Antithrombotisches Management von COVID-19-Patienten – das sollten Sie beachten

Bei COVID-19-Patienten kommt es Fallberichten zufolge ziemlich häufig zu thromboembolischen Komplikationen. Experten haben nun erste, vorläufige Empfehlungen formuliert, wie das thrombotische Management in Corona-Zeiten gehandhabt werden sollte.

Von Veronika Schlimpert

 

21.04.2020

Was für stationär behandelte Patienten mit akuten Erkrankungen im Allgemeinen gilt, gilt genauso für COVID-19-Patienten: Ihr Risiko für thromboembolische Komplikationen ist erhöht, insbesondere bei kritischen Verläufen – und deshalb ist es wichtig, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Empfehlungen zur pharmakologischen VTE-Prophylaxe

Ein Expertengremium um Prof. Behnood Bikdeli, New York, hat nun u.a. mit Zustimmung der „International Society on Thrombosis and Haemostasis“ (ISTH) erste Empfehlungen zum thrombotischen Management von COVID-19-Patienten formuliert und diese im „Journal of the American College of Cardiology“ publiziert. Im Hinblick auf die VTE-Prophylaxe empfiehlt das Expertenpanel, folgendes zu beachten:

 

  • Der erste wichtige Schritt ist eine Risikostratifizierung von COVID-19-Patienten entsprechend ihres Thromboserisikos vorzunehmen, so wie das auch bei anderen Akutkranken gemacht wird. Laut S3-Leitlinie der AWMF sollte die Einteilung auf Basis von expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren in die drei Risikokategorien niedrig, mittel und hoch erfolgen. In einer Studie aus China war bei 40% der hospitalisierten COVID-19-Patienten nach dem PADUA-Score von einem hohen VTE-Risiko auszugehen. 

 

  • Eine pharmakologische VTE-Prophylaxe sollte laut der Experten bei hospitalisierten Patienten mit Lungenversagen oder Komorbiditäten wie eine akute Tumorerkrankung oder Herzinsuffizienz sowie bei bettlägerigen und intensivpflichtigen Patienten erfolgen – wenn keine Kontraindikationen vorliegen.

 

  • Bei stationär behandelten schwangeren COVID-19-Patientinnen sollte eine pharmakologische VTE-Prophylaxe insbesondere bei Vorliegen weiterer VTE-Risikofaktoren in Betracht gezogen werden, wobei hierzu bisher nur sehr wenige Daten existierten. Weiter erforscht werden sollte in diesem Kontext der Nutzen einer gewichtsadaptierten Dosierung der prophylaktischen Antikoagulation. 

 

  • Als Substanzen für eine VTE-Prophylaxe infrage kommen laut einem vorläufigen Empfehlungsschreiben der WHO niedermolekulares Heparin s.c. 1 × täglich oder unfraktioniertes Heparin (UFH) s.c. 2 × täglich, wobei das Expertengremium in Coronazeiten dem niedermolekularen Heparin einen gewissen Vorteil zuspricht, da diese Therapieform weniger Schutzausrüstung und Kontakt zu medizinischem Personal erfordert.

 

  • Über die geeignete Dosierung bei Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung ist sich das Expertengremium aufgrund der kaum verfügbaren Daten uneins: Die meisten Autoren sprechen sich bei diesen Patienten ebenfalls für eine prophylaktische Antikoagulations-Dosis aus, wobei sich einige aus dem Expertenpanel auch eine mittlere oder sogar volle bzw. therapeutische Dosierung vorstellen könnten.  

 

  • Bei kritisch kranken COVID-19-Patienten könnte aufgrund der veränderten Pharmakokinetik eine Dosisanpassung erforderlich sein. 

 

  • Falls eine pharmakologische Prophylaxe kontraindiziert ist, sollte bei immobilen Patienten eine mechanische Prophylaxe (intermittierende pneumatische Kompression) erwogen werden. 

 

  • Nach individueller Abwägung des Thrombose- und Blutungsrisikos könnte für Patienten mit erhöhtem VTE-Risiko eine Fortführung der VTE-Prophylaxe bis zu 45 Tage nach Entlassung sinnvoll sein, z.B. für Patienten mit eingeschränkter Mobilität, Komorbiditäten wie einer aktiven Tumorerkrankung oder nach Ansicht einiger Experten auch bei erhöhten D-Dimer-Werten, wenn diese das Zweifache des oberen Referenzwertes überschreiten und die Patienten ein niedriges Blutungsrisiko aufweisen. Für eine solche fortgeführte Prophylaxe kommen niedermolekulares Heparin oder ein NOAK infrage. 

 

  • Patienten mit milder COVID-19-Erkrankung, die zuhause in Quarantäne sind, sollten zur Bewegung angehalten werden. Eine pharmakologische VTE-Prophylaxe kommt allein für Hochrisikopatienten infrage, also z.B. für Patienten, die bereits eine VTE erlitten haben, oder mit aktiven Tumorerkrankungen oder eingeschränkter Mobilität.

