ICI-Myokarditis: Prädiktoren und Risikoscore

 

Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) haben die Krebstherapie im letzten Jahrzehnt revolutioniert, doch nicht ohne einen Preis: Die ICI-Myokarditis zählt zu den seltenen, aber potenziell lebensbedrohlichen immunbedingten Nebenwirkungen der ICI-Therapie. Basierend auf einem großen internationalen Register wurden Prädiktoren identifiziert und ein Risikoscore entwickelt, der zukünftig zu einem verbesserten Management der ICI-Myokarditis in der klinischen Praxis beitragen kann.1,2

Von:

Dr. Heidi Schörken 

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

 

04.07.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Vink Fan / Shutterstock.com

Hintergrund

 

Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) stellen eine wichtige Säule der Krebstherapie dar und werden inzwischen in vielen klinischen Settings bei unterschiedlichen Tumorarten eingesetzt. Nahezu 50 % der Tumor-Patientinnen und -Patienten kommen derzeit für eine ICI-Therapie in Betracht.3

 

ICI sind Antikörper, die inhibitorische Interaktionen an Immun-Checkpoints blockieren (z. B. PD-1/PD-L1 oder CTLA-4) und somit das Immunsystem für die Tumorabwehr aktivieren. Dadurch werden T-Lymphozyten in die Lage versetzt, maligne Tumorzellen anzugreifen. Die überzeugende Wirksamkeit der ICI hat in den letzten Jahren zu einer raschen Ausweitung der Indikationen geführt. Allerdings fordert die hochwirksame Antitumor-Therapie auch ihren Tribut: In 70-90 % der Fälle werden autoreaktive T-Lymphozyten durch die ICI-Behandlung stimuliert, was immunbedingte unerwünschte Ereignisse (irAE) zur Folge hat. Diese Nebenwirkungen können jedes Organ betreffen, mit milden bis schwerwiegenden Symptomen einhergehen oder auch lebensbedrohlich verlaufen.

 

Die ICI-Myokarditis (ICI-M), die mit einer Inzidenz von 0,5-1,0 % auftritt, gehört zu den irAE mit der höchsten Mortalität (30-50 %).4,5 In der Regel entwickelt sich eine ICI-M innerhalb der ersten 3 Monate der Behandlung, wobei das klinische Bild von asymptomatisch erhöhten Troponin-Werten bis hin zum Herzversagen reicht, einschließlich ventrikulärer Arrhythmien und kardiogenem Schock. Die Diagnose der ICI-M stellt eine Herausforderung dar, da EKG-Befunde sowie kardiales Troponin und Kreatinkinase nicht spezifisch genug sind. Darüber hinaus kann auch ein überlappendes Syndrom von ICI-M, Myositis und Myasthenia gravis auftreten, das durch autoreaktive T-Zellen, die gegen Muskel-Antigene gerichtet sind, hervorgerufen wird.

 

Bisher gibt es kaum verlässlichen Daten zu Prädiktoren und Risikofaktoren der ICI-M. In der vorliegenden Studie wurden ICI-M-Fälle eines retrospektiven Registers auf Prädiktoren für schwere ICI-M-Verläufe analysiert, mit dem Ziel, die Risikostratifizierung und Behandlungsstrategie in der klinischen Praxis zu verbessern.1,2

Studiendesign und Methodik

 

In ein retrospektives Register wurden insgesamt 757 bestätigte ICI-Myokarditis-Fälle eingeschlossen, die von 127 Zentren aus 17 Ländern stammten. Die eingereichten Daten wurden auf das Vorliegen der Bonaca-Diagnosekriterien6 für Myokarditis überprüft.

 

Als primärer Endpunkt wurden schwerwiegende kardio-myotoxische Ereignisse erfasst, definiert als eines der folgenden Ereignisse:

 

  1. Schwere Herzinsuffizienz mit Bedarf einer intravenösen Behandlung oder mechanischen Kreislaufunterstützung
  2. Schwere Arrhythmien, definiert als anhaltende ventrikuläre Arrythmie, kompletter Herzblock, plötzlicher Herztod, Einsatz von Atropin oder Isoproterenol und/oder eines Herzschrittmachers/Defibrillators
  3. Versagen der Atemmuskulatur aufgrund von Myositis mit Bedarf einer Beatmung
  4. Tod aufgrund von kardio-myotoxischen Ereignissen

 

Die externe Validierung des Risikoscores erfolgte durch 2 unabhängigen Kohorten: eine prospektive Kohorte von 35 ICI-M-Fällen der Universität Sorbonne (SU-Kohorte, Paris) und eine retrospektive Kohorte von 119 ICI-M-Fällen des Mass General Brigham Hospitals (MGB-Kohorte, Boston). Die Ein- und Ausschlusskriterien sowie Definitionen waren identisch zur Studienkohorte.

