Neue S3-Leitlinie zu „Nierenersatztherapie in der Intensivmedizin“

 

Bislang existierten zur Nierenersatztherapie bei einer akuten Nierenschädigung (AKI) bis auf die Empfehlungen der KDIGO von 20121 keine dezidierten Leitlinien. Erstmals wurden nun durch die AWMF, unter Beteiligung der DGK, Empfehlungen zum evidenzbasierten Einsatz der Nierenersatztherapie in 7 Themenkomplexen formuliert. Patientenzielgruppe sind erwachsene Personen in der Intensivmedizin mit AKI und extrakorporalem Nierenersatz.

Von:

Prof. Florian Custodis

Klinikum Saarbrücken

 

Dr. Matthias Bayer

Asklepios-Klinik Lich

 

 

28.04.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Sina Ettmer Photography / Shutterstock.com

Hintergrund

 

Etwa 50 % aller auf Intensivstationen behandelter Personen entwickeln im Verlauf eine akute Nierenschädigung (AKI; Acute Kidney Injury)1 und von diesen müssen etwa 15 % mit einem Nierenersatzverfahren behandelt werden2. Daher ist die Nierenersatztherapie neben der maschinellen Beatmung die wichtigste Form der Organersatztherapie für kritisch kranke Patientinnen und Patienten in der Intensivmedizin.

Akute Nierenschädigung: Zur Terminologie

 

Als zentraler Begriff, analog zum englischsprachigen Terminus „Acute Kidney Injury“ (AKI), wird in der Leitlinie die „Akute Nierenschädigung“ verwendet, die entsprechend der Kriterien der Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) in 3 Schweregrade klassifiziert wird1.

Nierenersatztherapie bei AKI: Wann starten?

 

Bei lebensbedrohlichen Veränderungen des Flüssigkeits-, Säure-Basen- oder Elektrolythaushaltes oder bei klinisch relevanter Urämie soll unverzüglich mit einer Nierenersatztherapie begonnen werden. Während Indikation und Zeitpunkt des Beginns einer Nierenersatztherapie bei diesen absoluten Indikationen trotz fehlender Studien unstrittig sind, ist dies bei relativen Indikationen wie bei erhöhten Serumwerten von Kreatinin oder Harnstoff oder einem KDIGO-Stadium 2–3 nicht zwingend der Fall. Auch die Frage, ob durch einen frühen Behandlungsbeginn eine Reduktion der Sterblichkeit und eine Erholung der Nierenfunktion erreicht werden kann, ist nicht abschließend geklärt.     

Der Konsens der Leitlinie sieht daher vor, ohne Zuwarten mit einem Nierenersatzverfahren zu beginnen, wenn aufgrund der klinischen Situation, des Krankheitsverlaufes und/oder der Vorerkrankungen eine Nierenersatztherapie bei AKI zu erwarten ist. Bei nicht-lebensbedrohlichen Veränderungen oder Unklarheit, ob eine Nierenersatztherapie zu erwarten ist, sollten konservative Maßnahmen zur Vermeidung eines Nierenersatzverfahrens unter regelmäßiger Reevaluation durchgeführt werden. Eine renale Erholung (Dialysefreiheit, Rückkehr zum ursprünglichen Stadium der Nierenfunktion) soll nicht als primäres Ziel die Indikationsstellung zum Nierenersatz beeinflussen.

Das KDIGO-Stadium oder Parameter wie isoliert erhöhte Serumwerte von Harnstoff oder Kreatinin (ohne entsprechende Klinik), ein negativer Furosemid-Stresstest oder neue renale Biomarker (z. B. NGAL, KIM-1) allein sollen nicht zur Indikation eines Nierenersatz-Verfahrens führen.

Kontinuierliches oder intermittierendes Nierenersatzverfahren?

