Update: EMAH in Deutschland

 

Der Direktor der Herzchirurgischen Klinik des Uniklinikums Erlangen, Prof. Oliver Dewald, beleuchtet im Interview die herzchirurgische Behandlung und Spätkomplikationen von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH). Außerdem spricht er über aktuelle Probleme der EMAH-Versorgung und Maßnahmen, um die Situation zukünftig zu verbessern.

Von:

Prof. Oliver Dewald

Herzchirurgische Klinik des Uniklinikums Erlangen

 

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

 

 

 

10.09.2024

 

Bildquelle (Bild oben): chayanuphol / Shutterstock.com

 

HERZMEDIZIN: Wie ist die aktuelle Situation der EMAH-Versorgung in Erlangen?


Dewald: In der Ambulanz des überregionalen EMAH-Zentrums (unter Leitung von Prof. Achenbach) werden derzeit mehrere Hundert EMAH betreut. Es handelt sich hierbei um eine Kooperation der Abteilung für Kinderkardiologie von Prof. Dittrich und mit der Klinik unter meiner Leitung. Die ambulante Betreuung erfolgt im Wesentlichen in der Kardiologie. Viele Fälle werden in unserem EMAH-Board diskutiert, insbesondere dann, wenn es um auffällige Befunde geht, Therapieoptionen oder um Nachbeobachtungen von Patientinnen und Patienten, die wir behandelt haben.


HERZMEDIZIN: Es gibt immer wieder die Diskussion, dass viele EMAH nicht zu den Untersuchungen kommen. Bei Ihnen sind Kinder- und Erwachsenenherzchirurgie unter einem Dach. Gehen dennoch EMAH verloren?

 

Dewald: Leider ja und wir können nicht viel dagegen tun, außer die Betroffenen zu bitten, dass sie sich regelmäßig weiter vorstellen. Im Bereich der Kinderherzmedizin sind wir dezentral organisiert. Die allermeisten Kinder und auch einige EMAH werden durch niedergelassene Kardiologinnen und Kardiologen mit EMAH-Erfahrung mitbetreut.

Universitäres Kompetenznetz Nordbayern

 

Über das Universitäre Kompetenznetz Angeborene Herzfehler Nordbayern, das sich zwischen Passau und Aschaffenburg erstreckt, haben wir einen direkten Austausch mit den Niedergelassenen. Bei Auffälligkeiten treten diese in Kontakt mit uns, um das weitere Vorgehen gemeinsam zu diskutieren. Diese historisch gewachsene Zusammenarbeit wird durch das überregionale EMAH-Zentrum ergänzt. Viele Kinder werden in den EMAH-Bereich von Prof. Achenbach weitergeleitet. Trotz maximaler Anstrengungen kommen aber einige EMAH nicht mehr. Das hat mehrere Gründe. Zum einen möchten junge Erwachsene selbstständige Entscheidungen im Leben treffen, und sich nicht mehr durch Helikoptereltern bevormunden lassen. Zum anderen empfinden Betroffene die Untersuchungen als Belastung und möchten diese erstmal ruhen lassen. Manche wollen die Erkrankung nicht wahrhaben und kommen dann über 10 Jahre gar nicht mehr.  Aber ich bin sicher, dass wir noch mehr Aufklärungsanstrengungen brauchen auf breiter Basis mit Niedergelassenen und anderen Beteiligten, wie z.B. die Kampagne der Herzstiftung.


HERZMEDIZIN: Gibt es spezielle Maßnahmen, die sie sich wünschen, um die Transition zu verbessern?

 

Dewald: Man kann sich vieles wünschen, aber man muss auch überlegen, was ist finanziell und personell umsetzbar? Haben wir überhaupt qualifizierte Kolleginnen und Kollegen, die entweder in der Klinik oder in den Praxen diese Leistung erbringen können, und wird diese Leistung überhaupt honoriert? Die Möglichkeiten sind begrenzt. Hinzu kommt der Fachkräftemangel, den wir in allen Bereichen sehen. Ein Wunsch ist jedoch, dass diese Aspekte keine Hindernisse in der Versorgung der EMAH darstellen.

