Aktuelle Situation der EMAH-Versorgung in Deutschland

 

Dank des medizinischen Fortschritts erreichen heute über 95 % der Kinder mit angeborenen Herzfehlern das Erwachsenenalter. Somit gibt es in Deutschland so viele Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) wie noch nie zuvor. Um die chronisch kranken Patienten und Patientinnen fachgerecht zu versorgen, wurden inzwischen viele EMAH-Schwerpunktpraxen und -Zentren aufgebaut. Doch wie ist die Versorgung in der Realität? Prof. Kaemmerer berichtet im Interview über die aktuelle Situation und gibt Vorschläge zur Verbesserung.

Von:

Prof. Harald Kaemmerer

Deutsches Herzzentrum München

 

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

 

 

 

05.03.2024

 

Bildquelle (Bild oben): chayanuphol / Shutterstock.com

 

HERZMEDIZIN: Laut EMAH-Positionspapier 2023 wurden inzwischen viele EMAH-Schwerpunktpraxen und -Zentren aufgebaut. Allerdings ist der Bekanntheitsgrad sowohl bei Patienten und Patientinnen als auch bei Ärzten und Ärztinnen zu gering. Hat sich die Situation inzwischen verbessert?


Kaemmerer: Das hat sich nicht wesentlich verbessert. Aus unserer Sicht ist die Zahl der Zuweisungen zumindest nicht sprunghaft gestiegen. Und das ist eben das große Problem, wenn wir davon ausgehen, dass wir in Deutschland ungefähr 400.000 Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern haben. Die Zahl liegt deutlich höher als die 360.000 laut Positionspapier, da in den letzten Jahren viele Geflüchtete hinzu gekommen sind, die vermutlich sogar einen noch größeren Anteil von angeborenen Herzfehlern haben als die deutsche Normalbevölkerung.

Zu wenig EMAH in der Nachsorge

 

Laut den Angaben der deutschen Herzstiftung im Herzbericht ist die Anzahl der Patienten und Patientinnen in den EMAH-Ambulanzen wirklich verschwindet gering. Das heißt, wenn man hochrechnet (das ist aber wirklich nur eine grobe Kalkulation), sind vielleicht 50.000 EMAH angebunden an eine Spezialambulanz, ein Zentrum oder eine Schwerpunkt-Praxis. Aber die überwiegende Anzahl der Betroffenen befindet sich nicht in einer Nachsorge durch zertifizierte EMAH-Spezialisten und Spezialistinnen.


HERZMEDIZIN: Im Positionspapier wird unter anderem gefordert, die EMAH-Fortbildungsmöglichkeiten für Hausärzte zu verbessern und Patientenseminare anzubieten. Wurde das umgesetzt?


Kaemmerer: Es gab immer wieder Versuche, diese Thematik in Fortbildungsveranstaltungen einzubinden. Allerdings ist die Bereitschaft, sich fortbilden zu lassen relativ gering. Dabei wäre es wichtig, dass die Hausärzte und Hausärztinnen, als Verantwortliche der Grund- und Regelversorgung, sich diesem Thema mehr öffnen würden und bereit sind, sich auch über diese Thematik informieren zu lassen.

Geringes Interesse an EMAH-Fortbildungen

 

Es geht nicht darum, Patienten und Patientinnen von der hausärzlichen Versorgung wegzunehmen, sondern im Gegenteil. Wir möchten die Hausärzte und Hausärztinnen viel mehr an Bord bekommen, um mit ihnen gemeinsam diese Patientengruppe zu betreuen und ihnen mitzuteilen, wo die Besonderheiten der Betreuung liegen und welche Fallstricke es gibt.


HERZMEDIZIN: Können Sie kurz erklären, warum es überhaupt so wichtig ist, dass EMAH regelmäßig ärztlich betreut werden?


Kaemmerer: Diese Menschen sind chronisch herzkrank. Gott sei Dank, gibt es heute die Möglichkeit, diese Betroffenen so gut zu behandeln, dass mehr als 95 % ins Erwachsenenalter kommen. Aber diese Personen bleiben trotzdem herzkrank und sind bestenfalls repariert. Repariert bedeutet in diesem Kontext, dass es viele Restzustände und Folgezustände der Grunderkrankungen gibt, und natürlich kommen Erkrankungen des Erwachsenenalters hinzu. Das sind erworbene Erkrankungen, entweder kardiale oder nicht-kardiale Erkrankungen, die natürlich den Verlauf des Krankheitsbildes, modifizieren und in der Regel verschlechtern.

Heterogener Verlauf mit vielen Besonderheiten

 

Somit müssen diese Patienten und Patient:innen lebenslang in der Kontrolle bleiben. Es macht aber nur Sinn, jemanden zu kontrollieren, wenn man weiß, wonach man schauen muss. Das heißt, der oder die Behandelnde muss wissen, welche Besonderheiten vorliegen und auf was im Verlauf dieses Herzfehlers geachtet werden muss. Anbgeborene Herzfehler sind sehr heterogen mit typischen Rest- und Folgezustände, die jeweils von dem Behandlungstatus abhängen.


HERZMEDIZIN: Gibt es derzeit EMAH-Registerstudien in Deutschland?


