Takotsubo: Schilddrüsenwerte als Risikomarker?

 

Das Takotsubo-Syndrom oder Broken-Heart-Syndrom ist eine durch Stress ausgelöste Kardiomyopathie, die zwar meist reversibel verläuft, aber auch mit lebensbedrohlichen Komplikationen einhergehen kann. Lassen sich Schilddrüsenhormone nutzen, um das Risiko für Komplikationen und tödliche Verläufe einzuschätzen? Diese Frage wurde in der vorliegenden Arbeit untersucht.

 

Die Expertin für Geschlechtersensible Medizin Prof. U. Seeland kommentiert die Studie.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Prof. Ute Seeland

Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

 

17.06.2024

 

Bildquelle (Bild oben): wing-wing / Shutterstock.com

 

Bei der als Takotsubo-Syndrom (TTS) oder Broken-Heart-Syndrom bezeichneten Stress-Kardiomyopathie handelt es sich um ein akutes und meist reversibles Herzinsuffizienz-Syndrom, das durch eine regionale Kontraktilitätseinschränkung des linken Ventrikels gekennzeichnet ist. Zwei Drittel der TTS-Fälle werden durch emotionalen oder physischen Stress ausgelöst und zu etwa 90 % sind postmenopausale Frauen betroffen, was auf die Schlüsselrolle hormoneller Veränderungen hinweist.1,2 Obwohl TTS traditionell als benigne Erkrankung angesehen wird, sind zum Teil lebensbedrohliche Komplikationen während der Akutphase nicht selten, wie ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, kardiogener Schock, Schlaganfall oder thromboembolische Ereignisse. TTS wird vermutlich durch erhöhte Katecholamin-Spiegel ausgelöst, allerdings ist die komplexe Pathophysiologie bisher noch nicht vollständig verstanden.3 Aus vorhergehenden Studien ist bekannt, dass eine schwere Hyperthyreose (Thyreotoxikose) die häufigste mit TTS-assoziierte Schilddrüsenfunktionsstörung ist, aber auch eine Hypothyreose kann das Herzmuskelgewebe für die Wirkung von Katecholaminen sensibilisieren.4

Zielsetzung und Studiendesign

 

In der vorliegenden Studie wurden Daten aus dem europäischen GEIST (GErman-Italien-Spanish Takotsubo)-Register analysiert, um den Zusammenhang zwischen TTS und Schilddrüsenfunktionsstörungen zu untersuchen und Parameter zu identifizieren, die mit einem fatalen Verlauf des TTS assoziiert sind.5

Ergebnisse

 

Von 690 Personen des GEIST-Registers wurden 288 TTS-Fälle aus Deutschland, Italien und Spanien mit vollständigen Datensätzen in die vorliegende Analyse eingeschlossen und 237 Personen gingen in die Survival-Analyse ein (Durchschnittsalter ca. 70 Jahre und > 80 % Frauen). Die mediane Follow-up-Dauer betrug 4,3 Jahre. Die Prävalenz von Schilddrüsenfunktionsstörungen war außergewöhnlich hoch: Nur 25 % der eingeschlossenen Personen hatten eine normale Schilddrüsenfunktion und mit 41 % war die häufigste Schilddrüsenfunktionsstörung das TACITUS-Syndrom, das durch niedrige fT3-Spiegel (freies Triiodthyronin) gekennzeichnet ist. Weitere 16,0 % der Fälle hatten eine Thyreotoxikose und 2 % eine Hypothyreose. Bei 24 Personen (4,7 %) kam es zu Rezidiven des TTS. Die weitere Analyse ergab folgende statistisch signifikante Zusammenhänge:

 

  • In der Gruppe der Nicht-Überlebenden (31,3 %) waren die fT3-Spiegel und Dejodase-Aktivität (SPINA-GD) erniedrigt sowie die Sekretionsleistung der Schilddrüse (SPINA-GT) erhöht im Vergleich zu der Gruppe der Überlebenden.
  • Niedrige TSH- und fT3-Spiegel sowie hohe fT4-Spiegel waren laut Kaplan-Meier-Analyse mit einer erhöhten langfristigen Mortalität assoziiert.
  • Personen mit kardiogenem Schock wiesen niedrige fT3-Spiegel auf.
  • Die Clusteranalyse ergab, dass Personen mit einer niedrigen sekretorischen Schilddrüsenaktivität die beste Prognose für das Langzeit-Überleben hatten.