Verbesserungspotenzial: Zusatz-Weiterbildung EMAH-Kardiologie

 

Der zweite Wunsch ist, dass die Umsetzung der Zusatz-Weiterbildung EMAH-Kardiologie tatsächlich flächendeckend gelingt. Zwischen den Ärztekammern gibt es erhebliche Unterschiede, und in Bayern haben wir mit gewissen Problemen zu kämpfen. Es gibt Verbesserungspotenzial, damit die flächendeckende Versorgung realisiert werden kann. Aber es gibt auch Schwierigkeiten, Niedergelassene zu finden, die sich in diesem komplexen und anspruchsvollem Gebiet weiterbilden lassen möchten.

 

HERZMEDIZIN: Wie sehen Sie die Rolle von Hausärztinnen und Hausärzten bei der EMAH-Betreuung?


Dewald: Hausärztinnen und Hausärzte sollen Teil der Versorgung sein und zwar selbst, wenn diese im Wesentlichen nur Lotsenfunktionen einnehmen. Meiner Ansicht nach werden die überregionalen Zentren in den kommenden Jahren keine Kapazitäten mehr für die ambulante Betreuung haben. Von derzeit geschätzten 400.000 EMAH in der Bundesrepublik sind zurzeit bestenfalls 40.000 bis 50.000 angebunden, und das ist schon sehr viel für 21 überregionale Zentren. Wir brauchen mehr Schwerpunktkliniken und Niedergelassene – so wie in den Positionspapieren geplant und da gibt es noch vieles zu tun.

 

HERZMEDIZIN: Gibt es derzeit noch genügend Kapazität in den spezialisierten Zentren?


Dewald: Wir stoßen immer öfter an Grenzen vor allem aufgrund von Fachkräftemangel. Krankheitsbedingten Ausfälle verhindern eine zeitnahe Versorgung. In Erlangen liegen die Wartezeiten auf Termine im Bereich von Monaten. Dringende Fälle werden natürlich zeitnah versorgt, aber viel Luft haben wir nicht mehr. Nicht nur die ambulante Versorgung, sondern auch die Bild-Diagnostik (Ultraschall, Kernspin oder CT) wird benötigt. In komplexen Fällen müssen viele andere Fachdisziplinen zu Rate gezogen werden. Insbesondere Betroffene mit komplexen Fehlern oder Einkammerherzen gehören daher an überregionale Zentren.


HERZMEDIZIN: Gibt es typische angeborene Herzfehler und typische Komplikationen, die im Erwachsenenalter daraus entstehen?


Dewald: Es gibt zunächst einmal typische Spätkomplikationen durch die operative Therapie. Eine häufige Fehlbildung ist z.B. die Fallot‘sche Tetralogie. Wenn die Pulmonalklappe dysplastisch ist, treten im Langzeitverlauf früher Probleme auf, als wenn wir eine funktionsfähige Pulmonalklappe im Rahmen der Korrekturoperation erhalten können. Transanuläre Patches und damit verbundene Undichtigkeiten führen zu typischen Spätkomplikationen, wie Vergrößerung der rechten Herzkammer oder Herzrhythmustörung und damit meistens auch verbundene Einschränkungen der Pumpfunktion der rechten Herzkammer.

Spätfolgen: Degeneration von Klappenprothesen

 

Biologische Klappenprothesen degenerieren über die Zeit und in der Regel wird nach 10 bis 15 Jahren eine erneute Intervention notwendig. Die natürliche Degeneration der Implantate ist also eine weitere Spätkomplikation. Andere Spätfolgen sind Herzrhythmusstörung und Herzinsuffizienz, im Bereich der linken, wie auch der rechten Herzkammer. Komplexere Fehler, wie eine Transposition der großen Arterien, die früher mit der Vorhofumkehr-OP behandelt wurde, erfordern eine intensive Nachbetreuung.

 

HERZMEDIZIN: Gibt es typische Notfall-Situationen oder schlecht behandelbare Komplikationen von EMAH, die nicht regelmäßig betreut werden?


Dewald: Eine lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung wie Kammerflimmern wäre eine solche Notfall-Situation. In der Regel gibt es aber immer Vorboten, wie Leistungseinschränkungen oder geschwollene Unterschenkel oder Knöchel. Spätestens dann sollten die Betroffenen reagieren, damit die mögliche Lebenserwartung auch erreicht werden kann.