Empfehlungen zur VTE-Therapie

Wie eine Studie aus den Niederlanden deutlich macht, treten VTE gerade bei Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen häufig auf – in dieser Studie bei 31% von insgesamt 185 Patienten, und das obwohl sie eine pharmakologische Prophylaxe erhalten haben (wobei teils zu niedrig dosiert). Wenn bei COVID-19-Patienten eine VTE auftritt, empfehlen Bikdeli und Kollegen folgendes:

 

  • Ganz klar ist dann sofort eine therapeutische Antikoagulation indiziert.

 

  • Bei der Therapiewahl sollten Komorbiditäten wie Störungen der Nieren- bzw. Leberfunktion berücksichtigt werden. 

 

  • Für die meisten sehr kranken COVID-19-Patienten ist laut der Experten eine parenterale Antikoagulation zu empfehlen (z.B. mit unfraktioniertem Heparin bei anstehenden OPs oder sich verschlechternder Nierenfunktion). Speziell in der aktuellen Situation von Vorteil ist, dass bei dafür infrage kommenden Substanzen keine Medikamentenwechselwirkungen mit den derzeit erforschten COVID-19-Medikamenten bekannt sind. 

 

  • Bei Patienten, bei denen die Wahrscheinlichkeit für eine dringende Prozedur gering ist, könnte eine Therapie mit niedermolekularem Heparin eine sinnvolle Alternative darstellen. 

 

  • Für ein NOAK spricht wiederum die einfachere Handhabung gerade im ambulanten Setting. Deshalb präferieren die Experten für Patienten, die kurz vor der Entlassung stehen, eine VTE-Erhaltungstherapie mit einem NOAK oder mit einem niedermolekularen Heparin. 

 

  • Eine kathetergestützte VTE-Therapie sollte laut der Experten in Zeiten von Corona nur dann erfolgen, wenn diese absolut notwendig ist. Die Implantation eines Vena-Cava-Filters sollte ebenfalls Ausnahmesituationen vorbehalten sein, etwa bei einer trotz optimaler Antikoagulation wiederholt auftretenden Lungenembolie oder bei einer klinisch relevanten VTE und absoluter Kontraindikation für eine Antikoagulation. 

 

  • Bei einer akuten Lungenembolie ist die Therapie, wie in den aktuellen Leitlinien empfohlen, nach dem individuellen Risiko des Patienten auszurichten, sprich bei intermediär-niedrigem bzw. intermediär-hohem Risiko: initial eine Antikoagulation und engmaschiges Monitoring; bei hämodynamisch instabilen Hochrisikopatienten: systemische Fibrinolyse oder, falls diese nicht möglich ist, ein katheterbasiertes Verfahren, ggf. eine Bedside-ECMO.

 

  • Im Falle von symptomatischen tiefen Beinvenenthrombosen ist in aller Regel eine Antikoagulation indiziert, die Patienten sollten – wenn immer es möglich ist – von zuhause aus behandelt werden. Eine endovaskuläre Therapie (entweder lokale Fibrinolyse oder Embolektomie) sollte nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen etwa bei Phlegmasia oder ernstzunehmender refraktärer Symptomatik.

Empfehlungen zur antithrombotischen Therapie bei ACS

Eine weitere COVID-19-Komplikation, mit der nach Ansicht der Experten aufgrund der Erfahrungen mit anderen Virusinfektionen zu rechnen ist, ist ein Myokardinfarkt infolge einer Plaqueruptur (Typ 1). In solchen Fällen empfehlen Bikdeli und Kollegen, sich bzgl. der thrombotischen Akutbehandlung an den aktuellen Leitlinienempfehlungen der AHA/ESC zu orientieren, also:

 

  • Eine duale Antiplättchentherapie und volle Dosis eines Antikoagulans, wenn keine Kontraindikationen vorliegen. 

 

  • Speziell in COVID-19-Zeiten sind mögliche Wechselwirkungen zwischen einer antithrombotischen Medikation und COVID-19-Therapiekandidaten zu beachten. Beispielsweise sollte das Virostatikum Lopinavir/Ritonavir nicht zusammen mit Rivaroxaban oder Edoxaban verabreicht werden, eine Koadministration mit Clopidogrel oder Ticagrelor sollte nur unter  Monitoring der Plättchenfunktion erfolgen. 

 

  • Im Übrigen gibt es keine Hinweise, dass Patienten, die im Vorfeld einer SARS-CoV-2-Infektion eine Antiplättchentherapie oder eine Antikoagulation erhalten haben, besonders gefährdet sind für schwere COVID-19-Verläufe. Deshalb sollten Patienten diese Medikation unbedingt fortsetzen.

 

Am Ende stellen die Autoren klar, dass es sich bei ihrem Schreiben nur um eine vorläufige Orientierungshilfe handelt. Diese Empfehlungen sollten die klinische Entscheidungsfindung ergänzen und weniger ersetzen, betonen sie. Wichtig für die Entscheidungsfindung ist ihrer Ansicht nach immer auch das Gespräch zwischen Arzt und Patient.


Literatur

Bikdeli B et al. COVID-19 and Thrombotic or Thromboembolic Disease: Implications for Prevention, Antithrombotic Therapy, and Follow-up; J Am Coll Cardiol. 2020 Apr 17. Epublished; DOI:10.1016/j.jacc.2020.04.031

 

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