 

Auf Basis der bisherigen Datenlage zum Vergleich kontinuierlicher und intermittierender Nierenersatzverfahren ergibt sich im Hinblick auf die Mortalität sowie auf die Erholung der Nierenfunktion keine generelle Bevorzugung einer bestimmten Therapiemodalität bei AKI. Daher können zur Nierensatztherapie der AKI bei Intensivpatienten und -patientinnen kontinuierliche oder intermittierende Verfahren gleichermaßen eingesetzt werden, um das Überleben des Behandelten zu sichern.

 

Hinsichtlich des Endpunktes Erholung der Nierenfunktion kann keine Empfehlung für die Bevorzugung kontinuierlicher oder intermittierender Verfahren gegeben werden. Letztlich soll jedoch die individuelle klinische Situation berücksichtigt werden und so bei hämodynamisch instabilen Patientinnen und Patienten aus Gründen der hämodynamischen Steuerung und geringerer Hypotonierate, soweit verfügbar, ein kontinuierliches oder prolongiert intermittierendes Nierenersatzverfahren bevorzugt werden. Eine Negativbilanzierung bei Flüssigkeitsüberladung kann durch intermittierende, prolongierte oder kontinuierliche Verfahren erfolgen.

Antikoagulation bei Nierenersatztherapie

 

Voraussetzung für eine erfolgreiche extrakorporale Nierenersatztherapie ist eine effektive Antikoagulation des extrakorporalen Kreislaufs. Die systemische Antikoagulation erfolgt in der Regel mit unfraktioniertem Heparin, während die regionale Antikoagulation hauptsächlich mit Citrat, dem Salz der Zitronensäure, durchgeführt wird. Die regionale Citrat-Antikoagulation und die systemische Heparin-Antikoagulation unterscheiden sich hinsichtlich der Patienten-Outcomes (Mortalität, Erholung der Nierenfunktion und Transfusionsfrequenz) nicht und sollten daher gleichwertig eingesetzt werden. Bei Patientinnen und Patienten, bei denen der Einsatz von Heparin aufgrund von Kontraindikationen (z. B. Blutungen, Blutungsrisiko) nicht in Frage kommt, sollte der Einsatz von regionaler Citrat-Antikoagulation bevorzugt werden.

Citrat wird zu einem erheblichen Anteil in der Leber zu Bikarbonat metabolisiert. Daher kann insbesondere bei schwerem Leberversagen oder Laktatazidose Citrat nur unzureichend metabolisiert werden2. Dennoch stellt bei Patientinnen und Patienten mit Schock oder Leberversagen die regionale Citrat-Antikoagulation keine absolute Kontraindikation dar. Es kann eine regionale Citrat-Antikoagulation unter regelmäßigem Monitoring des Laktats und des ionisierten sowie des gesamten Calciums durchgeführt werden.  Bei einer ausgeprägten, progredienten Laktatazidose im Rahmen eines Schocks und schwerem Leberversagen sollte jedoch möglichst keine regionale Citrat-Antikoagulation durchgeführt werden.

Bei Vorliegen einer akuten Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ 2 und systemischer Antikoagulation mit Argatroban kann bei adäquater Dosierung Argatroban auch allein zur Antikoagulation des Nierenersatzverfahrens verwendet werden, um effektive Filterlaufzeiten ohne erhöhte Blutungsrate zu erreichen.

Antiinfektive Therapie unter Nierenersatztherapie

 

Eine optimale antiinfektive Therapie ist neben organsupportiven Maßnahmen essenziell für das Überleben kritisch kranker Personen mit lebensbedrohlichen Infektionen. Insbesondere unter einer laufenden Nierenersatztherapie stellt sich daher die Frage nach der Dosierung einer antiinfektiven Therapie. Es gilt sowohl eine ausreichende Startdosis als auch eine effektive Erhaltungsdosis zu etablieren. 

