Mit Spannung wurden die neuen CCS-Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) erwartet, die nach den CCS-Leitlinien von 2019 basierend auf einer Vielzahl an Evidenz nun kein separates Update der Revaskularisations-Leitlinien von 2019 und der Präventions-Leitlinien von 2021 bereithält, sondern alle diese Aspekte in einer Leitlinie zusammenfasst. Ähnlich wie bei den ESC ACS Leitlinien von 2023 eine riesige Aufgabe.
Mir persönlich gefällt der neue 4-Stufen Ansatz gut zum Management des CCS. Auch das neue risikofaktorgewichtete klinische Prognosemodell entspricht besser der klinischen Realität als die frühere Vorgehensweise, dass man basierend auf Alter, Geschlecht und der sehr vereinfachten Herangehensweise der Symptombeurteilung in typische, atypische und nicht-anginöse Beschwerden eine Vortestwahrscheinlichkeit nach einer Tabelle bestimmt.
Allerdings war nach Rückmeldungen für viele unklar, wie man mit diesem risikofaktorgewichteten klinischen Prognosemodell umgehen soll. Basierend auf den neuen Tabellen kommt man bei keiner Patientin oder Patienten auf eine Wahrscheinlichkeit von > 50 % für das Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung (KHK). Das würde bedeuten, dass nahezu alle Patientinnen und Patienten mittels CT Koronarangiographie abgeklärt werden sollen.
Die zusätzliche Tabelle zur Adjustierung der klinischen Wahrscheinlichkeit basierend auf pathologischen Zusatzbefunden, wie i) Ruhe-EKG-Veränderungen, ii) Belastungs-EKG mit abnormalen Befunden, iii) LV-Dysfunktion, iv) ventrikuläre Arrhythmien, v) pAVK, und vi) Koronarkalk im Thorax-CT war mir als auch anderen auch nach mehrfachem Lesen nicht ganz klar.
In der Zwischenzeit gab es über X (vormals Twitter) auch viele Diskussion dazu und einen online-Rechner, der das klarstellt. Ich kann diesen Rechner nur empfehlen, da dieser das Vorgehen enorm erleichtert und verständlich macht: https://ihtanboga2.shinyapps.io/CCS_app/
Insgesamt spannend ist die Fokussierung auf ANOCA und INOCA, wenn keine obstruktive KHK vorliegt. Es bleibt allerdings die Frage, was machen wir, wenn wir aufwändig ANOCA oder INOCA im Katheterlabor diagnostiziert haben. Harte Evidenz haben wir leider nicht, wie wir das therapeutisch beeinflussen können. Wie so oft, ist das vermutlich die Aufgabe des Leitlinien-Komitees an die wissenschaftliche „Community“, dass wir hier mehr forschen sollen.
Die Empfehlungen zur Revaskularisation sind recht diplomatisch formuliert und erlauben dem Heart Team basierend auf Komorbiditäten und Lebenserwartung eine balancierte Vorgehensweise zur Prognoseverbesserung als auch zur Symptomkontrolle. Die amerikanischen Leitlinien zur Revaskularisation von 2021 waren hier im Vergleich zurückhaltender und haben die Evidenz zur Bypass-Operation bei CCS mit erhaltener Pumpfunktion in Bezug auf Prognose-Verbesserung zurückhaltender bewertet, da diese Studien nunmehr 4 Jahrzehnte alt sind und sich alleine in der medikamentösen Therapie des CCS doch erhebliche Fortschritte gezeigt haben. Gleiches für das CCS mit reduzierter Pumpfunktion, wo die 4-Säulen-Therapie der Herzinsuffizienz ja eine erhebliche Prognoseverbesserung gezeigt hat. In dieser Hinsicht ist die Diskussion zur Prognoseverbesserung durch Revaskularisation mittels Bypass-OP in STICH bzw. STICHES als auch mittels PCI in REVIVED-BCIS sicherlich nicht abgeschlossen. Auch hier ergeben sich wichtige Fragen für neue Studien.
Es bleibt also weiter spannend. Die Leitlinien geben uns aber eine gute Möglichkeit für die nächsten Jahre die Patientinnen und Patienten optimal zu versorgen.