuloskelettales System, Haut) kann eine antibiotische Prophylaxe erwogen werden.
  2. Die Einbindung eines Endokarditis-Teams mit Kardiologie, Herzchirurgie, Infektiologie und Mikrobiologie verbessert die Prognose von Patientinnen und Patienten mit infektiöser Endokarditis. Insbesondere bei Betroffenen mit kompliziertem Verlauf ist häufig auch die enge Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen notwendig (z. B. Nuklearmedizin, Neurologie, Intensivmedizin). Daher wird die Bedeutung dieses interdisziplinären Ansatzes, welcher im Wesentlichen dem Grundsatz eines erweiterten Heart Teams entspricht, weiter gestärkt.
  3. Die Rolle der Echokardiografie als wichtigste diagnostische Methode bei Verdacht auf infektiöse Endokarditis bleibt auch in den neuen Leitlinien bestehen. Weitere bildgebende Verfahren wie kardiale Computertomografie (CT) einschließlich Angiografie, Magnetresonanztomografie sowie nuklearmedizinische Verfahren wie 18F-Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomografie/CT oder Leukozyten-Single-Photon-Emissionscomputertomografie/CT nehmen auf Grund des technischen Fortschritts ein breiteres Indikationsspektrum als in den vorherigen Leitlinien ein.
  4. Eine wesentliche Neuerung ist die Möglichkeit der Umstellung einer intravenösen auf eine orale antibiotische Therapie bei selektionierten Patienten (Abbildung).
  5. Die wichtigsten Indikationen zur Operation bei linksseitiger infektiöser Endokarditis sind unverändert Herzinsuffizienz, lokal oder systemisch unkontrollierte Infektion, und Prävention eines embolischen Ereignisses. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle sollte die Operation innerhalb von 24 h (= Notfall) oder binnen 3-5 Tagen (= dringlich) erfolgen. Eine Verzögerung der operativen Versorgung nach Indikationsstellung führt zu einem erhöhten Risiko für lokale oder systemische Komplikationen und sollte grundsätzlich vermieden werden. 
  6. Die infektiöse Endokarditis hat mit einer intrahospitalen Mortalität von rund 20 % und einer 1-Jahressterblichkeit von rund 30 % eine schlechte Prognose. Im Bereich der kardiovaskulären Medizin ist dies mit dem kardiogenem Schock oder Typ-A-Dissektionen vergleichbar. Dies unterstreicht die Bedeutung der Behandlung in spezialisierten Zentren mit hoher Expertise.

 

Eine zentrale Abbildung aus der DGK-Publikation:

Abb.: Schematische Darstellung der Oralisierung der antibiotischen Therapie bei Patienten mit infektiöser Endokarditis. BMI = body mass index, CRP = C-reaktives Protein, CIED = kardial implantierbare elektronische Devices, CoNS = Koagulase-negative Staphylokokken, i.v. = intravenös, p.o. = per os, TEE = transösophageale Echokardiographie. 

Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung und mögliche Lösungen?

 

Von klinischer Seite ist die entscheidende Herausforderung Patientinnen und Patienten einen Zugang zu interdisziplinären Versorgungsstrukturen zu erlauben. Dies erlaubt optimale diagnostische und therapeutische Verfahren. Leider wird die Schwere der Erkrankung einer infektiösen Endokarditis trotz objektiv hoher Kurz- und Langzeitsterblichkeit so oft nicht wahrgenommen, eventuell weil der akute Verlauf klinisch häufig weniger dramatisch erscheint, als wir von anderen kardiologischen Erkrankungen gewöhnt sind. Auch die oft beobachtete Zurückhaltung hinsichtlich einer chirurgischen Therapie bedarf zusätzlicher Aufklärung. Diese scheint durch Faktoren wie die Invasivität der Prozedur, das Alter der Erkrankten, Komorbiditäten und vorhergehende Prozeduren erklärbar zu sein. Eine chirurgische Intervention wurde allerdings in zahlreichen großen retrospektiven Studien als starker unabhängiger protektiver Faktor identifiziert. Demgegenüber ist das Absehen von einem operativen Eingriff bei bestehender Indikation der stärkste Prädiktor für einen letalen Ausgang, auch bei älteren Patientinnen und Patienten. Dies unterstreicht wiederum die Bedeutung einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Kardiologie und Kardiochirurgie im Sinne der etablierten Strukturen eines Heart Teams mit Erweiterung zum Endokarditis Team.

 

Welche Punkte sind offengeblieben?

 

Die infektiöse Endokarditis ist ein vernachlässigtes Gebiet der kardiovaskulären und infektiologischen Forschung. Die überwiegende Mehrheit der Empfehlungen der ESC beruhen daher nur auf retrospektiven Beobachtungsstudien oder Expertenmeinung. Es besteht die klare Notwendigkeit mehr Evidenz zu generieren.

