Was sind die grundlegenden Ansätze für eine moderne Umsetzung nicht-medikamentöser Maßnahmen bei arterieller Hypertonie? Eine Übersicht zum Vorgehen in der ärztlichen Praxis unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinien-Empfehlungen.
Was sind die grundlegenden Ansätze für eine moderne Umsetzung nicht-medikamentöser Maßnahmen bei arterieller Hypertonie? Eine Übersicht zum Vorgehen in der ärztlichen Praxis unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinien-Empfehlungen.
Von:
Prof. Hans-Georg Predel
Deutsche Sporthochschule Köln
19.12.2024
Bildquelle (Bild oben): Neirfy / Shutterstock.com
Die arterielle Hypertonie ist aktuellen epidemiologischen Analysen zufolge die häufigste chronische Erkrankung weltweit und stellt zudem mit ihren gravierenden Begleit- und Folgeerkrankungen eine erhebliche Herausforderung für das Gesundheitswesen weltweit dar.1,2
Trotz aller nationaler und internationaler Anstrengungen und Initiativen ist die Prävention und Detektion der arteriellen Hypertonie sowie deren effektives therapeutisches Management weiterhin insuffizient. Auch in Deutschland ist die reale Versorgungssituation hinsichtlich der arteriellen Hypertonie unbefriedigend.
Dieser Befund ist auch insofern nicht akzeptabel, wenn man bedenkt, dass prinzipiell alle geeigneten Optionen für ein effektives präventives, diagnostisches und therapeutisches Management der arteriellen Hypertonie verfügbar sind. Neben den pharmakologischen Therapieansätzen spielen insbesondere auch die sog. nicht-medikamentösen Strategien eine zunehmend wichtige und evidenzbasierte Rolle, welche sich in den in 2023 bzw. 2024 erschienenen aktuellen Leitlinien der entsprechenden europäischen Fachgesellschaften ESH/ESC sowie der Nationalen Versorgungsleitlinien 1.0 zur arteriellen Hypertonie widerspiegelt.3,4,5
Ziel dieses Artikels ist es, die grundlegenden Strategien für ein modernes, Leitlinien-basiertes Vorgehen hinsichtlich der nicht-medikamentösen Therapiemaßnahmen der arteriellen Hypertonie in der ärztlichen Praxis vor dem Hintergrund der o. g. aktuellen Leitlinien darzustellen.
Entsprechend der o. g. aktuell gültigen ESH/ESC/NVL-Leitlinien sind die nicht-medikamentösen Lebensstil-Maßnahmen bei allen Schweregraden der arteriellen Hypertonie grundsätzlich indiziert und sollten – abhängig von Schweregrad und klinischer Gesamtkonstellation – entweder zunächst allein bzw. simultan in Kombination mit einer medikamentösen antihypertensiven Therapie verordnet werden. Im Idealfall stellen die Lebensstil-Maßnahmen eine synergistische Ergänzung der medikamentösen Hochdrucktherapie dar.
In den Hypertonie-Leitlinien wird zudem darauf hingewiesen, dass ein gesundheitsorientierter Lebensstil auch die Entstehung einer manifesten arteriellen Hypertonie verhindern oder verzögern und zudem das kardiovaskuläre Gesamtrisiko effektiv reduzieren kann. Hierfür liegt eine überzeugende Evidenzlage vor. Insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit arterieller Hypertonie Grad 1 ohne Endorganschäden können effektive nicht-medikamentöse Maßnahmen allein ausreichend sein und eine medikamentöse Therapie unnötig machen. Bei Vorliegen von Hypertonie-assoziierten Endorganschäden bzw. einem hohen globalen kardiovaskulären Gesamtrisiko sollte jedoch eine medikamentöse Hochdrucktherapie parallel zu den nicht-medikamentösen Maßnahmen initiiert werden. Ein entsprechender Behandlungs-Algorithmus wird in den o. g. Leitlinien empfohlen.
Nachfolgend werden die von den aktuellen Leitlinien empfohlenen Lebensstil-Maßnahmen der arteriellen Hypertonie dargestellt und hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit in der ärztlichen Praxis bewertet.
