Neue S3-Leitlinie pAVK

 

S3-Leitlinie pAVK: Die Deutsche Gesellschaft für Angiologie (DGA) hat gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften und Organisationen die S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) aus dem Jahr 2016 aktualisiert.1

 

Prof. Christos Rammos (Universitätsklinikum Essen) kommentiert.

 

 

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar

Prof. Christos Rammos

Universitätsklinikum Essen

 

09.12.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Rustas7777777 / Shutterstock.com

Epidemiologie

 

In Europa sind mehr als 50 Millionen Menschen im Alter über 25 Jahren von einer pAVK betroffen. Die Gesamtprävalenz der pAVK über alle Altersgruppen hinweg wird derzeit mit 3-10 % angegeben, wobei eine klare Geschlechts- und Altersabhängigkeit nachgewiesen wurde. Ab 60 Jahren liegt die Prävalenz demzufolge bei 10 %, ab 70 Jahren bereits bei 15-20 %. In jüngeren Altersgruppen ist die Claudicatio bei Männern häufiger, in den höheren Altersstufen bestehen aber kaum noch geschlechtsspezifische Unterschiede.

Klassifikation und Diagnose

 

Die klinische Einteilung der pAVK erfolgt gemäß der Symptomatik nach der Stadieneinteilung von Fontaine. Neben Inspektion, Palpation und Auskultation gehört die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI) zur orientierenden Basisuntersuchung einer pAVK. Generell wird ein ABI ≤ 0,9 als beweisend für eine pAVK definiert.
Die Einteilung der pAVK nach TASC-Klassifikation wurde verlassen. Stattdessen erfolgt die Einteilung nach klinischen Stadien, Claudicatio und kritischer Ischämie. Neu eingeführt wurde die Bezeichnung CLTI (Chronic Limb-Threatening Ischemia) statt wie bisher CLI (Critical Limb Ischemia). Sobald der Verdacht einer CLTI vorliegt, soll unverzüglich eine weitere Gefäßdiagnostik eingeleitet werden, um das Risiko einer Amputation zu minimieren.

Konservative Therapie

 

Die Säulen der Behandlung der pAVK sind die Wiederherstellung und Erhaltung der arteriellen Perfusion der Extremitäten sowie die Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren und der Begleiterkrankungen. Hierzu dient primär die konservative Therapie. Die Basisbehandlung umfasst folgende Komponenten: Gehtraining, Gewichtsreduktion bei Übergewicht, Nikotinkarenz bei Rauchern sowie die Behandlung von Hypertonie, Hypercholesterinämie und Diabetes mellitus.

Antithrombotische und lipidsenkende Therapie

 

Personen mit symptomatischer pAVK benötigen als Sekundärprophylaxe eine Monotherapie mit ASS (100 mg) oder Clopidogrel (75 mg). Nach interventioneller Therapie ist über max. 6 Monaten eine duale Therapie mit ASS und Clopidogrel möglich. Die Kombination von ASS (100 mg) und Rivaroxaban (2,5 mg bid) kann bei stabilen Patientinnen und Patienten mit symptomatischer pAVK ohne erhöhtes Blutungsrisikos erwogen werden. Hohe LDL-Spiegel sind mit erhöhter Inzidenz und Progression von kardiovaskulären Erkrankungen vergesellschaftet. Bei Patientinnen und Patienten mit pAVK soll eine lipidsenkende Therapie mit einem High-Intensity-Statin erfolgen. Als LDL-C-Zielwert sollte < 55 mg/dl und eine LDL-C-Senkung ≥ 50 % erreicht werden.

Revaskularisation

 

Bei Patientinnen und Patienten mit Claudicatio soll zunächst ein Bewegungstraining sowie eine Optimierung der Medikation und der Risikofaktoren als Basistherapie über mindestens 3 Monate durchgeführt werden. Falls keine Besserung der Symptomatik eintritt, kann eine endovaskuläre oder offen-chirurgische Revaskularisation angeboten werden.
Bei Patientinnen und Patienten mit CLTI ist eine schnelle und ausreichende Revaskularisation zum Beinerhalt das oberste Ziel. Derzeit ist es nicht ausreichend sicher möglich für definierte Patientengruppen eine generelle „Endovaskulär First“ oder „Bypass First“-Strategie zur Revaskularisation zu empfehlen. Daher ist ein interdisziplinärer Expertenkonsens die beste Möglichkeit, um ausgewogene individuelle Entscheidungen bezüglich der Verfahrenswahl zu treffen.

Strukturierte Bewegungstherapie

 

Der Stellenwert der konservativen Therapie, insbesondere der Bewegungstherapie wurde aufgewertet. Allen Patientinnen und Patienten mit Claudicatio soll ein strukturiertes Gehtraining unter qualifizierter Anleitung als Bestandteil der Basisbehandlung angeboten werden. Das Bewegungstraining soll mindestens 3 x wöchentlich in Übungseinheiten von 30-60 Minuten über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten erfolgen. Wenn überwachtes Bewegungstraining nicht möglich ist, kann ein häusliches Gehtraining mit Zielvorgaben und engem zielorientierten Monitoring erwogen werden.

