Statine sind definitiv besser als ihr Ruf. Denn die meisten der ihnen angelasteten Nebenwirkungen sind selten und harmlos, zu diesem Schluss kommen Experten nach umfassender Prüfung der Datenlage.
Statine sind definitiv besser als ihr Ruf. Denn die meisten der ihnen angelasteten Nebenwirkungen sind selten und harmlos, zu diesem Schluss kommen Experten nach umfassender Prüfung der Datenlage.
Von Veronika Schlimpert
10.05.2018
Kaum ein Medikament ist so umstritten wie die Statine. Viele Halbwahrheiten kursieren um die Lipidsenker. Die dominierende Angst unter Patienten und auch Ärzten ist die vor mit der Therapie einhergehenden Muskelschmerzen. In Wahrheit weiß aber keiner so recht, wie häufig diese Nebenwirkung vorkommt.
Muskelbeschwerden sind nicht die einzigen unerwünschten Effekte, die den HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren angelastet werden: Sie stehen unter Verdacht, das Auftreten eines Diabetes mellitus zu begünstigen, die Leber- und Nierenfunktion zu verschlechtern und das Risiko für hämorrhagische Schlaganfälle und Katarakt zu erhöhen.
Was davon ist wahr, was übertrieben und was stimmt gar nicht? Um mit den verbreiteten Vorurteilen aufzuräumen, haben Mitglieder der Europäischen Arteriosklerose-Gesellschaft (EAS) die aktuelle Datenlage sorgfältig geprüft und basierend darauf ein Konsensuspapier formuliert, wie häufig mit Nebenwirkungen unter einer dauerhaften Statintherapie zu rechnen ist.
Zweifellos, das größte Problem im Praxisalltag von Ärzten, die Statine verordnen, sind unter der Therapie auftretende Muskelschmerzen, auch als SAMS (statin-associated muscle symptoms) abgekürzt. Nicht selten führen diese Beschwerden zum Absetzen der Therapie.
Die Prävalenz von SAMS liegt in randomisierten Studien allerdings bei nur 0,1 bis 0,2%, in nicht verblindeten Beobachtungsstudien dagegen klagen deutlich mehr, nämlich 7% bis 29%, der Patienten über Muskelschmerzen. Nicht wenige Experten erklären sich diese Diskrepanz mit einem Nocebo-Effekt: Die ständige mediale Präsenz dieser Statin-Nebenwirkung führe bei Patienten zu einer negativen Erwartungshaltung, sodass sie diese überdurchschnittlich häufig berichteten. Einige Studienergebnisse unterstützen diese Theorie.
Die Take Home-Message der EAS-Experten Ärzten lautet deshalb, „unter Statinen vorkommende Muskelbeschwerden nicht vorschnell der Therapie anzulasten, ohne der Ursache genauer auf den Grund zu gehen.“
Fokus des aktuellen Konsensuspapiers waren aber nicht SAMS, sondern die weiteren unerwünschten Effekte, die in Verbindung mit einer Statintherapie stehen sollen.
Tatsache ist, dass eine Statintherapie mit einem leichten Anstieg des Nüchternblutzuckers einhergeht. Die Gefahr, dass die Patienten langfristig einen Diabetes entwickeln, ist allerdings überschaubar. Das Risiko liege randomisierten und genetischen Studien zufolge bei jährlich etwa 1 Fall pro 1.000 behandelter Patienten, berichtet das Expertengremium um Prof. Francois Mach. Besonders gefährdet sind Patienten mit metabolischem Syndrom oder Prädiabetes.
Die Studienautoren betonen aber, dass auf der anderen Seite durch eine Statintherapie fünf kardiovaskuläre Ereignisse pro Jahr pro 1.000 Patienten verhindert werden. Und das kardiovaskuläre Risiko sei selbst bei den Patienten, die unter einer Statintherapie einen Diabetes entwickeln, geringer als ohne die Therapie. „Der Nutzen einer Statintherapie übersteigt das potenzielle Risiko für einen Anstieg der Plasmaglukose-Spiegel bei Weitem.“
Darüber hinaus wenden die EAS-Experten ein, dass in den meisten Studien als Kriterium für die Diabetes-Diagnose der HbA1c-Wert (>6,5%) herangezogen wurde. Der eigentliche Goldstandard – ein Glukosetoleranz-Test – sei meist nicht zum Einsatz gekommen.
Diskutiert wird derzeit, ob der zu beobachtende Anstieg der Plasmaglukose auf einem Klasseneffekt beruht. In letzter Zeit gebe es Hinweise, dass das nicht der Fall sei. So konnten weder für Pravastatin noch für Pitastatin Effekte auf den Glukosestoffwechsel nachgewiesen werden, auch bei Diabetikern nicht.
Eine weitläufige Sorge ist, dass Statine sich negativ auf kognitive Funktionen auswirken und das Risiko für Demenz und Alzheimererkrankungen erhöhen könnten. Diese Bedenken werden in dem Konsensuspapier ausgeräumt. „Eine Statin-Therapie beeinträchtigt die kognitive Funktion nicht“, heißt das klare Urteil der EAS-Experten. In einer Metaanalyse mit Daten aus 25 randomisierten Studien und 46.000 Teilnehmern hat es keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, auch in einer Cochrane-Analyse nicht, in der 4 Studien mit 1.154 wahrscheinlich bereits an Alzheimer erkrankten Patienten ausgewertet wurden.
