Inzwischen stehen zwar Antidots für die Aufhebung der gerinnungshemmenden Wirkung von NOAKs zur Verfügung. Trotz allem besteht Bedarf an weiteren Optionen. Eine neue Substanz hat sich nun als potenzieller Kandidat qualifiziert.
Inzwischen stehen zwar Antidots für die Aufhebung der gerinnungshemmenden Wirkung von NOAKs zur Verfügung. Trotz allem besteht Bedarf an weiteren Optionen. Eine neue Substanz hat sich nun als potenzieller Kandidat qualifiziert.
Von: Veronika Schlimpert
20.09.2021
Womöglich gibt es bald eine weitere Substanz, die in der Lage ist, die Wirkung von Antikoagulanzien rasch aufzuheben, wenn dies aufgrund von lebensbedrohlichen oder nicht kontrollierbaren Blutungen notwendig ist. Das Antidot Ciraparantag hat sich in zwei randomisierten, placebokontrollierten Phase II-Studien als wirksam und sicher erwiesen.
„Ciraparantag ist ein schmales synthetisches wasserlösliches Molekül mit breiter Aktivität, das sowohl die Wirkung von oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitoren als auch die des parenteralen indirekten Faktor-Xa- und Faktor-IIa-Inhibitors Enoxaparin aufheben kann“, erläutern die Studienautoren um Dr. Jack Ansell die Funktionsfähigkeit des neuen Antidots.
Zwar gibt es inzwischen zwei Antidots, die die gerinnungshemmende Wirkung der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) rückgängig machen können: Einmal Idarucizumab, ein spezifisches „Gegenmittel“ gegen den direkten Thrombinhemmer Dabigatran, zum anderen Andexanet alfa, das als Antagonist für die Faktor Xa-Hemmer zugelassen ist. Obwohl beide Substanzen sich in ihrer Indikation als wirksam erwiesen haben, besitzen sie laut Ansell und Kollegen gewisse Schwächen.
Der Einsatz von Idarucizumab sei nur auf Dabigatran beschränkt und teuer, erläutern die New Yorker Mediziner. Andexanet alfa sei ebenfalls kostenaufwendig, die Wirkdauer sei begrenzt, weshalb eine fortlaufende Infusion notwendig sei, und es gebe Hinweise für prokoagulatorische Effekte, führen die Autoren weiter aus. Zudem sei die Präparation zeitaufwendig und die Verfügbarkeit eingeschränkt. Nach Ansicht der US-Mediziner gibt es deshalb weiterhin einen „Bedarf an Substanzen, die die Effekte von NOAKs in Notfallsituationen rasch reversieren können“.
Ciraparantag könnte künftig womöglich zur Bedarfsdeckung beitragen. Die Wirksamkeit und Sicherheit der Substanz wurde sowohl nach Apixaban- (Studie 1) als auch nach Rivaroxaban-Einnahme (Studie 2) getestet. In Studie 1 erhielten gesunde Patienten Apixaban 10 mg 2 × täglich für 3,5 Tage, in der zweiten Studie Rivaroxaban 20 mg 1 × täglich für 3 Tage.
Zum Zeitpunkt, als die Antikoagulation ihren Steady-State-Zustand erreicht hat, wurden 49 bzw. 64 Patienten (Studie 1 bzw. 2) 3:1 randomisiert zur einer i.v.-Dosis Ciraparantag (Studie 1: 30, 60 oder 120 mg; Studie 2: 30, 60, 120 oder 180 mg) oder zu Placebo. Die Effektivität dieser Antagonisierung wurde anhand der Vollblutgerinnungszeit (whole blood clotting time, WBCT) festgemacht, da sonst übliche Plasma-basierte Messverfahren im Falle von Ciraparantag unbrauchbar sind (weil Ciraparantag an das Testreagenz bindet). Eine komplette Aufhebung der Antikoagulation wurde als Rückkehr der WBCT auf ≤ 10% des Ausgangswertes zu jeglichen Zeitpunkten innerhalb einer Studie nach der Substanzadministration definiert.
In Abhängigkeit der Dosis gelang dies bei 67%, 100% sowie 100% der Patienten, die nach der gut dreiwöchigen Apixaban-Einnahme eine Dosis von 30 mg, 60 mg und 120 mg Ciraparantag erhalten und bei 58%, 75%, 67% und 100% der Patienten, die nach dreiwöchiger Rivaroxaban-Therapie eine einmalige Ciraparantag-Dosis von 30 mg, 60 mg, 120 mg und 180 mg injiziert bekommen haben. Die antagonisierende Wirkung des Antidots setzte innerhalb der ersten Stunde ein und blieb über fünf Stunden (Apixaban) bzw. sechs Stunden (Rivaroxaban) bestehen. Mit Placebo wurde eine komplette Aufhebung der Antikoagulation bei 17% der Patienten (Apixaban) bzw. 13% der Patienten (Rivaroxaban) erreicht.
Unerwünschten Effekte, die unter der Therapie mit Ciraparantag vorgekommen sind, werden von den Autoren als milde beschrieben. Die häufigsten Nebenwirkungen sei ein dosisabhängiges vorübergehendes verstärktes Wärmeempfinden in Form von Hitzewallungen oder Hitzegefühl gewesen, berichten sie, das kurz nach der Injektion aufgetreten und spontan wieder verschwunden sei. Die US-Mediziner schließen daraus, dass Ciraparantag „sicher und gut verträglich“ ist.
Vorteilhaft an der neuen Substanz ist Ansell und Kollegen zufolge die lange Wirksamkeit, die nach nur einer i.v.-Infusion eintritt. Darüber hinaus gebe es keine Evidenz für eine prothrombotische Wirkung, das Agens weise eine stabile Haltbarkeit auf und sei einfach und schnell präparierbar, führen sie weiter aus. Als wirksame Dosen haben sich zur Aufhebung der Apixaban-Wirkung 60 mg und 120 mg Ciraparantag erwiesen, im Falle von Rivaroxaban waren 180 mg für eine rasche und dauerhafte Aufhebung vonnöten.
Ansell J et al. Ciraparantag reverses the anticoagulant activity of apixaban and rivaroxaban in healthy elderly subjects, Eur Heart J 2021; ehab637, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab637