Verursacht Intervallfasten Haarausfall?

 

Intervallfasten liegt im Trend und soll gesundheitliche Vorteile mit sich bringen. Eine aktuelle Studie, die im Fachjournal Cell veröffentlicht wurde, berichtet allerdings über eine mögliche unerwünschte Wirkung: gehemmter Haarwuchs.1


Prof. Ulrich Laufs (Universitätsklinikum Leipzig) kommentiert.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

20.05.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Summer Paradive / Shutterstock.com

Intervallfasten wird eine positive Wirkung auf den Stoffwechsel und kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Adipositas zugeschrieben. Eine kleine Studie mit 48 Teilnehmenden legt z. B. nahe, dass intermittierendes Fasten nach einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) die linksventrikuläre Funktion verbessern könnte.2 Aktuelle Daten zeigen nun einen möglichen unerwünschten Effekt auf: Ein chinesisches Forschungsteam berichtet in Cell, dass Intervallfasten das Haarwachstum hemmen kann, indem Stammzellen in den Haarfollikeln gestört und geschädigt werden.


In Tiermodellen führten zwei gängige Fastenregime – 16:8-Intervallfasten (16 Stunden Fasten, 8 Stunden Nahrungsaufnahme) sowie alternierendes Fasten (abwechselnd jeweils 24 Stunden Fasten und normale Nahrungsaufnahme) – zu einer deutlich verzögerten Fellregeneration nach Rasur der Tiere. Während bei Mäusen mit uneingeschränkter Nahrungsaufnahme das Fell bereits nach 30 Tagen weitgehend nachgewachsen war, zeigten die fastenden Tiere auch nach 96 Tagen noch kahle Stellen.

Veränderter Stoffwechsel induziert oxidativen Stress

 

Histologische Analysen zeigten eine gestörte Aktivierung der Stammzellen in den Haarfollikeln und eine erhöhte Apoptoserate der aktivierten Stammzellen im Fastenzeitraum. Das könnte über längere Zeiträume potenziell sogar zu einer Degeneration der Haarfollikel und zum Haarverlust führen. Als Ursache für den Zelluntergang konnten die Forschenden eine Umstellung des Stoffwechsels der Haarfollikel-Stammzellen identifizieren: Während des Fastens geben die benachbarten Fettzellen, aktiviert durch lipolytische Hormone aus der Nebennierenrinde, vermehrt freie Fettsäuren in die Umgebung ab, was den normalerweise auf Glykolyse basierenden Stoffwechsel der empfindlichen Haarfollikel-Stammzellen stört, oxidative Schäden und schließlich die Apoptose herbeiführt. In Mäusen konnten diese Effekte durch topische Anwendung von antioxidativ wirkendem Vitamin E oder genetische Hochregulation antioxidativer Enzyme verhindert werden.

 

Die Forschenden vermuten, dass die beobachteten Vorgänge einen evolutionär bedingten Mechanismus darstellen, um bei schwankender Nahrungsverfügbarkeit die Versorgung lebenswichtiger Organe wie dem Gehirn sicherzustellen, während die periphere Geweberegeneration zurückgefahren wird. So zeigten frühere Studien, unterschiedliche Reaktionen von Stammzellen auf das Fasten: beispielsweise eine erhöhte Aktivität der Stammzellen im Darm und einen tiefen Ruhezustand der Muskelstammzellen, während die für die Aufrechterhaltung der Hautbarriere wichtigen epidermalen Stammzellen unbeeinflusst blieben.  

Beobachtete Effekte beim Menschen

 

Die Forschenden untersuchten anschließend menschliche Haarfollikel-Stammzellen. Die Zellkulturen reagierten ebenfalls empfindlich auf freie Fettsäuren – mit mitochondrialer Dysfunktion und Zelluntergang. In der folgenden randomisierten kontrollierten Studie (Westlake Precision Nutrition Study 2) wurden 49 gesunde junge Erwachsene einer von drei Gruppen zugeordnet:  18:6-Methode (18 Stunden Fasten, 6 Stunden Nahrungsaufnahme), Energie¬restriktion auf 1.200–1.500 kcal täglich und normale Ernährung. In der 18:6-Gruppe wuchsen die Haare im Verlauf von 3 Tagen im Durchschnitt 18 % langsamer als in der Kontrollgruppe (p=0,0028). Außerdem waren viele der nachgewachsenen Haare dünner. Der erhöhte Spiegel lipolytischer Hormone, der zuvor auch im Mausmodell beobachtet worden war, lässt vergleichbare systemische Mechanismen vermuten, wenn auch insgesamt abgeschwächter aufgrund der niedrigeren Stoffwechselrate beim Menschen.

Expertenkommentar

Haarausfall bei Intervallfasten – Risiken und Nebenwirkungen auch bei Lebensstilmaßnahmen

 

In einer methodisch sehr sorgfältig durchgeführten randomisierten prospektiven Studie, publiziert im New England Journal of Medicine 2022, zeigte sich, dass zeitlich begrenztes Essen (zwischen 8:00 und 16:00) kombiniert mit Kalorienreduktion in Bezug auf die Gewichtsreduktion bei 139 adipösen Personen nicht wirksamer war als eine reine Kalorienreduktion allein.3 Beide Gruppen nahmen über 12 Monate ab (−8,0 kg vs. −6,3 kg); der Unterschied zwischen den Gruppen war nicht signifikant. Auch in Bezug auf BMI, Körperfett, Blutdruck und Stoffwechselparameter ergaben sich keine Vorteile der Zeitrestriktion. Insgesamt liegt in der Literatur kein belastbarer Beleg für einen Effekt des Zeitpunktes der Nahrungszufuhr per se vor. Die Gewichtsreduktion hängt offenbar nicht vom Zeitpunkt, sondern von der Menge der Kalorien-Zufuhr ab. Wenn ein Intervallfasten individuell dabei hilft, die Kalorien-Aufnahme zu reduzieren, kann es über diesen Mechanismus im Einzelfall trotzdem indirekt bei der Gewichtsabnahme helfen.


Die spannende mechanistische Publikation in der Zeitschrift Cell von Chen et al. zeigt in sehr großer Detailtiefe, dass Intervallfasten bei Mäusen und Menschen negative Auswirkungen auf den Stoffwechsel der Haarfollikel hat. Die Arbeit unterstreicht die Komplexität von spezialisierten Zellen des Organ-spezifischen Fettgewebes und die Bedeutung von molekularen Mechanismen, welche durch die Jahrtausende-lange Evolution in einer Umgebung von Kalorien-Mangel geprägt wurden. Weiterhin zeigt die Arbeit, dass auch Lebensstilmaßnahmen potenziell Risiken und Nebenwirkungen haben können. Der Versuch von Intervallfasten ist weit verbreitet. Auch wenn nicht lebensbedrohlich, hat Haarausfall aus Sicht von Betroffenen signifikante Effekte auf die Lebensqualität. Daher stellt der berichtete Zusammenhang eine relevante Information dar.

Zur Person

Prof. Ulrich Laufs

Prof. Ulrich Laufs ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig. Zu seinen Schwerpunkten gehören u. a. kardiovaskuläre Prävention und Lipoprotein-Stoffwechselstörungen. Im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) vertritt er den Bereich der Universitätskliniken.

Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

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