Neue AHA-Leitlinie perioperatives kardiovaskuläres Management

 

AHA-Kongress 2024 | Guidelines: Die ACC/AHA-Guideline von 2014 zum perioperativen kardiovaskulären Management bei nicht-kardiologischen Eingriffen wurden mit neuen, konsolidierten Erkenntnissen aktualisiert. Das Leitlinien-Update gibt Empfehlungen zur Einschätzung des kardiovaskulären Risikos, zu präoperativen kardiologischen Untersuchungen, sowie zum perioperativen Management bei Dauermedikation und bei bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen.1

 

Die Expertin Prof. Julinda Mehilli (LAKUMED Klinik Landshut) kommentiert.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar  

Prof. Julinda Mehilli

LAKUMED Klinik Landshut

 

17.02.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Rudy Balasko / Shutterstock.com

Hintergrund

 

Die Leitlinie perioperatives kardiovaskuläres Management bei nicht-kardiologischen Interventionen (NC-OPs) richtet sich an alle Ärztinnen und Ärzte, die an der Versorgung von Personen mit diesen Eingriffen beteiligt sind. Vor elektiven NC-OPs muss das perioperative Risiko und die Notwendigkeit zusätzlicher kardiologischer Untersuchungen eingeschätzt werden. Die präoperative Bewertung beginnt mit einer gezielten Anamnese und körperlichen Untersuchung. Diese Einschätzung dient als Grundlage für das perioperative Management. Zusätzliche Strategien können die Auswahl der optimalen OP-Technik oder geeigneter Zentren (ambulantes oder stationäres Zentrum) betreffen sowie die optimale Betreuung und Überwachung nach dem Eingriff und nach der Krankenhaus-Entlassung.

Epidemiologie

 

In Deutschland ist die Zahl der vollstationären Operationen im Zeitraum von 2005 bis 2021 von 12,1 Millionen auf 15,8 Millionen gestiegen. Hierbei entfallen 85 % der großen Operationen auf elektive, nicht-kardiologische Eingriffe.2
Kardiovaskuläre Risikofaktoren sind generell in der Bevölkerung weit verbreitet, und perioperative kardiovaskuläre Komplikationen stellen eine wichtige Ursache für Morbidität und Mortalität dar. Bei stationären NC-OPs in den USA wies fast die Hälfte der Personen im Alter über 45 Jahren sogar mehrere kardiovaskuläre Risikofaktoren auf. Atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ASCVD) wurden bei rund 25 % aller chirurgischen Patientinnen und Patienten diagnostiziert. Bei stationären NC-OPs von Erwachsenen (> 45 Jahre) traten perioperative Todesfälle, Myokardinfarkte oder ischämische Schlaganfälle bei 1 von 33 Eingriffen auf, was mehr als 150.000 jährlichen Ereignissen in den USA entspricht. Diese Zahlen verdeutlichen den Stellenwert des perioperativen Managements zur Minimierung von Morbidität und Mortaltiät.1

Kardiovaskuläre Risiko-Einschätzung der Intervention

 

Generell werden NC-OPs nach dem Risiko für kardiovaskuläre und zerebrale Ereignisse (Major Cardiac and Cerebral Events, MACCE) klassifiziert. Thorakale, transplantative und neurochirurgische Eingriffe sind mit dem höchsten Risiko verbunden. HNO-, Urogenital- und orthopädische Operationen gelten als Eingriffe mit mittlerem Risiko und endokrine und gynäkologische Eingriffe haben ein eher geringes MACCE-Risiko.
Bei Patienten, die sich einer NC-OP mit mittlerem bis hohem Risiko unterziehen, ist eine strukturierte Bewertung der körperlichen Belastbarkeit (z.B. basierend auf dem Duke Activity Status Index, DASI) zur Risikostratifizierung für perioperative kardiovaskuläre Ereignisse sinnvoll. Zusätzlich kann bei Personen ≥ 65 Jahren oder auch bei jüngeren Personen mit einer erkennbaren Gebrechlichkeit, die sich einer NC-OP mit mittlerem bis hohem Risiko unterziehen, eine präoperative Beurteilung der Gebrechlichkeit mit Hilfe eines validierten Instruments hilfreich sein. .

