Neue europäische ESVM-Leitlinie zu Management der venösen Thromboembolie

 

Die ESVM (European Society of Vascular Medicine) hat erstmalig Leitlinien zur interventionellen Therapie von venösen Thromboembolien (VTE) herausgegeben. Die bisherigen Leitlinien, die von der ESC, ESVS (European Society of Vascular Surgery) oder anderen Fachgesellschaften stammen, behandeln interventionelle Therapien nur als Teilaspekt und nicht als eigenständige Leitlinie. Die neue ESVM-Leitlinie gibt praxisorientierte Empfehlungen für die interventionelle Thrombektomie zur Behandlung der tiefen Beinvenenthrombose (TVT) und Lungenembolie (PE).

 

Prof. Christos Rammos (Universitätsklinikum Essen), Rubrikleiter Angiologie kommentiert.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar: 

Prof. Christos Rammos

Universitätsklinikum Essen

 

 

22.07.2025

 

Bildquelle (Bild oben): ustas777 / Shutterstock.com

Hintergrund

 

Tiefe Beinvenenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (PE) zählen zu den häufigsten Entitäten der venösen Thromboembolie (VTE), deren Inzidenz weltweit auf etwa 1:1.000 Erwachsene jährlich geschätzt wird. Die 30-Tages-Mortalität einer erstmalig auftretenden TVT bzw. PE wurde mit 4,6 % bzw. 9,7 % angegeben mit Verbesserungen in den letzten Jahren. Die VTE kann als chronische Erkrankung angesehen werden (insbesondere falls keine Risikofaktoren vorliegen), da etwa 30 % der Betroffenen innerhalb von 10 Jahren ein Rezidiv erleiden. Zu den wichtigsten Langzeitfolgen gehören das postthrombotische Syndrom (PTS) bei TVT und die chronische thromboembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH) bei PE.


Neue Techniken im Bereich der interventionellen Thrombektomie haben die Therapieoptionen der akuten TVT und PE in den letzten Jahren erweitert, wobei sich die therapeutischen Ziele unterscheiden: Während bei der TVT die Linderung der Schmerzen und Schwellung sowie die Vermeidung des PTS als Langzeitkomplikation im Vordergrund stehen, richtet sich die PE-Therapie vor allem auf eine rasche Senkung des pulmonalarteriellen Drucks und der rechtsventrikulären Belastung sowie auf die Verhinderung eines obstruktiven Schocks und Herzstillstand. Neu entwickelte Devices haben in den letzten Jahren zu zunehmenden Anwendungen der kathetergestützten Behandlung (CBT) bei akuter TVT und PE geführt. 


Diese Leitlinie der ESVM gibt praxisorientierte Empfehlungen zu Entscheidungen, die die interventionelle Therapie der akuten TVT oder PE betreffen, sowie für das periinterventionelle Management. 

Interventionelle Therapie der TVT

 

Ziele der CBT bei der akuten TVT sind die Entfernung des Thrombus und die Wiederherstellung der venösen Drainage der betroffenen Extremität. Kurzfristig steht die rasche Linderung der TVT-Symptome durch Verringerung des venösen Drucks, der venösen Dehnung und der lokalen Entzündung im Vordergrund und langfristig die Verhinderung eines klinisch relevanten PTS, das sich je nach Schweregrad in bis zu 50 % der Fälle entwickelt.


Die CBT sollte generell in erfahrenen Zentren durchgeführt werden, wobei ein multidisziplinäres Expertenteam in die Entscheidungsfindung, das periinterventionelle Management und die Nachsorge einbezogen werden soll. Der Algorithmus für die Therapie der akuten TVT ist in Abbildung 1 dargestellt.


Von einer CBT profitieren vor allem junge Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Symptomen, die auf eine iliokavale oder iliofemorale Lokalisation der akuten TVT zurückzuführen sind. Eine kontinuierliche periinterventionelle Volldosis-Antikoagulation ist bei der CBT unerlässlich. Für eine unterschiedliche Antikoagulation bei CBT oder konservativer Therapie fehlen bisher Daten. Für den routinemäßigen Einsatz von Thrombozytenaggregationshemmern nach einer venösen Stentimplantation stehen ebenfalls noch keine Daten zur Verfügung.


Die Thrombektomie erfolgt in der Regel in einem Zeitfenster von 2 Wochen nach dem Auftreten der Symptome. Die mechanische Thrombektomie ist der medikamentösen oder sonographischen Thrombolyse vorzuziehen. Neuere Devices ermöglichen einen mechanischen Ansatz, wodurch Thrombolytika und somit die Gefahr von Blutungen vermieden werden. Allerdings fehlen ebenfalls aussagekräftige Daten – randomisierte klinische Studien laufen. 