Kaemmerer: Neben dem Opt-AHF-Register, das vom EMAH-Kompetenznetzwerk und der Barmer-Krankenkasse initiiert wurde, gibt es das Pathfind-Register, das speziell die Herzinsuffizienz bei EMAH untersucht. Inzwischen sind über 1.500 EMAH mit Herzinsuffizienz in dieses Register eingeschlossen. Gemeinsam mit anderen EMAH-Zentren werden von unserem Zentrum ausgehend in diesem Register Detailinformationen zum Behandlungsverlauf und Schweregrad der Herzinsuffizienz bei EMAH untersucht.


HERZMEDIZIN: Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Schwachstellen bei der EMAH-Versorgung?


Kaemmerer: Also Punkt 1 ist, dass viel zu wenige EMAH in einer spezialisierten Nachsorge sind. Punkt 2 ist, dass die Therapieformen der normalen erworbenen Herzerkrankungen bei dieser Patientengruppe nicht immer Anwendung finden können.

Zur Person

Pof. Harald Kaemmerer

Prof. Harald Kaemmerer ist Oberarzt und Leiter der Ambulanz für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern am Deutschen Herzzentrum München. Prof. Kaemmerer gehörte der Taskforce für Leitlinien zu Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) der deutschen kardiologischen Fachgesellschaften DGK, DGPK und DGTHG an, die 2007 gemeinsam mit dem Kompetenznetz Angeborene Herzfehler Empfehlungen zum Erwerb einer entsprechenden Zusatzqualifikation für Kinderkardiologen und Kardiologen herausgab. Außerdem ist er federführender Autor der kürzlich veröffentlichten DGK-Positionspapiere Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern.  

Prof. Kaemmerer, Leiter der EMAH-Ambulanz am Herzzentrum München
Bildquelle: Deutsches Herzzentrum München

Mehr Daten für eine evidenzbasierte Medizin

 

Problematisch ist, dass sich der klinische Verlauf von angeborenen Herzfehlern teils erheblich von dem bei erwobenenen Herzkrankheiten unterscheidet. Und trotzdem haben wir gerade im Bereich der Herzinsuffizienz die Möglichkeit, auch diese Patienten und Patientinnen mit modernen Medikamenten zu behandeln. Wir benötigen aber dringend mehr Daten für eine evidenzbasierte Medizin. Und da ist noch ein riesiges Defizit.


HERZMEDIZIN: Wie könnte man die Situation verbessern?


Kaemmerer: Wie benötigen mehr Studien und Register, aber auch mehr Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung. Präventive Maßnahmen müssten an die Betroffenen herangetragen werden, damit diese selber mehr auf einen gesunden Lebensstil achten. Aber leider kommen wir kaum an die EMAH heran.


HERZMEDIZIN: Gibt es Ideen, wie man EMAH besser erreichen könnte?


Kaemmerer: Gemeinsam mit der deutschen Herzstiftung haben wir über Jahre versucht, diese Personen auf vielfältigem Wege - über Internet, Printmedien und sogar über das Fernsehen - zu erreichen. Die Patientinnen und Patienten sind jedoch vielfach nicht interessiert und sich potentieller Gefahren nicht bewusst. Sie erkennen die Gefahren nicht. Das ist genau der Grund, warum wir sagen, die EMAH müssen zu einer regelmäßigen Nachsorge bzw. Vorsorge wie beim TÜV. Wichtig ist, dass die Betroffenen rechtzeitig kommen und nicht erst dann, wenn es zu spät ist.  


HERZMEDIZIN: Haben Sie weitere Vorschläge oder Wünsche zur Verbesserung der EMAH-Versorgung?


Kaemmerer: Man könnte Hausärztinnen und Hausärzte bzw. die Primärversorger durch entsprechende Fachzeitschriften über EMAH informieren. Wir ksollten zudem auch andere Fachgesellschaften noch mehr mit ins Boot nehmen.

Andere Fachgesellschaften ins Boot nehmen

 

Beispielsweise gibt es viele junge Frauen mit EMAH und Kinderwunsch, aber die Schwangerschaften müssen besonders begleitet werden. Deshalb sind Zentren zu involvieren, die sich mit diesen Schwangerschaftsführungen auskennen. Auch Kolleginnen und Kollegen von anderen Disziplinen müssen wissen, dass sich EMAH in der Therapie und in der Diagnostik anders verhalten.

Insgesamt gibt es aber die Versorgungseinrichtungen, also EMAH-Zentren und EMAH-Schwerpunktpraxen, in ausreichender Zahl. Es liegt vor allem an den EMAH selber, dass die sich darum kümmern müssen, regelmäßige Kontrolluntersuchungen wahrzunehmen.


Referenzen

  1. Kaemmerer H et al. Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern: Aktuelle Herausforderung in der medizinischen Versorgung Teil II: Infektiöse Endokarditis, pulmonale Hypertonie, Aortopathien, herzchirurgische Aspekte,Psychokardiologie, ungelöste Probleme und Zukunftsaspekte. Die Kardiologie 2023, 17:282-299.
  2. Kaemmerer H et al. Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern: Aktuelle Herausforderung in der medizinischen Versorgung Teil I: Versorgungsstruktur und Problematik, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen. Die Kardiologie 2023, 17:219-233.


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