Auch von einer Statintherapie in Kombination mit PCSK9-Inhibitoren oder Ezetimib gehe keine Gefährdung aus. Genvarianten, die mit niedrigen LDL-C-Spiegeln einhergehen, haben keinen Einfluss auf das Demenzrisiko. Somit gibt es auch keine pathophysiologische Grundlage für die Behauptung, dass niedrige LDL-C-Konzentrationen die Entwicklung einer Demenz begünstigen könnten.
Die EAS-Experten kommen zu dem Schluss, dass Statine auch für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion kein Risiko darstellen. In einigen Studien hätten Statine die Progression des Nierenfunktionsverlusts sogar eher verzögert. Diese vermeintlich protektive Wirkung müsse aber erst in weiteren Studien bestätigt werden.
Eine an der GFR ausgerichtete Dosisreduktion kann bei Patienten mit schwer eingeschränkter Nierenfunktion unter Hochdosistherapie allerdings sinnvoll sein. Selten kann es unter der Therapie zu einer milden Proteinurie kommen, die sich klinisch aber nicht auswirke, heißt es in dem Dokument.
Ebenfalls als harmlos bewertet das Expertengremium die unter einer Statintherapie manchmal zu beobachtenden milden Anstiege der Leberwerte. Bei 0,5 bis 2,0% der Patienten steigt die Konzentration der Alanin-Aminotransferase (ALT) nach Therapiebeginn an, für gewöhnlich normalisieren sich die Werte nach kurzer Zeit wieder. Bei Atorvastatin, Lovastatin und Simvastatin ist das Risiko eindeutig dosisabhängig.
Für Patienten mit Steatosis und nicht-alkoholischer Fettleber besteht nach Ansicht der Autoren aber keine Gefahr für eine weitere Verschlechterung der Leberfunktion, wobei man bei Patienten mit primärer biliärer Cholangitis Vorsicht walten lassen sollte. „Nicht verordnet werden sollten Statine bei Patienten mit aktiver Hepatitis B-Infektion, bis sich die Werte von AST, ALT, GGT, Gesamt-Bilirubin und ALP wieder normalisiert haben“, empfehlen die Experten. Bei einem ALT-Anstieg auf mehr als das Dreifache der oberen Normgrenze (oder bei geringeren Anstiegen, wenn der Bilirubin-Wert ebenfalls plötzlich ansteigt) sollte das Statin abgesetzt werden.
Schwerer fällt den EAS-Experten das abschließende Urteil, inwieweit Statine einen Leberschaden induzieren könnten: „Idiosynkratische Leberschäden unter Statine kommen selten vor, sie können aber schwerwiegend sein.“ Statine scheinen für 1 bis 3% der medikamenteninduzierten Leberschäden verantwortlich zu sein. Berichte über lebensbedrohliche Schädigungen, die zum Tode oder einer Transplantation führten, sind extrem selten (≤ 2 Fälle pro 1 Millionen Patientenjahre) und die kausale Beteiligung der Statintherapie sei schwer zu belegen, betonen Mach und Kollegen.
Ein routinemäßiges Monitoring der Leberwerte halten sie deshalb für nicht erforderlich. Wenn Symptomen wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Bauchschmerzen, Gelbfärbung der Haut oder Sklera oder eine Schwarzfärbung des Urins auftreten, könne eine Untersuchung der Leberfunktion aber sinnvoll sein.
Die 2006 publizierte SPARCL-Studie schürte den Verdacht, dass Statine bei Patienten, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben, das Risiko für hämorrhagische Schlaganfälle erhöhen könnten. Diese Vermutung hat sich in nachfolgenden randomisierten Studien und Kohortenstudien nicht bestätigt.
„Bei Schlaganfall-Patienten ist keine Anpassung der Statin-Therapie indiziert“, lautet daher das klare Resümee der Experten. Sie weisen zudem darauf hin, dass Statine das Risiko für ischämische Schlaganfälle um 15% bis 35% pro mmol/L LDL-C-Senkung reduzieren.
Schließlich werden auch immer wieder Bedenken geäußert, dass Statine die Entwicklung eines Katarakts fördern könnten. Anlass für diese Mutmaßungen waren Daten aus Beobachtungsstudien und präklinischen Studien, die einen solchen Zusammenhang nahelegten, der sich in randomisierten Studien allerdings als haltlos erwiesen hat. Daher sei selbst bei Patienten, die bereits an einem Grauen Star erkrankt sind, keine Therapieanpassung erforderlich, betonen die Experten.
Ihr abschließendes Fazit lautet: „Statine sind bemerkenswert sicher.“ Der Nutzen der Therapie überwiege das Risiko für jegliche der aufgeführten potenziellen Nebeneffekte bei Weitem.
Mach F, Ray K, Wiklund O et al. Adverse effects of statin therapy: perception vs. the evidence – focus on glucose homeostasis, cognitive, renal and hepatic function, haemorrhagic stroke and cataract, European Heart Journal, , ehy182, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy182