Hohes Herzrisiko bei COPD besser managen

 

Real-World-Daten zeigen, dass schon eine erste Exazerbation der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen drastisch erhöhen kann. Prof. Rolf Wachter vom Universitätsklinikum Leipzig spricht im Interview über die Zusammenhänge und Behandlungsansätze bei COPD und kardiovaskulären Ereignissen.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

11.03.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Sebastian Kaulitzki / Shutterstock.com

Gemäß einer aktuellen Kohortenstudie1 mit mehr als 142.000 Patientinnen und Patienten ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen in der ersten Woche nach einer COPD-Exazerbation insgesamt etwa 16-fach erhöht, insbesondere für eine dekompensierte Herzinsuffizienz (HR 72,3) und Arrhythmien (HR 31,2). Auch noch ein Jahr später blieb das Risiko erhöht. Bereits bei der ersten Exazerbation nach der COPD-Diagnose zeigte sich ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen, das im weiteren Verlauf nicht wesentlich anstieg.


HERZMEDIZIN: Herr Prof. Wachter, welche Mechanismen verbinden COPD-Exazerbationen mit kardiovaskulären Komplikationen?


Wachter: Die retrospektive Studie zeigte zunächst eine Assoziation zwischen COPD-Exazerbationen und kardiovaskulären Ereignissen auf, aber nicht zwingend eine Kausalität. Bei COPD und kardiovaskulären Erkrankungen gibt es ähnliche Risikofaktoren – am prominentesten ist das Rauchen. Ein Zusammenhang überrascht also erst einmal nicht. Aber warum akut bei Exazerbationen? Weil da einiges passiert: Eine Exazerbation führt zu Hypoxie, sodass durch die Lungen-Dysfunktion auch alle anderen Organe einschließlich des kardiovaskulären Systems belastet werden. Falls ohnehin schon eine kritische Versorgung durch die Koronargefäße vorliegt, kann das der sprichwörtliche Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und zum Absterben von Herzmuskelzellen führt.


Diskutiert werden in der Publikation auch Mechanismen durch Hyperkapnie, die sich direkt auf die kardiale Funktion auswirken können. Zudem können pulmonale Infektionen oder Pneumonien mit COPD-Exazerbationen einhergehen und dann auch an anderen Stellen, wie beispielsweise dem Herzen, zu Komplikationen führen.

 

HERZMEDIZIN: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse aus der Kohortenstudie?


Wachter: Wichtig ist die Erkenntnis, dass wir bei COPD-Exazerbationen ein Muster sehen, dass wir auch von anderen Erkrankungen kennen: Ein akutes Ereignis wie eine Exazerbation kann systemweite Probleme verursachen. Dies betont die Notwendigkeit, bei der Behandlung akuter Organ-Dysfunktionen auch über das spezifische Organ hinaus andere Organe und Komorbiditäten zu berücksichtigen – beispielsweise bei COPD-Betroffenen kardiovaskuläre Begleiterkrankungen. Allerdings sind konkrete Handlungsempfehlungen oft nicht vorhanden, was die klinische Umsetzung erschwert. So ist im Falle einer intensiveren Behandlung im Zuge einer Multimorbidität das Risiko von Nebenwirkungen zusätzlich erhöht. Die Angelegenheit ist also komplex.

Zur Person

Prof. Rolf Wachter

Prof. Rolf Wachter ist stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig. Seine klinische Tätigkeit umfasst die gesamte Kardiologie mit Schwerpunkten in der interventionellen Kardiologie und der Herzinsuffizienz. Zusätzlich nimmt er diverse Funktionen in wissenschaftlichen Fachgesellschaften wahr.

Prof. Rolf Wachter
Bildquelle: Universitätsklinikum Leipzig

HERZMEDIZIN: Was lässt sich Ihrer Erfahrung nach trotz dieser Schwierigkeiten für die Praxis ableiten?


Wachter: Grundsätzlich lohnt das routinemäßige Screening auf COPD zum Beispiel vor einer TAVI oder einer herzchirurgischen Operation und sorgt manchmal für Überraschungen durch eine vorher nicht diagnostizierte COPD. Zudem besteht die Möglichkeit initialer Fehlklassifikationen von Fällen dekompensierter Herzinsuffizienz als COPD-Exazerbationen und umgekehrt, da sich die Symptomatik häufig überlappt – dessen sollte man sich bewusst sein.