Zur Beurteilung des residualen Thrombus und der zugrundeliegenden Obstruktionen wird die Anwendung von IVUS (intravaskulärer Ultraschall) empfohlen sowie ggf. auch für die Stentplatzierung. Falls ein Stent notwendig ist, um verbleibende iliofemorale/iliokavale Obstruktionen nach der CBT zu behandeln, wird ein dezidierter Venenstent empfohlen. Mit als auch ohne Stentimplantation ist die regelmäßige Nachsorge mit klinischer und duplexsonographischer Beurteilung sowie auch das Antikoagulationsmanagement unverzichtbar.

Therapie-Algorithmus für die Behandlung der akuten TVT (modifiziert nach Schlager et al. 2025)1 Abbildung 1: Therapie-Algorithmus für die Behandlung der akuten TVT (modifiziert nach Schlager et al. 2025)

Interventionelle Therapie der PE

 

Das Ziel der CBT bei der Lungenembolie (PE) ist die Fragmentierung oder Entfernung des Thrombus und damit die Verbesserung der Hämodynamik bei einem geringeren Blutungsrisiko im Vergleich zur systemischen Thrombolyse. In den letzten 10 Jahren hat sich die Evidenz für die CBT deutlich erhöht mit Erfolgsquoten von fast 90 % und geringen Blutungsrisiken insbesondere für die lysefreie CBT oder die niedrig dosierte lokale Thrombolyse. Eine aktuelle Metaanalyse und eine retrospektive Studie zeigten, dass die CBT gegenüber der Antikoagulation im Hinblick auf Mortalität und VTE-Rezidive überlegen war.2,3


Die ESC-Leitlinie von 2019 empfiehlt die CBT nur bei PE mit hohem Risiko und Kontraindikationen gegen eine systemische Thrombolyse oder bei Versagen der systemischen Thrombolyse sowie bei PE mit mittlerem Risiko und hämodynamischen Verschlechterungen.4 Aktuellere Konsensdokumente befürworten jedoch einen liberaleren Ansatz, wobei Red Flags einer klinischen Verschlechterung einbezogen werden. In den letzten Jahren wurden einige neue CBT-Devices entwickelt – randomisierte Studien sind derzeit noch in der Rekrutierungsphase. 


Der Algorithmus für das Management der PE ist in Abbildung 2 dargestellt. Personen mit einer komplexen PE sollten in spezialisierten Zentren durch ein erfahrenes Expertenteam (PERT, Pulmonary Embolism Response Team) betreut werden, das folgende Fachbereiche abdeckt: Gefäßmedizin, Kardiologie, Radiologie, Notfallmedizin, Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, Pulmonologie, Intensivmedizin und Hämostaseologie. Eine Schlüsselrolle des PERT besteht darin, das optimale Timing für die Intervention zu bestimmen. Die CBT kommt bei Patientinnen und Patienten mit PE mit intermediär-hohem Risiko und unzureichender klinischer Besserung innerhalb von 24 Stunden nach der Antikoagulation in Betracht. Weiterhin ist die CBT zu erwägen bei Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko und Kontraindikation für eine systemische Thrombolyse oder bei Versagen der systemischen Thrombolyse. Unfraktioniertes Heparin (UFH) ist das Antikoagulans der Wahl in der periinterventionellen Phase einer geplanten CBT oder systemischen Thrombolyse.


Auch die offene chirurgische Embolektomie kommt als therapeutische Option in Betracht, z. B. bei Thromben im Bereich eines offenen Foramen ovale. Die intrahospitale Mortalität bei offenen chirurgischen Interventionen ist jedoch höher im Vergleich zur CBT und eng mit prähospitalen kardiopulmonalen Reanimationen assoziiert. Da prospektive randomisierte Studien fehlen, sollten alle Therapie-Entscheidungen auf dem Konsens des Expertenteams (PERT) beruhen.


Neben der Akutbehandlung ist die Nachsorge (einschließlich echokardiographischer und duplexsonographischer Beurteilung sowie Antikoagulationsmanagement) von entscheidender Bedeutung. Bei anhaltender Dyspnoe oder eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit sollten Betroffene an spezialisierte Zentren überwiesen werden, um ggf. eine geeignete Therapie einzuleiten (z. B. Ballonangioplastie oder chirurgische Embolektomie).