 

Für die Analyse der prognostischen Bedeutung der LVEF wurden nur Fälle mit mindestens einer dokumentierten LVEF-Messung zum Zeitpunkt der ICI-M-Hospitalisierung eingeschlossen.

 

Demografische Daten

 

In die Risikoscore- und Prädiktor-Analyse gingen 748 Personen mit ICI-M ein (mittleres Alter 69 Jahre, 33 % Frauen, 21 % behandelt mit einer ICI-Kombination und 79 % mit einer ICI-Monotherapie). Die häufigsten Primärkarzinome betrafen Haut (31 %), Lunge (24 %) und Urogenitaltrakt (22 %). Die mediane Dauer von der ersten Dosis bis zum Auftreten der Myokarditis betrug 40 Tage.

 

Die Diagnose Myokarditis wurde bei rund der Hälfte der Kohorte als eindeutig klassifiziert und bei jeweils einem Viertel als wahrscheinlich bzw. möglich. 83 % der Patientinnen und Patienten erhielten Kortikosteroide und 36 % nichtsteroidale Immunmodulatoren. Die 30-Tages-Inzidenz für den primären Komposit-Endpunkt betrug 33 %, die Inzidenz für Todesfälle aufgrund von Kardiomyotoxizität 13 % und für Todesfälle jeglicher Ursache 17 %. Die meisten kardio-myotoxischen Ereignisse (darunter 16 % Herzinsuffizienz, 19 % Herzrhythmusstörungen und 8 % Atemmuskelversagen) und ICI-M-assoziierten Todesfälle traten zu Beginn der 30-tägigen Beobachtungsdauer auf.

Prädiktoren und Risikoscore

 

In der multivariaten Analyse wurden folgende Faktoren als stärkste Prädiktoren für schwerwiegende kardio-myotoxische Ereignisse identifiziert: aktives Thymom (HR 3,60), kardio-muskuläre Symptome (HR 2,60), geringe QRS-Spannung im EKG (HR 2,08 für ≤0,5mV vs. >1mV), LVEF<50 % (HR 1,78) und erhöhtes Troponin (HR 1,86; 2,99 und 4,80 jeweils für einen 20-, 200- und 2000-fachen Troponin-Anstieg gegenüber dem oberen Grenzwert).

 

Nachfolgend wurde ein Risikoscore (von 0 bis 8 Punkten) entwickelt, wobei jedem Prädiktor ein Wert proportional zum jeweiligen Regressionskoeffizienten zugewiesen wurde (2 Punkte für ein aktives Thymom, jeweils 1 Punkt für kardio-muskuläre Symptome, niedrige QRZ-Zeit, LVEF<50 % und 1-3 Punkte für die Ausprägung der Troponin-Erhöhung). Über 80 % der Personen hatten einen Risikoscore zwischen 1-3 Punkte und die kumulative 30-Tage-Inzidenz schwerwiegender kardio-myotoxischer Ereignisse nahm mit steigendem Risikoscore proportional zu (siehe Tabelle).

 

Die Validierung des Risikoscores erfolgte durch 2 unabhängige Kohorten (SU- und BMG-Kohorte). In der prospektiven SU-Kohorte wurden mit Hilfe des Risikoscores 7 Personen mit dem Risikoscore 0 identifiziert. Bei diesen 7 Personen, die keine Immunsuppression erhielten, traten weder Todesfälle noch schwerwiegende kardiomyotoxische Ereignisse auf.

Risikoscore und kardio-myotoxische Ereignisse der Studienkohorte und Validierungskohorten Tabelle: Risikoscore und kardio-myotoxische Ereignisse der Studienkohorte und Validierungskohorten

LVEF: Assoziierte Faktoren und Aussagekraft

 

In die LVEF-Analyse gingen Daten von 707 Personen mit verfügbaren LVEF-Messwerten ein: 35 % mit LVEF<50 % und 65 % mit LVEF≥50 %. Personen mit LVEF<50 % waren eher jünger (<70 Jahre), hatten einen BMI<25 kg/m2 und häufiger eine Bestrahlung des Brustkorbs (24,2 % vs. 13,5 %; p<0,001). Es wurden keine Unterschiede im Hinblick auf die Antitumor-Therapie festgestellt.