Präoperative Untersuchungen: Biomarker, EKG und Kardio-CT-Diagnostik

 

Eine Bestimmung der Biomarker, BNP- oder NT-proBNP-Wert, wird empfohlen vor Eingriffen mit hohem Risiko und bei Personen mit bekannter CVD, höherem Alter (≥ 65 Jahre), oder Alter ≥ 45 Jahre und Symptomen, die auf eine CVD hindeuten. Präoperativ ist ein 12-Kanal-EKG sinnvoll bei Personen mit bekannter KHK, signifikanten Herzrhythmusstörungen, peripherer arterieller Verschlusskrankheit, zerebrovaskulären Erkrankungen oder anderen signifikanten strukturellen Herzerkrankungen oder CVD-Symptomen, die sich einer Operation mit höherem Risiko unterziehen.
Bei Personen mit Verdacht auf eine neue oder verschlechterte ventrikuläre Dysfunktion wird eine präoperative Bewertung der LV-Funktion empfohlen. Weiterhin können Stresstests und Kardio-CT-Diagnostik vor Eingriffen mit höherem Risiko in Betracht gezogen werden bei unbekannter oder geringer körperlicher Belastbarkeit und hohem perioperativen CVD-Risiko.

Perioperatives Management der Dauermedikation

 

Eine antianginöse, antihypertensive oder antiarrhythmische Therapie sollte in der Regel perioperativ fortgeführt werden. Das gleiche gilt auch für eine lipidsenkende Therapie mit Statinen. Dagegen sollte die Behandlung mit Natrium-Glukose-Cotransporter-2-Inhibitoren (SGLT2i) 3 bis 4 Tage vor der OP abgesetzt werden, um das Risiko einer perioperativen metabolischen Azidose zu reduzieren.

Perioperatives Management der oralen Antikoagulation

 

Das perioperative Management oraler Antikoagulanzien (OAC) schließt die Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder mit neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) ein. Bei Patientinnen und Patienten mit CVD, die eine OAC erhalten, wird ein multidisziplinärer, teambasierter Ansatz zur zeitlichen Unterbrechung bei elektiven Eingriffen empfohlen, um die konkurrierenden Risiken von Thromboembolien und perioperativen Blutungen gegeneinander abzuwägen.


Die NOAK-Therapie wird abhängig vom Blutungsrisiko des Eingriffs pausiert: Bei niedrigem Blutungsrisiko wird die NOAK-Therapie fortgesetzt und der Eingriff kann 12-24 Stunden nach der letzten Einnahme durchgeführt werden. Bei Eingriffen mit mittlerem Blutungsrisiko werden NOAK abhängig von der glomerulären Filtrationsrate > 24 Stunden vor der OP bzw. bei hohem Blutungsrisiko > 48 Stunden vor der OP abgesetzt.
Das perioperative Management der Thrombozytenaggregationshemmung ist komplex, insbesondere bei Patienten mit KHK und vorheriger PCI, da der Zeitpunkt der Unterbrechung der Thrombozytenaggregationshemmung gegen die Risiken thrombotischer Komplikationen abzuwiegen ist. Elektive Eingriffe sollten daher generell um 6 Monate nach der Koronarintervention bzw. um 12 Monate nach einem akuten Koronarsyndrom mit dualer Thrombozytenaggregationshemmung (DAPT) verschoben werden.


Ein perioperatives Bridging der oralen Antikoagulation wird generell nicht empfohlen, sondern kommt nur selektiv nur bei Patientinnen und Patienten mit einem sehr hohen Risiko für thrombotische Komplikationen in Betracht.

Perioperatives Management bei bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen

 

Falls ein akutes Koronarsyndrom vorliegt, wird eine Revaskularisation und ein Aufschub der NC-OP empfohlen, um perioperative kardiovaskuläre Ereignisse zu vermeiden. Weiterhin ist ein Aufschub einer NC-OP mit höherem Risiko angebracht bei einer schlecht eingestellten Hypertonie (systolischer Blutdruck ≥ 180 mmHg oder diastolischer Blutdruck ≥ 110 mmHg am Tag vor dem geplanten Eingriff), um das Risiko für perioperative Komplikationen zu reduzieren.


Bei einer schweren Aorten- oder Mitralstenose sollte zunächst eine elektive Klappen-Intervention in Betracht gezogen werden. Bei Verdacht auf eine moderate oder schwere Herzklappeninsuffizienz wird eine präoperative Echokardiographie empfohlen. Falls die Kriterien für eine Klappenintervention erfüllt sind, sollte dieser Eingriff vorgezogen werden, um das perioperative Risiko zu verringern.


Bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern und höherem Risiko des Eingriffs sollten EMAH-Expertinnen oder -Experten zur präoperativen Konsultation hinzugezogen werden. Auch bei Personen mit implantierbaren elektronischen Devices (CIED) sind mehrere Maßnahmen zu beachten. So sollte vor dem Eingriff ein Managementplan entwickelt werden, falls elektromagnetische Interferenzen (EMI) zu erwarten sind. Generell gilt die Regel: Je näher eine elektrochirurgische Einheit an den Impulsgenerator oder an die Leitungen des CIED herankommt, desto höher ist das EMI-Risiko. Ggf. ist auch eine Neuprogrammierung des Herzschrittmachers und ein Monitoring nach dem Eingriff notwendig. Diese Maßnahmen sollten vorab im Managementplan berücksichtigt werden.