 

Hierzu müssen patientenseitige Faktoren, welche die Pharmakokinetik beeinflussen (Größe, Gewicht, Nierenrestfunktion, Proteinstatus und Flüssigkeitsüberladung) und pharmakokinetische und -dynamische Eigenschaften des Pharmakons (Hydrophilie/Lipophilie, Verteilungsvolumen, renale Eliminationsfraktion, Halbwertszeit, Proteinbindung) zur Dosierung am Nierenersatzverfahren erfasst werden. Die Startdosis eines Antiinfektivums soll sich nach dem aktuellen Verteilungsvolumen und den allgemeinen Dosisempfehlungen richten und nicht reduziert werden. Eine Startdosis soll als Kurzinfusion gegeben werden, um eine schnelle Aufsättigung und somit wirksame Konzentration zu erreichen, auch wenn eine kontinuierliche oder prolongierte Gabe im weiteren Verlauf geplant ist.

Bei nicht bekannten Wirkspiegeln sollte sich die Erhaltungsdosis nach der Gesamtclearance richten. Die Gesamtclearance sollte aus der Nierenrestfunktion und der extra-renalen, einschließlich der maschinellen Clearance abgeschätzt werden. Aufgrund der hohen individuellen pharmakokinetischen Streubreite der verwendeten Antiinfektiva sollte die Erhaltungsdosis mittels evidenzbasierter, anerkannter Tabellenwerke erfolgen und möglichst ein therapeutisches Drug-Monitoring erfolgen.

Wann kann eine Nierenersatztherapie wieder beendet werden?

 

Die Frage, auf dem Boden welcher Kriterien ein Nierenersatzverfahren beendet werden kann, und wie eine erfolgreiche Beendigung definiert ist, wurde in bisherigen Leitlinien mangels fehlender Evidenz nicht beantwortet. Zwischenzeitlich liegt eine Reihe von Studien vor, mit Hilfe derer sich diese Fragen adressieren lassen. Die Leitlinie definiert einen Zeitraum von 7 Tagen (nach Beendigung des Verfahrens) mit stabiler Nierenfunktion als ein praktikables Maß, um eine primäre erfolgreiche Beendigung zu definieren.

Kontrollierte Studien zeigten keine klare Evidenz für eine erfolgreichere Beendigung der Nierenersatztherapie, sofern begleitend Schleifendiuretika verabreicht wurden. Eine vermehrte Diurese kann jedoch als ein Biomarker für eine bessere renale Reserve und eine potenzielle Erholung gelten. Daher können Diuretika nach Auffassung der Autorinnen und Autoren der Leitlinien zur Beendigung einer Nierenersatztherapie in Betracht gezogen werden, um die Diuresemenge zu erhöhen. Letztere sollte als prädiktiver Marker für die Beendigung einer Nierenersatztherapie eingesetzt werden, wobei eine Diurese-Mindestmenge aktuell nicht präzise definiert werden kann. Als Orientierung für eine Diurese-Mindestmenge können 300–600 ml/d (spontane Diurese ohne Diuretika) für eine erfolgreiche Beendigung der Nierenersatztherapie angenommen werden. Im Gegensatz dazu sollte der Kreatininwert nicht als prädiktiver Marker für die Beendigung einer Nierenersatztherapie eingesetzt werden, solange die Serumanalyse noch im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Nierenersatzverfahren steht. Für den Einsatz neuer Schädigungs- oder Funktionsmarker als prädiktiver Marker für die Beendigung einer Nierenersatztherapie kann nach Auffassung der Autorinnen und Autoren keine Empfehlung ausgesprochen werden.

Welche Nachsorge nach AKI und Nierenersatzverfahren?