Die Zufuhr von Kochsalz mit der Nahrung hat sowohl akut als auch chronisch einen Blutdruck-steigernden Effekt. Entsprechend ist in zahlreichen epidemiologischen Studien eine gesteigerte Kochsalzzufuhr, d. h. >5 g pro Tag – einem Teelöffel entsprechend – mit einer erhöhten Prävalenz der arteriellen Hypertonie assoziiert. Umgekehrt konnte in zahlreichen Studien und Meta-Analysen gezeigt werden, dass eine konsequente Reduktion der Kochsalzzufuhr mit einer signifikanten Blutdrucksenkung sowie der Hypertonie-assoziierten Endorganschäden verbunden war, wobei eine Reduktion der Kochsalzzufuhr um 4,4 g pro Tag mit einer durchschnittlichen Blutdrucksenkung von 5,4/2,8 mmHg bei Patientinnen und Patienten mit arterieller Hypertonie verbunden war.
Die positiven Effekte waren besonders ausgeprägt bei älteren Personen sowie bei Patientinnen und Patienten mit metabolischem Syndrom bzw. chronischer Niereninsuffizienz.
Einige Studien weisen allerdings darauf hin, dass eine drastische Reduktion der Kochsalzzufuhr unter <3 g pro Tag mit einer paradoxen Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse verbunden sein kann.6,7
Ein pragmatisches Vorgehen in der ärztlichen Praxis ist es daher, eine Reduktion der Kochsalzzufuhr auf täglich ca. 5 g in Kombination mit einer Kalium- und Magnesium-reichen Ernährung bzw. Substitution zu empfehlen.
Darüber hinaus konnte eine Studie aus China zeigen, dass der systematische Ersatz von Natriumchlorid durch Kaliumchlorid in mehreren ländlichen chinesischen Gemeinden sowohl mit einer Blutdrucksenkung als auch mit einer Abnahme kardiovaskulärer Ereignisse assoziiert war.8
Regelmäßiger Alkoholkonsum ist nicht nur mit einer erhöhten Hypertonie-Prävalenz, sondern auch mit einem gesteigerten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Das gilt insbesondere für überhöhten Alkoholkonsum. Eine aktuelle Mendelian-randomisierte Meta-Analyse basierend auf 56 epidemiologischen Studien zeigte zudem positive kardiovaskuläre Effekte einer Alkohol-Reduktion auch bei mäßigem Alkoholkonsum.9 Gleichwohl bleibt die Frage nach der optimalen Alkoholdosis aus kardiovaskulärer Sicht weiterhin ungeklärt. Die aktuellen Leitlinien der ESH bzw. ESC jedenfalls empfehlen eine Limitierung des Alkoholkonsums für Männer auf maximal 14 Einheiten pro Woche bzw. 8 Einheiten pro Woche für Frauen, wobei eine Einheit 125 ml Wein bzw. 250 ml Bier entspricht. Alkoholfreie Tage sowie die Vermeidung von „Binge-Trinken“ werden zudem empfohlen.
Für die ärztliche Praxis bleibt festzuhalten, dass die Empfehlung einer deutlichen Reduzierung des Alkoholkonsums bis hin zu einer kompletten Alkoholkarenz für Personen mit arterieller Hypertonie sinnvoll ist, wobei – auch mit Blick auf die Compliance – eine vollständige Alkoholkarenz nur in seltenen Fällen realisierbar ist.
Personen mit arterieller Hypertonie sollte eine kalorisch ausgewogene Ernährungsweise empfohlen werden. Bei Vorliegen einer viszeralen Adipositas sollte neben einer Reduktion des BMI insbesondere eine Reduktion des Taillenumfangs angestrebt werden. Trotz bestehender Kontroversen hinsichtlich des optimalen BMI empfehlen die aktuell gültigen Leitlinien für hypertensive Patientinnen und Patienten einen BMI von 20–25 kg/m2 sowie einen Taillenumfang von 94 cm für Männer bzw. 80 cm für Frauen anzustreben. Eine Gewichtsreduktion stellt daher eine der effektivsten antihypertensiven Maßnahmen für adipöse Hypertoniepatienten und -patientinnen dar.