 

Exemplarisch ist hier an Infektionen von kardialen implantierbaren elektronischen Devices (CIED) zu denken. Obwohl in Deutschland jährlich >150.000 Patienten mit einem CIED versorgt werden und eine Infektion als schwerwiegendste Komplikation bei bis zu 4 % aller Patienten auftritt, gibt es bisher keine randomisierte Studie bei Patienten mit aktiver CIED-Infektion.

 

Ausblick: Welche Entwicklungen zum Thema zeichnen sich ab?

 

Erfreulicherweise werden immer häufiger randomisierte Studien durchgeführt, um die dringend benötigte Evidenz zu schaffen. Sowohl Studien zur chirurgischen Therapie (z. B. frühe chirurgische Therapie zur Prävention embolischer Ereignisse; NCT05061355) als auch zur antibiotischen Therapie (z.B. Dauer der antibiotischen Therapie; NCT05144399) wurden bereits initiiert. Zahlreiche weitere Studien sind in Planung. Die speziellen Herausforderungen im Bereich der Forschung zur infektiösen Endokarditis (z. B. geringes Interesse seitens der Industrie, häufig komplizierte Diagnose und längerfristige Therapie, Heterogenität der Erkrankung und der Patienten) müssen Stück für Stück überwunden werden.

 

Ob eine interdisziplinäre Behandlung analog zu anderen Herzklappenerkrankungen flächendeckend gewährleistet werden kann, hängt sicherlich neben Partikularinteressen auch von der Kapazität der Maximalversorger ab. Auf Grund der schlechten Prognose von Patientinnen und Patienten mit infektiöser Endokarditis sollte allerdings die Übernahme dieser Patienten in Krankenhäuser der tertiären Versorgung höchste Priorität haben. 

Weiter zur vorgestellten Publikation:

Kommentar zu den Leitlinien 2023 der ESC zur infektiösen Endokarditis – Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)

Literaturnachweis: de Waha, S., Abdel-Wahab, M., Al-Nawas, B. et al.

Kommentar zu den Leitlinien 2023 der ESC zur infektiösen Endokarditis
Kardiologie 2024. https://doi.org/10.1007/s12181-024-00704-w

 

Zur Person

Prof. Michael Borger

Prof. Michael Borger ist Direktor der Universitätsklinik für Herzchirurgie und Ärztlicher Direktor am Herzzentrum Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Herzklappen-Therapie und Aortenchirurgie. Er ist Co-Leiter der 2023 ESC Endokarditis Leitlinien und Mitglied der ESC CPG sowie des CTSN Hauptausschusses.


Kurzinfo: Die Formate der DGK-Publikationen

Leitlinien sind für Ärztinnen und Ärzte eine wichtige Stütze im klinischen Alltag, um ihre Patientinnen und Patienten nach neuestem Stand der Wissenschaft bestmöglich zu behandeln. Dabei dienen die Leitlinien als verlässliche Handlungsempfehlungen in spezifischen Situationen.

Pocket-Leitlinien sind Leitlinien in kompakter, praxisorientierter Form. Bei Übersetzungen von Pocket-Leitlinien der ESC werden alle Empfehlungsklassen und Evidenzgrade der Langfassung übernommen.

Master Pocket-Leitlinien stellen eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte der Leitlinienempfehlungen in Form von grafischen Diagnose- und Therapiealgorithmen dar. Als Quelle der Empfehlungen dienen dabei vorwiegend die nach strengen wissenschaftlichen Kriterien erstellten Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) sowie deren deutsche Übersetzung durch die DGK.

CardioCards behandeln im Wesentlichen Themen der Diagnostik und Akuttherapie für den ambulanten Bereich. Hier werden die essenziellen Informationen von Leitlinien komprimiert und übersichtlich zusammengefasst.

Kommentare beinhalten Hinweise, wie sich die neuen von den alten Leitlinien unterscheiden, Hinweise auf wesentliche Neuerungen, die seit dem Erscheinen der ESC-Leitlinien bekannt geworden sind, Diskussion kontroverser Empfehlungen in den ESC-Leitlinien sowie Möglichkeiten und Grenzen der Leitlinienumsetzung im Bereich des deutschen Gesundheitswesens.

Ein Positionspapier behandelt eine Fragestellung von großem allgemeinen Interesse, für die keine aktuelle Leitlinie vorliegt.

Bei einem Konsensuspapier handelt es sich um ein von mehreren Fachgesellschaften getragenes Statement.

Diese Veröffentlichungen enthalten Empfehlungen einer DGK-Arbeitsgruppe zu einer speziellen Frage von großem Interesse.

Stellungnahmen der DGK beziehen sich auf gesundheitspolitische Fragestellungen und erfolgen durch den Vorstand, gemeinsam mit Kommissionen und Projektgruppen. Sofern möglich und sinnvoll, werden auch Fachgesellschaft-übergreifende Stellungnahmen ausgearbeitet.

Ein Manual ist eine praktisch orientierte Expertenempfehlung für wesentliche kardiovaskuläre Prozeduren.

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