HERZMEDIZIN: Wie häufig sind EMAH, die als Kinder nicht diagnostiziert wurden?

 

Dewald: Das ist heute vielfach besser geworden im Vergleich zu der Zeit vor 30 Jahren. Es gibt zwar noch EMAH-Fälle, die in der Kindheit unentdeckt geblieben sind, aber meist handelt es sich dabei nicht um gravierende oder lebensbedrohliche Komplikationen. Allerdings ist zu beachten, dass im Rahmen der Migration auch Menschen nach Deutschland kommen, die in der frühen Lebensphase nicht optimal versorgt wurden.


HERZMEDIZIN: Wie hat sich die Herzchirurgie bei Kindern in den letzten Jahren verändert?


Dewald: Es gibt neue Verfahren, und wir können auf zunehmende Erfahrungen bei der Reparatur von Herzklappen zurückgreifen. Einige komplexere Verfahren werden mittlerweile an vielen Standorten regelmäßig mit guten Ergebnissen durchgeführt. Dabei kristallisiert sich zunehmend heraus, dass die Konzentration, die durch den GBA-Beschluss bewirkt wurde, eine sinnvolle Maßnahme war. Auch die Fachgesellschaften fordern, dass die Versorgung konzentriert werden soll, um eine hohe Qualität und Verfügbarkeit zu gewährleisten.


HERZMEDIZIN: Derzeit laufen 2 EMAH-Register: OptAHF und PATHFINDER-AHF. Können Sie uns sagen, wann mit ersten Daten zu rechnen ist?


Dewald: Wir hoffen, in naher Zukunft die ersten Auswertungen zu bekommen. In PATHFINDER-AHF wurde bereits eine beachtliche Zahl an EMAH eingeschlossen. Aber es gibt immer wieder Probleme mit der Finanzierung. Ich hoffe für beide Register, dass es gelingen wird, diese Mittel langfristig aufrecht zu erhalten, um durch die Analyse der Langzeitverläufe neue Erkenntnisse zu gewinnen und neue Strategien zu entwickeln.

Bündelung von Ressourcen und Expertise

 

HERZMEDIZIN: Gibt es weitere Aspekte, die Sie ansprechen möchten?


Dewald: Die Betroffenen mit angeborenen Herzfehlern sind zurzeit die kränkesten Patientinnen und Patienten in der Herzchirurgie. Um diese Patientengruppe optimal zu versorgen, wünsche ich mir, dass wir die notwendige Unterstützung aus der Gesellschaft, von den Kostenträgern und auch aus der Politik bekommen. Zusätzlich benötigen wir auch flächendeckende Strukturen, im Sinne von Netzwerken. Angesichts der Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen ist das sicherlich eine sehr harte Nuss, auch für Politiker, nicht nur für uns im Gesundheitsbetrieb. Dennoch glaube ich, dass wir in Deutschland in der Lage sind, das umzusetzen. Am Beispiel der Onkologie wurde sehr eindrucksvoll gezeigt, was man erreichen kann.

Ich wünsche mir auch, dass wir durch die Bündelung der Ressourcen und der Expertise an bestimmten Standorten, eine vollumfängliche Versorgung in den Zentren behalten. Dabei ist nicht unbedingt die Anzahl der Operationen ausschlaggebend, sondern die Struktur und die Qualität der Versorgung. Das ist meines Erachtens an einem Zentrum, wo alle Aspekte der chirugischen Therapieoptionen unter einem Dach sind, am besten zu realisieren.

Zur Person

Prof. Oliver Dewald

Prof. Oliver Dewald wechselte im Jahr 2022 von der Universitätsklinik für Herzchirurgie am Klinikum Oldenburg zum Uniklinikum Erlangen, wo er seit Oktober 2023 als neuer Direktor der Herzchirurgischen Klinik Herzchirurgie und Kinderherzchirurgie unter einem Dach vereint. Prof. Dewald ist außerdem Mitglied in der EMAH-Task-Force der DGK.

Prof. Oliver Dewald

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