Expertenkommentar

 

Die ACC/AHA-Leitlinie befasst sich mit dem perioperativen kardiovaskulären Management bei nicht-kardiologischen Eingriffen. Insgesamt stehen die Empfehlungen weitgehend im Einklang mit den europäischen Leitlinien, insbesondere in Bezug auf die Beurteilung der Patientengebrechlichkeit, die kardiologische Evaluation von Patientinnen und Patienten mit kardiovaskulären Symptomen oder bekannten Herzerkrankungen sowie die selektive Anwendung kardialer Bildgebung, wie der transthorakalen Echokardiographie, der nicht-invasiven und invasiven Koronarangiographie und der medikamentösen Therapie. Das perioperative Management der antithrombotischen Therapie erfährt eine zunehmende Individualisierung, abhängig vom Ischämie- bzw. Blutungsrisiko des geplanten Eingriffs.


Ein wesentlicher und praxisrelevanter Unterschied zwischen den beiden Leitlinien betrifft die perioperative kardiovaskuläre Risikostratifizierung. Während beide Leitlinien den Einsatz kardialer Biomarker zur präoperativen Risikoeinschätzung empfehlen, betonen die europäischen Leitlinien insbesondere die Bedeutung des hochsensitiven kardialen Troponins (hs-cTn) sowohl zur präoperativen Risikostratifizierung als auch zur Erkennung peri- und postoperativer Komplikationen. Im Gegensatz zu den amerikanischen Leitlinien wird in den europäischen Leitlinien für alle Patientinnen und Patienten mit einem geplanten nicht-kardialen Eingriff mittleren bis hohen operativen Risikos – ab einem Alter von 65 Jahren oder jünger mit kardiovaskulären Risikofaktoren bzw. einer bekannten Herzerkrankung – die Bestimmung von hochsensitivem kardialem Troponin T/I (hs-cTn T/I) als Klasse-I-Empfehlung sowie die Bestimmung von BNP bzw. NT-proBNP als Klasse-IIa-Empfehlung vorgesehen.
Obwohl beide Biomarker eine vergleichbare Genauigkeit bei der Vorhersage unerwünschter kardialer Ereignisse aufweisen, bietet hs-cTn einige Vorteile gegenüber BNP/NT-proBNP. Erstens ermöglicht ein hs-cTn-Wert im Normbereich den Ausschluss einer akuten Myokardischämie. Zweitens erlaubt das Vorliegen eines präoperativen hs-cTn-Wertes eine zuverlässige Diagnose perioperativer Myokardschäden und Infarkte. Darüber hinaus ist die Bestimmung von hs-cTn kostengünstiger und weiter verbreitet als die von BNP/NT-proBNP, was die Integration dieser Empfehlung in die klinische Praxis erleichtert.


Die Leitlinien enthalten zudem detaillierte, risikoadaptierte Diagnose- und Behandlungsalgorithmen für Betroffene mit häufigen kardialen Erkrankungen, die sich einem nicht-kardiologischen Eingriff unterziehen müssen. Ihre routinemäßige Anwendung könnte den postoperativen Verlauf dieser Patientinnen und Patienten erheblich verbessern.

Zur Person

Prof. Julinda Mehilli

Prof. Julinda Mehilli wechselte im Jahr 2020 vom Klinikum der LMU München an die LAKUMED Klinik Landshut, wo sie seitdem als Chefärztin die Leitung der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und internistische Intensivmedizin übernommen hat. Seit über 20 Jahren ist sie in der Patientenversorgungsforschung aktiv und hat als Mitglied verschiedenster Task-Forces maßgeblich an der Gestaltung nationaler und europäischer Behandlungsleitlinien mitgewirkt.


Referenzen

 

  1. Writing Committee Members. 2024 AHA/ACC/ACS/ASNC/HRS/SCA/SCCT/SCMR/SVM Guideline for Perioperative Cardiovascular Management for Noncardiac Surgery: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Joint Committee on Clinical Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol. 2024 Nov 5;84(19):1869-1969. doi: 10.1016/j.jacc.2024.06.013.
  2. https://www.dgai.de/alle-docman-dokumente/entschliessungen-vereinbarungen/2317-praeoperative-evaluation-erwachsener-patientinnen-und-patienten-vor-elektiven-nicht-herzthoraxchirurgischen-eingriffen/file.html

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