Die Ernährung sollte zudem langfristig qualitativ modifiziert werden mit einer Präferenz für Gemüse und Obst sowie einem nur geringen Verzehr von „rotem“ Fleisch und gesättigten Fetten. In diesem Zusammenhang wird auf die DASH- sowie die Predimed-Studie verwiesen.10,11
Während die Umsetzung dieser Empfehlungen im Rahmen „artifizieller Diäten“, wie z. B. der DASH-Studie lediglich einen zeitlich limitierten antihypertensiven Effekt demonstrierte, stellt die sog. „Mediterrane Diät“ eine seit Jahrhunderten bewährte und langfristig umsetzbare Ernährungsvariante dar, verbunden mit einem hohen Evidenzgrad hinsichtlich der gesundheitlichen Effekte. Entsprechend vergeben die aktuellen ESC-Leitlinien eine Klasse-I-A-Empfehlung. Allerdings sind die antihypertensiven Effekte einer Mediterranen Diät gering. Insgesamt ist die Effektstärke im Hinblick auf die Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse nicht sehr ausgeprägt. Vor diesem Hintergrund eignet sich die Empfehlung einer mediterran-ausgerichteten Diät in der ärztlichen Praxis generell für Hypertonie-Patienten und -Patientinnen sowie für Personen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. Entscheidend für die antihypertensive Wirksamkeit einer Diätmodifikation ist eine langfristige Ernährungsumstellung mit einer Reduktion der Kalorienzufuhr mit dem Ziel einer Gewichtsnormalisierung. Von allen anderen – teilweise radikalen Diätempfehlungen inkl. der überhöhten Zufuhr von Supplementen – ist aufgrund fehlender oder nur geringer Evidenz abzuraten.
Die aktuellen ESC-Leitlinien äußern sich explizit zu den o. g. Getränken, wobei ein moderater Kaffee- bzw. Teekonsum als unbedenklich bzw. protektiv angesehen wird. Hingegen wird von jeglichem Konsum von Soft- und Energydrinks abgeraten.
Rauchen – auch das sog. „passive Rauchen“ – ist ein gravierender gesicherter Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebs mit einer weiterhin hohen Prävalenz. Das Risiko ist potenziert in Kombination mit arterieller Hypertonie. Zudem hat Rauchen einen Blutdruck-steigernden Effekt sowohl bei normotensiven als auch bei hypertensiven Menschen belegt auf Basis von 24-h-ABDM-Messungen.12
Für die ärztliche Praxis wird bei Raucherinnen und Rauchern zumindest ein kurzer ärztlicher Hinweis bzgl. der Notwendigkeit eines sofortigen Rauchstopps empfohlen, der periodisch wiederholt werden sollte. Dieser ärztliche Hinweis ist bereits in einzelnen Fällen wirksam und sollte bei fehlendem Erfolg gemäß Leitlinien u. a. durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen sowie der Verordnung von Nikotin-Pflastern bzw. Nikotin-Kaugummi ergänzt werden. Hierdurch können die Erfolgsaussichten bzgl. Rauchstopp erheblich gesteigert werden.
Insbesondere die neuen ESH-Leitlinien empfehlen die Anwendung von Entspannungsverfahren, wie z. B. Meditation und Atemübungen zur Stressreduktion für Personen mit arterieller Hypertonie. Weiterhin werden „meditative Bewegungsformen“ empfohlen. In der Praxis könnte man hier z. B. Waldspaziergänge oder Schwimmen anraten. Es wird allerdings explizit darauf hingewiesen, dass der Evidenzgrad dieser Maßnahmen relativ gering ist. Zudem mangelt es an validierten und zertifizierten Angeboten.
Körperliche bzw. sportliche Aktivitäten induzieren einen akuten und physiologischen Anstieg des arteriellen Blutdruckes mit Betonung der systolischen Komponente gefolgt von einem kurzzeitigen Blutdruckabfall unterhalb des Ausgangswertes.