Therapie-Algorithmus für die Behandlung der akuten Lungenembolie Abbildung 2: Therapie-Algorithmus für die Behandlung der akuten Lungenembolie (modifiziert nach Schlager et al. 2025)

Vena Cava Inferior (VCI) Filter

 

Es gibt zwar Daten, die darauf hindeuten, dass VCI-Filter das Auftreten einer nachfolgenden PE verhindern könnten, jedoch ist die Evidenz schwach. Außerdem können VCI-Filter das Risiko einer TVT und persistierenden Vernarbung oder Verengung der VCI bei fraglichen Effekten auf die Gesamtmortalität erhöhen.

Fazit

 

Die interventionelle Therapie der VTE, einschließlich TVT und PE, hat sich in den letzten Jahren durch technische Fortschritte und zunehmende klinische Erfahrung rasant weiterentwickelt. Die kathetergestützte Thrombektomie (CBT) ist eine neue Therapieoption mit vielversprechenden Ergebnissen. Die Patientenselektion, das Timing und das periinterventionelle Management sind dennoch entscheidend, um den Benefit zu optimieren und die Risiken zu minimieren. 


Die derzeitige Evidenz unterstützt den Einsatz der CBT vor allem bei Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Symptomen und hohem Risiko in spezialisierten Zentren. In den nächsten Jahren werden weitere Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit der neuen CBT-Devices erwartet, die zu genaueren Empfehlungen und verbesserten Outcomes beitragen werden.

Expertenkommentar

 

Während die medikamentöse Therapie die Basis der Behandlung der tiefen Venenthrombose und Lungenembolie darstellt, gibt es eine zunehmende Evidenz, dass bestimmte Patientinnen und Patienten auch von einer Katheterintervention profitieren. Die Empfehlungen bezüglich der Indikation und des Managements der katheterbasierten Behandlung wurden aktuell zusammengefasst. 


Diese Leitlinie der ESVM ist die erste Leitlinie, die sich mit dem Thema der interventionellen Therapie der venösen Thromboembolie befasst. Wesentlicher Punkt ist bezüglich der Indikationsstellung, dem periprozeduralen Management und auch der Nachbetreuung die Einbindung von Gefäßexpertinnen und -experten. Des Weiteren wird jedoch auch die Empfehlung zur interdisziplinären Behandlung von Patientinnen und Patienten mit einer TVT und auch PE ausgesprochen. Im Falle einer PE sollte ein dezidiertes PERT-Team die Möglichkeiten und Optionen evaluieren und zeitgerecht anbieten können.

 

Dies inkludiert nicht nur die katheterbasierte Therapie, sondern auch die Vorhaltung von chirurgischen Optionen und der Möglichkeit, Thrombektomieen unter ECMO-Support anbieten zu können. Trotz technischer Fortschritte bleibt nicht zuletzt die Indikationsstellung entscheidend: Katheterbasierte Verfahren wie die kathetergestützte Thrombolyse (CBT) oder mechanische Thrombektomie sollten vor allem bei stark symptomatischen oder Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten zum Einsatz kommen – in erfahrenen Zentren sowie unter Einbindung vaskulärer Expertinnen und Experten. Ergebnisse laufender Studien werden künftig dazu beitragen, die Sicherheit und Wirksamkeit moderner Verfahren weiter zu präzisieren – mit dem Ziel einer noch gezielteren, individualisierten Therapie der VTE.

Zur Person

Prof. Christos Rammos

Prof. Christos Rammos ist als Geschäftsführender Oberarzt und Leiter der diagnostischen und interventionellen Angiologie am Universitätsklinikum Essen tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der kardiovaskulären Funktionsstörung mit besonderem Fokus auf Endothelfunktion, mikrobiomvermittelte Effekte und diätetische Interventionen sowie ferner Interventionen bei peripherer Verschlusskrankheit.


Referenzen

 

  1. Schlager O et al. 2025 ESVM Guidelines on interventional treatment of venous thromboembolism. Vasa. 2025 Jun 30.
  2. Leiva O et al. Catheter-based therapy for high-risk or intermediaterisk pulmonary embolism: death and re-hospitalization. Eur Heart J. 2024. 49.
  3. Zhang RSet al. Efficacy and Safety of Anticoagulation, Catheter-Directed Thrombolysis, or Systemic Thrombolysis in Acute Pulmonary Embolism. JACC Cardiovasc Interv. 2023;16:2644–51.
  4. Konstantinides SV, Meyer G. The 2019 ESC Guidelines on the Diagnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism. Eur Heart J. 2019 Nov 1;40(42):3453-3455. doi: 10.1093/eurheartj/ehz726. PMID: 31697840.

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