Fazit

 

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie unterstreichen, dass Schilddrüsenhormone eine zentrale Rolle in der komplexen Pathogenese des TTS spielen und für die Langzeitprognose von Bedeutung sind. Diese Erkenntnisse könnten für die Entwicklung neuer therapeutischer Optionen genutzt werden. Weiterhin könnten innovative Biomarker, die auf Schilddrüsenhormonen basieren, dazu beitragen, Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten mit TTS zu identifizieren und durch eine personalisierte Therapie die Mortalität des TTS zu senken.

Stellungnahme von Prof. Seeland

 

Die retrospektive Datenanalyse zeigt den pathophysiologischen Zusammenhang zwischen der Regulation von Schilddrüsenhormonen mit einer akuten myokardialen Dysfunktion. Schilddrüsenhormone erhöhen die Expression von Beta-Adrenozeptoren auf der Oberfläche der Herzmuskelzellen. Eine höhere Anzahl von Beta-Adrenozeptoren führt zu einer erhöhten Empfindlichkeit und Reaktivität des Herzmuskels auf Katecholamine, einer der Mechanismen, der am wahrscheinlichsten zu einer TTS beiträgt. Durch die verbesserte Signaltransduktion der Beta-Adrenozeptoren läuft die intrazelluläre cAMP-PKA-Signalkaskade effizienter ab mit Phosphorylierung von Zielproteinen wie z. B. den Calciumkanälen.

Niedrige fT3-Spiegel können bei einer Vielzahl von Krankheiten und Zuständen gemessen werden, u. a. auch bei akuten Krankheiten oder Traumen, wie z. B. Operationen, die in der Regel als Auslöser für die TTS bekannt sind. Daher müssen fT3-Spiegel im klinischen Kontext interpretiert werden. Sie sind oft ein Zeichen einer zugrunde liegenden Erkrankung und nicht unbedingt auf eine primäre Störung der Schilddrüse zurückzuführen.


Der geringe Prozentsatz von Männern mit TTS trägt nicht zur Datenqualität bei und sollte bei Studien mit einem nach Geschlecht so stark unbalancierten Datensatz nicht mit in die Analyse einfließen.


Schilddrüsenerkrankungen sind in Deutschland relativ häufig, wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer, sowohl bei Hypothyreose als auch bei Hyperthyreose. Frauen haben durch ihre hormonellen Schwankungen während des Menstruationszyklus, der Schwangerschaft und der Menopause ein höheres Risiko für Schilddrüsenerkrankungen. Genetische Prädispositionen spielen eine Rolle und Autoimmunerkrankungen, die auch die Schilddrüse betreffen, kommen häufiger bei Frauen vor im Vgl. zu Männern.


Daher ist es nicht erstaunlich, dass die in der Studie beschriebene Häufung von Schilddrüsenerkrankungen und niedrigem fT3 beobachtet wurde. Die TTS-Patientinnen mit einem letalen Verlauf haben möglicherweise aufgrund der Schwere der Erkrankung ein erniedrigtes fT3 und nicht umgekehrt. Das Studiendesign ist nicht geeignet, eine Kausalität herzustellen. Daher sollte die Interpretation der Ergebnisse durch die Autor:innen nicht überbewertet werden.

Zur Person

Prof. Ute Seeland

Prof. Ute Seeland habilitierte an der Charité Berlin und wechselte seit dem 01.03.2024 an die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, wo sie die Sektion Geschlechtersensible Medizin leitet. Sie ist Mitglied mehrerer nationaler und internationaler Fachgesellschaften sowie Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e.V. (DGesGM®). Ein Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeiten liegt unter anderem in der Erforschung der geschlechterspezifischen Ursachen von Hypertonie.

Prof. Seeland, Leiterin der Sektion Geschlechtersensible Medizin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Bildquelle: Melitta Schubert

Referenzen

 

  1. Templin C et al. Clinical features and outcomes of takotsubo (stress) cardiomyopathy. N Engl J Med.2015;373:929–938
  2. https://www.springermedizin.de/emedpedia/detail/dgim-innere-medizin/takotsubo-kardiomyopathie?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54676-1_174
  3. Crea F et al. An update on the mechanisms of Takotsubo syndrome: "At the end an acute coronary syndrome". J Mol Cell Cardiol. 2024;191:1-6
  4. Müller P et al. Minor perturbations of thyroid homeostasis and major cardiovascular endpoints-Physiological mechanisms and clinical evidence. Front Cardiovasc Med. 2022;9:942971.
  5. Aweimer A et al. Takotsubo syndrome outcomes predicted by thyroid hormone signature: insights from cluster analysis of a multicentre registry. EBioMedicine. 2024;102:105063.

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