Nachsorge und geriatrische Aspekte

 

Die regelmäßige Nachsorge hat einen positiven Effekt auf die kardiovaskuläre und Bein-Prognose der Patientinnen und Patienten mit pAVK und ist daher sehr zu empfehlen. Für eine Routine-Ultraschall-Überwachung in der Nachsorge konnte allerdings kein Nutzen festgestellt werden.
Geriatrische Aspekte werden erstmals in einem eigenen Kapitel abgehandelt. Sowohl die Vorbeugung von Morbidität als auch die rehabilitative Nachbehandlung spielen in der Geriatrie eine wesentliche Rolle. Bei geriatrischen Patientinnen und Patienten mit CLTI soll überprüft werden, ob ein Frailty-Syndrom vorliegt. Ist dies der Fall, soll die Indikation revaskularisierender Maßnahmen restriktiv gestellt werden unter Berücksichtigung der zu erwartenden Invasivität des Eingriffs.

Fazit

 

Die neue S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der pAVK betont die Bedeutung der strukturierten Bewegung und gibt erstmals detaillierte Empfehlungen zu Art und Dauer des Gehtrainings. Außerdem werden geriatrische Aspekte in einem eigenen Kapitel behandelt. Sowohl die neuen Empfehlungen zum Bewegungstraining als auch zur antithrombotischen und lipidsenkenden Therapie stehen im Einklang zu den Updates der ESC und der AHA ebenfalls aus diesem Jahr.2,3

Expertenkommentar Prof. Christos Rammos

 

Die neue S3-Leitlinie fokussiert sich auf mehrere wesentliche Säulen in der Behandlung von pAVK-Patientinnen und -Patienten. Im Vordergrund steht dabei das Gehtraining, welches einen herausragenden Stellenwert einnimmt. Dies wurde in Übereinstimmung mit dem Positionspapier der ESVM (European Society of Vascular Medicine) verschriftlicht.4 Neu ist die klare Formulierung, dass das Gehtraining zusammen mit BMT mindestens 3-6 Monate durchgeführt werden soll, so dass erst im Anschluss eine Revaskularisation erfolgen sollte. Klares Novum ist die Aufnahme von Rivaroxaban als mögliche antithrombotische Therapie bei stabiler pAVK und nach Revaskularisation mit jeweils niedrigem Blutungsrisiko, wobei eindeutig die Plättchenhemmung mit Clopidogrel als First-line-Therapie gilt. Abschließend wird in der S3-Leitlinie die strukturierte Nachsorge von Patientinnen und Patienten betont, im Konsens mit der aktuellen ESC-Leitlinie.2 Eine strukturierte Nachsorge bei pAVK bedeutet allerdings auch, dass neue Kapazitäten für die ambulante Versorgung geschaffen werden müssen - eine Problematik, die sich in Deutschland einerseits auf verschiedene Fachgruppen5,6 aufteilt und anderseits aktuell nicht durch Programme wie z.B. DMP unterstützt wird.

Zur Person

Prof. Christos Rammos

Prof. Christos Rammos ist als Geschäftsführender Oberarzt und Leitung für den Bereich der diagnostischen und interventionellen Angiologie in der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Essen tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der kardiovaskulären Funktionsstörung mit besonderem Fokus auf die eingeschränkte Endothelfunktion, mikrobiomvermittelten Effekten und diätetischen Interventionen sowie ferner auch auf Interventionsstrategien bei peripherer Verschlusskrankheit.


Referenzen

 

  1. https://www.awmf.org/service/awmf-aktuell/periphere-arterielle-verschlusskrankheit-pavk-diagnostik-therapie-und-nachsorge
  2. Mazzolai L et al. 2024 ESC Guidelines for the management of peripheral arterial and aortic diseases. Eur Heart J. 2024 Aug 30:ehae179. doi: 10.1093/eurheartj/ehae179. Epub ahead of print. PMID: 39210722
  3. Writing Committee Members et al. 2024 ACC/AHA/AACVPR/APMA/ABC/SCAI/SVM/SVN/SVS/SIR/VESS Guideline for the Management of Lower Extremity Peripheral Artery Disease: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Joint Committee on Clinical Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol. 2024 Jun 18;83(24):2497-2604. doi: 10.1016/j.jacc.2024.02.013.
  4. Mazzolai L et al. Exercise therapy for chronic symptomatic peripheral artery disease. Vasa 2024;53:87-108.
  5. Rammos C et al. Peripheral artery disease in Germany (2009-2018): Prevalence, frequency of specialized ambulatory care and use of guideline-recommended therapy - A population-based study. Lancet Reg Health Eur 2021;5:100113.
  6. Messiha D et al. Income-Related Peripheral Artery Disease Treatment: A Nation-Wide Analysis from 2009-2018. J Cardiovasc Dev Dis 2022;9. 

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