Zentral für die Praxis halte ich in diesem Zusammenhang einen Punkt, der im klinischen Alltag oft untergeht: die Frage nach dem Raucherstatus und die Empfehlung zum Rauchstopp. Jede Ärztin, jeder Arzt würde unterschreiben, dass es wichtig ist. Aber wer im Krankenhaus Patientinnen und Patienten mit Herzinfarkt fragt, ob sie vom ärztlichen Personal zum Thema Rauchen angesprochen wurden, wird feststellen, dass dies zu selten geschieht.


Wenn ich Betroffene mit einem akuten Myokardinfarkt im Herzkatheterlabor behandle, frage ich sie noch dort, ob sie rauchen, und empfehle den Rauchstopp – auch für alle Angehörigen im Haushalt. Ich habe nur anekdotische Evidenz, aber ich denke, gerade ein Akutereignis kann Patientinnen und Patienten motivieren. Insgesamt brauchen wir mehr Awareness für das Thema im Praxisalltag. Denn ein Rauchstopp hilft ganz wesentlich hinsichtlich COPD-Verlauf, -Exazerbationen und kardiovaskulären Erkrankungen.

 

 

„Wenn ich Betroffene im Herzkatheterlabor behandle, frage ich sie noch dort, ob sie rauchen, und empfehle den Rauchstopp – auch für alle Angehörigen im Haushalt.“

Prof. Rolf Wachter über mehr Aufmerksamkeit hinsichtlich Raucherberatung

 

 

HERZMEDIZIN: Neben der Empfehlung zum Rauchstopp: Wie können Ärztinnen und Ärzte ihre Patient:innen noch unterstützen, um COPD-Exazerbationen zu vermeiden?

 

Wachter: In der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) zur COPD,2 die 2021 aktualisiert wurde, finden sich einige Verhaltensempfehlungen für die Betroffenen:  Unter anderem wird körperliches Training empfohlen. Zudem der frühzeitige Arztbesuch bei Anzeichen einer Verschlechterung der Lungenfunktion. Am wichtigsten ist aber die Tabakentwöhnung hin zur totalen Abstinenz. Die medikamentöse Therapie der COPD richtet sich danach, ob bei den Betroffenen die Luftnot oder das Erleben von Exazerbationen im Vordergrund steht. Je nachdem sind unterschiedliche Therapien mit langwirksamen Anticholinergika (LAMA) und Beta-2-Sympathomimetika (LABA) angeraten.

HERZMEDIZIN: Wie sollte die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kardiolog:innen, Pneumolog:innen und anderen beteiligten Fachrichtungen gestaltet werden, um das Risiko kardiovaskulärer Komplikationen bei COPD-Betroffenen zu minimieren?

 

Wachter: Da fehlt es leider an genaueren Fahrplänen. Wir bräuchten klare Empfehlungen für Diagnostik und Therapie. Was sollte wann getan werden? Wie intensiv sollte zum Beispiel nach einer Herzinsuffizienz oder nach einer koronaren Herzkrankheit (KHK) gesucht werden? Aktuelle Ansätze sind häufig getrieben von Biomarkern wie NT-proBNP und Troponin, aber am Ende mit zu vielen falsch positiven Befunden nicht präzise genug. Weiterhin besteht ein Bedarf an Studien, die spezifische Therapieansätze untersuchen, wie beispielsweise zu Risiken und Nutzen einer intensivierten Plättchenhemmung nach COPD-Exazerbation, um auf Basis der Diagnostik auch besser Therapieanpassungen vornehmen zu können. So ist bis auf Weiteres vor allem der interdisziplinäre Dialog entscheidend, um für den Einzelfall zu differenzieren.


Referenzen

 

  1. Hawkins NM et al. Heightened long-term cardiovascular risks after exacerbation of chronic obstructive pulmonary disease. Heart. 2024 Jan 5:heartjnl-2023-323487. doi: 10.1136/heartjnl-2023-323487. Epub ahead of print. PMID: 38182279.
  2. Nationale VersorgungsLeitlinie COPD (2021). URL: https://www.leitlinien.de/themen/copd

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