 

Zu den Faktoren, die mit einer LVEF<50 % assoziiert waren, gehörten: vorhergehende Herzinsuffizienz, Dyspnoe, Gabe von BRAF/MEK-Inhibitoren und ein Intervall von ≥40 Tagen zwischen ICI-Initiierung und Myokarditis. Umgekehrt waren folgende Faktoren mit einer LVEF≥50 % assoziiert: Alter≥70 Jahre, BMI≥25 kg/m2, europäische Herkunft und Myositis.

 

Eine eindeutige oder wahrscheinliche Myokarditis trat häufiger bei einer LVEF<50 % auf als bei einer LVEF≥50% (91,8 % vs. 70,6 %; p<0,001). Umgekehrt hatten Personen mit LVEF<50 % häufiger eine gleichzeitige Myositis (46,9 % vs. 22,1 %; p<0,001) oder ein Myasthenia-gravis-ähnliches Syndrom (26,8 % vs. 12,3 %; p<0,001). Bei anderen immunbezogenen unerwünschten Ereignissen gab es keine signifikanten Unterschiede. Bei Adjustierung nach Alter, Tumortyp und ICI-Therapie war eine LVEF<50 % mit einer höheren Gesamtmortalität (HR 1,50; 95%KI [1,02;2,20]; p=0,040) sowie mit einer höheren Myokarditis-bedingten Mortalität (HR 2,36; 95%KI [1,42;3,91]; p=0,001) assoziiert.

Fazit 

 

Die vorliegende Studie zeigte, dass schwerwiegende kardiotoxische Ereignisse bei einem Drittel der Personen mit ICI-M innerhalb des ersten Monats auftraten. Als Prädiktoren für schwerwiegende ICI-M-Ereignisse wurden identifiziert: Troponin-Anstieg, Thymom, kardio-muskuläre Symptome sowie reduzierte LVEF und QRZ-Zeit. Außerdem waren Dyspnoe, längere Dauer bis zum Auftreten der ICI-M, vorhergehende kardiale Komorbidität und Expositionen zu kardiotoxischen Therapien mit einer reduzierten LVEF zum Zeitpunkt der ICI-M-Hospitalisierung assoziiert. 

 

Der neue validierte Risikoscore ist vielversprechend, um Patientinnen und Patienten mit geringem Risiko zu identifizieren, die keine Behandlung mit Kortikosteroiden oder anderen Immunsuppressiva benötigen. Bemerkenswert ist, dass Patientinnen und Patienten mit einem niedrigen Risikoscore nahezu keine kardiotoxischen Ereignisse aufwiesen. In der klinischen Praxis können sich Ärztinnen und Ärzte daher auf den Score beziehen, um frühzeitig die ambulante Weiterbetreuung einzuleiten.


Referenzen

  1. Chen YC et al. Immune Checkpoint Inhibitor Myocarditis and Left Ventricular Systolic Dysfunction. JACC CardioOncol. 2025 Apr;7(3):234-248. doi: 10.1016/j.jaccao.2025.01.020. PMID: 40246381; PMCID: PMC12046861.
  2. Power JR et al. Immune checkpoint inhibitor-associated myocarditis: a novel risk score. Eur Heart J. 2025 Jun 18:ehaf315. doi: 10.1093/eurheartj/ehaf315. Epub ahead of print. PMID: 40569849.
  3. Lehmann LH et al. Cardiomuscular Biomarkers in the Diagnosis and Prognostication of Immune Checkpoint Inhibitor Myocarditis. Circulation. 2023 Aug 8;148(6):473-486. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.123.062405. Epub 2023 Jun 15. PMID: 37317858; PMCID: PMC10527069.
  4. Salem JE et al. Abatacept/Ruxolitinib and Screening for Concomitant Respiratory Muscle Failure to Mitigate Fatality of Immune-Checkpoint Inhibitor Myocarditis. Cancer Discov. 2023 May 4;13(5):1100-1115. doi: 10.1158/2159-8290.CD-22-1180. PMID: 36815259.
  5. Bonaca MP et al. Myocarditis in the Setting of Cancer Therapeutics: Proposed Case Definitions for Emerging Clinical Syndromes in Cardio-Oncology. Circulation. 2019 Jul 2;140(2):80-91. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.118.034497. PMID: 31390169; PMCID: PMC6779326.

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