Regelmäßige körperliche bzw. sportliche Aktivitäten bewirken einen signifikanten Blutdruckabfall, der in der Regel umso ausgeprägter ist, je höher die Blutdruckausgangslage ist und sind evidenzbasiert ein wirksames antihypertensives Therapieprinzip sowohl für die Prävention als auch die Behandlung einer etablierten arteriellen Hypertonie.2
Eine umfangreiche Meta-Analyse konnte zeigen, dass sowohl Ausdauertraining als auch dynamisches Kräftigungstraining eine signifikante Blutdruckreduktion bei hypertensiven Patientinnen und Patienten erzielen konnte, wobei eine erhebliche interindividuelle Variabilität bestand. Die durchschnittliche Blutdrucksenkung durch ein regelmäßiges Ausdauertraining bei hypertensiven Patientinnen und Patienten betrug 8,3/5,2 mmHg.13
Darüber hinaus konnte eine signifikante Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse und Letalität sowie der Gesamtmortalität in zahlreichen Studien nachgewiesen werden. Entsprechend empfehlen die Leitlinien mindestens 30 Minuten dynamische aerobe körperliche/sportliche Aktivitäten in moderater Intensität (Gehen, Fahrradfahren, Joggen, Schwimmen etc.) an 5–7 Tagen pro Woche. Eine Steigerung auf bis zu 300 min moderaten Trainings bzw. 150 min intensiven Ausdauertrainings entsprechend der aktuellen WHO-Empfehlungen sollte bei Vorliegen gesundheitlicher Voraussetzungen angestrebt werden. Ein ergänzendes Kräftigungstraining sollte an 2–3 Tagen pro Woche stattfinden. Präzise Angaben diesbezüglich fehlen allerdings in den ESC-/ESH-Leitlinien. Aufgrund aktueller Evidenz kann aber die Empfehlung gegeben werden, dieses Kräftigungstraining unter Monitoring über 15-20 Minuten in niedriger bis mittlerer Intensität durchzuführen. Die ESC-Leitlinien empfehlen zudem ein sog. Isometrisches Kräftigungstraining, z.B. Handgrip-Training auf Basis einer kürzlich erschienenen Meta-Analyse.14
Die neuen ESC-Leitlinien weisen darauf hin, dass auch mittels hochintensivem Intervall-Training (HIIT) blutdrucksenkende Effekte nachgewiesen worden sind. Voraussetzung hierfür ist allerdings eine ärztliche Voruntersuchung, die generell für Bluthochdruck-Patienten und -Patientinnen im Vorfeld sportlicher Aktivitäten nach den Vorgaben der DGSP-Leitlinien empfehlenswert ist.15
Die Aufnahme individualisierter regelmäßiger und höherintensiver körperlicher/sportlicher Aktivitäten sollte zudem durch ein professionelles Monitoring begleitet werden. Hierfür empfiehlt sich für die ärztliche Praxis die Vernetzung mit einem gesundheitsorientiertem Fitness-Studio.
Im Hinblick auf die Evidenz und Wirksamkeit der o. g. Lifestyle-Maßnahmen kann man feststellen, dass die Fokussierung auf Rauchstopp, Gewichtsreduktion und regelmäßiger körperlicher Aktivität in der ärztlichen Praxis im Sinne der Umsatzbarkeit und Compliance-Förderung die wirksamste Strategie für Personen mit arterieller Hypertonie darstellen.
Die NVL 1.0 empfiehlt für Patientinnen und Patienten, denen es nicht gelingt, die individuellen Empfehlungen zur Lebensstilmodifikation selbständig bzw. mit ärztlicher Hilfe umzusetzen, strukturierte Therapieprogramme. Hierzu ist anzumerken, dass solche Programme grundsätzlich effektiv und empfehlenswert sein können, bisher allerdings nur unzureichend validiert und keineswegs flächendeckend in der Versorgungslandschaft verfügbar sind. Es bleibt abzuwarten, ob zertifizierte digitale Angebote in diesem Zusammenhang hilfreich sein können.
In der medikamentösen Differentialtherapie von sportlich aktiven Hochdruckpatienten und -patientinnen ist nach den aktuellen Leitlinien die antihypertensive Wirksamkeit, der Nachweis einer Prognoseverbesserung sowie die Berücksichtigung individueller Begleit- und Folgeerkrankungen entscheidend.
Darüber hinaus sollten die günstigen Effekte der körperlichen bzw. sportlichen Aktivitäten durch die medikamentöse antihypertensive Therapie nach Möglichkeit synergistisch unterstützt und nicht etwa konterkariert werden. Die Pharmakotherapie sollte daher folgende zusätzliche Qualitätskriterien erfüllen:
Diese Gesichtspunkte sind wesentlich auch im Interesse einer langfristigen Compliance der Hochdruckpatienten und -patientinnen und sind im Rahmen eigener Studien evaluiert worden.16
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das präventive und therapeutische Potential der nicht-medikamentösen Lebensstil-Maßnahmen für Menschen mit arterieller Hypertonie und deren Folgeerkrankungen erheblich ist und nach wie vor nicht ausreichend ausgeschöpft wird. Deren konsequente, individualisierte Empfehlung und Umsetzung in der ärztlichen Praxis in Kombination mit einer maßgeschneiderten medikamentösen Therapie würde die Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten mit arterieller Hypertonie erheblich steigern und ist daher mandatorisch. Zielführende weitere Maßnahmen, wie z. B. die Implementierung strukturierter Schulungsprogramme sowie regelmäßige Fort- und Weiterbildungen für Ärztinnen, Ärzte, Bewegungstherapeuten und -therapeutinnen sowie flankierende wissenschaftliche Evaluationen sind zudem erforderlich.