 

AKI ist mit einem erhöhten Risiko für eine langfristige Nierenfunktionseinschränkung verbunden4 und demnach ist ein frühzeitiges Erkennen einer bleibenden chronischen Nierenkrankheit von klinischem Vorteil für die betroffenen Personen. Die Leitlinie fokussiert diesen wichtigen Zusammenhang und empfiehlt eine ambulante ärztliche Nachsorge, zeitnah (2–4 Wochen) an die Krankenhaus-Entlassung anschließend, wenn nach einem AKI eine Nierenfunktionseinschränkung mit einer reduzierten GFR besteht. Auch bei guter Erholung (GFR >60 ml/min) sollte nach einer AKI eine ambulante ärztliche Nachsorge erfolgen (etwa nach 3–6 Monaten).

Wichtige Empfehlungen der Leitlinie auf einen Blick

 

  • Bei lebensbedrohlichen Veränderungen des Flüssigkeits-, Säure-Basen- oder Elektrolythaushaltes soll unverzüglich mit einer Nierenersatztherapie begonnen werden.
  • Bei nicht-lebensbedrohlichen Veränderungen oder Unklarheit, ob eine Nierenersatztherapie zu erwarten ist, sollten konservative Maßnahmen zur Vermeidung eines Nierenersatzverfahrens unter regelmäßiger Reevaluation durchgeführt werden.
  • Zur Nierensatztherapie des AKIs bei Intensivpatientinnen und -patienten können kontinuierliche oder intermittierende Verfahren gleichermaßen eingesetzt werden, um das Überleben zu sichern.
  • Bei hämodynamisch instabilen Personen mit dialysepflichtiger AKI sollte aus Gründen der hämodynamischen Steuerung und geringerer Hypotonierate, soweit verfügbar, ein kontinuierliches oder prolongiert intermittierendes Nierenersatzverfahren bevorzugt werden.
  • Die Startdosis eines Antiinfektivums sollte allgemeinen Dosisempfehlungen entsprechen und nicht reduziert werden.
  • Eine Startdosis eines Antiinfektivums soll als Kurzinfusion gegeben werden, um eine schnelle Aufsättigung und somit wirksame Konzentration zu erreichen, auch wenn eine kontinuierliche oder prolongierte Gabe im weiteren Verlauf geplant ist.
  • Ein Zeitraum von 7 Tagen kann als ein Maß verwendet werden, um eine primäre erfolgreiche Beendigung festzulegen.
  • Die Diuresemenge sollte als prädiktiver Marker für die Beendigung einer Nierenersatztherapie eingesetzt werden.
  • Eine ambulante ärztliche Nachsorge sollte sich zeitnah an die Krankenhaus-Entlassung anschließen (2–4 Wochen), wenn nach einem AKI eine Nierenfunktionseinschränkung mit einer reduzierten GFR besteht.

Zum Autor

Prof. Florian Custodis

Prof. Florian Custodis ist seit 2016 als Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II, Herz- und Lungenkrankheiten, Intensivmedizin und Angiologie am Klinikum Saarbrücken tätig.

 

Zum Autor

Dr. Matthias Bayer

Dr. Matthias Bayer ist seit 2020 als Teamchefarzt der Kardiologie an der Asklepios Klinik in Lich tätig. Zudem ist er auch seit 2021 Transfusionsbeauftragter Leiter im dortigen Cardiac Arrest Center.

Referenzen

  1. Kidney disease (2012) Improving global outcomes (KDIGO) acute kidney injury work group: KDIGO clinical practice guideline for acute kidney injury. Kidney Int2(Suppl.1):1–138
  2. Hoste EA et al. (2015) Epidemiology of acute kidney injury in critically ill patients: the multinational AKIEPI study. IntensiveCareMed41(8):1411–1423
  3. Khadzhynov D et al. (2017) Hyperlactatemia, Lactate Kinetics and Prediction of Citrate Accumulation in Critically Ill Patients Undergoing Continuous Renal Replacement Therapy with Regional Citrate Anticoagulation. Crit Care Med 45:e941-e946
  4. Vijayan A et al. (2021) Recovery after Critical Illness and Acute Kidney Injury. Clin J Am Soc Nephrol 16:1601-1609

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