„Tabak-Krieg“: Zigaretten-Industrie gegen Nikotin-Standard in den USA

 

Von Filtermodifikationen bis zu chemischen Zusätzen – in den USA bereitet sich die Tabakindustrie mit allen Mitteln auf eine mögliche Regulierung zur drastischen Senkung des Nikotingehalts vor. Wenn sich Politik und Wissenschaft nicht darauf einstellen, wird das Potenzial einer bedeutsamen Verbesserung der öffentlichen Gesundheit verschenkt. Prof. Ulrich Laufs, Universitätsklinikum Leipzig, kommentiert.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

Prof. Ulrich Laufs

Rubrikleiter Prävention

 

29.05.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Zerbor / Shutterstock.com

 

Die Food and Drug Administration (FDA) in den USA erwägt die Einführung eines Produktstandards, der den Nikotingehalt in Zigaretten auf ein sehr niedriges, möglichst nicht süchtig machendes Niveau reduzieren soll. Das Ziel ist es, Erkrankungen und Todesfälle durch das Rauchen deutlich zu senken, indem die Einstiegswahrscheinlichkeit und die Abhängigkeit verringert werden, während der Rauchstopp erleichtert wird.

 

El-Hellani et al. weisen in ihrem Beitrag "Reengineering Addiction" im The New England Journal of Medicine darauf hin, dass die Industrie in der Vergangenheit regulatorische Schlupflöcher auszunutzen wusste, um das Suchtpotenzial von Zigaretten und die damit verbundenen Unternehmensgewinne auf Kosten der öffentlichen Gesundheit aufrechtzuerhalten.1 Für eine wirkungsvolle Regulierung im Sinne des Gesundheitsschutzes sei es wichtig, mögliche Gegenstrategien der Tabakindustrie zu antizipieren. Im Beitrag werden verschiedene Reaktionsmöglichkeiten der Industrie bei Einführung einer Nikotinproduktnorm erläutert.

Mögliche Strategien der Tabakindustrie

 

Potenzielle Ansatzpunkte sind insbesondere die Veränderung von Nikotinabgabe, Nikotindarreichung und Nikotinwirkung. Dies könnte durch physische und chemische Anpassungen im Zigarettendesign erfolgen.

 

  • Nikotinplatzierung: Nikotin könnte in der Nähe des Mundstücks konzentriert werden, um die Nikotinabgabe zu optimieren.
  • Papiermodifikationen: Eine reduzierte Durchlässigkeit des Zigarettenpapiers könnte ebenfalls die Nikotinabgabe erhöhen. Auch die Verwendung von nikotinbeladenem Papier, z. B. aus homogenisierten Tabakblättern, sei denkbar. Dadurch würde aus einer Zigarette eine gefilterte Klein-Zigarre, die nicht unter den geplanten Nikotin-Standard fallen würde.
  • Filtermodifikationen: Die Industrie könnte Zigarettenfilter verwenden, die Nikotin nicht absorbieren oder die Filterventilation reduzieren. Filter könnten auch gekürzt, entfernt oder mit Nikotin angereichert werden.
  • Wirkungssteigernde Zusätze: Zusatzstoffe wie Ammoniak können die Bioverfügbarkeit von Nikotin erhöhen. Bronchodilatatoren wie Theobromin erleichtern eine tiefere Inhalation und fördern die Nikotinaufnahme. Andere Zusätze wie Lävulinsäure verstärken durch ihre Wirkung auf Acetylcholin-Rezeptoren im Gehirn die Belohnungseffekte von Nikotin. Auch Inhibitoren von Schlüsselenzymen, die am Abbau von Dopamin (Monoaminoxidase) und Nikotin (CYP2A6) beteiligt sind, könnten als Zusatzstoffe zur Kompensation eines geringeren Nikotingehalts dienen.
  • Nikotindarreichung: Nikotin könnte verkapselt oder polymerisiert hinzugefügt werden, was die Analyse durch herkömmliche Verfahren erschwert und eine gezieltere Freisetzung mit Höherdosierung ermöglichen könnte. Auch nicht regulierte Nikotinderivate, beispielsweise 6-Methylnikotin, mit ähnlicher Wirkung wie Nikotin könnten Verwendung finden.


El-Hellani et al. schlagen u. a. vor, die Wirkung von möglichen und auch bereits in Zigaretten enthaltenen Zusatzstoffen intensiver zu erforschen und Analyseverfahren zu verbessern. Sie sehen die Wissenschaft und Politik in der Pflicht, die möglichen Strategien der Industrie zu untersuchen und zu verhindern, damit die gesundheitlichen Vorteile einer Nikotin-Regulierung auch tatsächlich zum Tragen kommen.

Kommentar – Prof. Ulrich Laufs:

 

Bereits im Jahr 2006 haben Hammond et al. in ihrem lesenswerten Artikel im Lancet die gezielten Entwicklungsprogramme der Tabakindustrie zur Täuschung der Konsumentinnen und Konsumenten über die Nikotin-Aufnahme aufgearbeitet.2 Das dokumentierte Ziel der Forschungsprogramme der Zigaretten-Hersteller war es, möglichst geringe Nikotin- und Schadstoffkonzentrationen auf den Packungen anzugeben, aber gleichzeitig den Rauchenden möglichst viel Nikotin pro Zug zuzuführen. Wie ein (schlechter) Krimi lesen sich seit Jahrzehnten die Anstrengungen der Zigaretten-Industrie durch das Design (Art des Papiers, Art der Tabak-Produktion und -Füllung) in den maschinellen Tests der regulatorischen Behörden möglichst niedrige Werte für Schadstoffe und Nikotin zu erzielen und gleichzeitig zu erreichen, dass die Konsumierenden viel größere Nikotin-Mengen als angegeben aufnehmen.

Zunahme von Zigarettenrauchen, insbesondere bei Jugendlichen

 

Im Jahr 2022 ist es zu einer erheblichen Zunahme des Konsums von Tabak und E-Zigaretten in Deutschland gekommen. Diese Erkenntnisse beruhen auf den Daten der DEBRA-Studie (Deutsche Befragung zum Rauchverhalten), einer repräsentativen Befragung der Universität Düsseldorf.3 Bemerkenswert ist insbesondere die Verdoppelung des Anteils der Tabakraucherinnen und -raucher unter den 14- bis 17-Jährigen von 8,7 % auf 15,9 %. Der Raucheranteil in der deutschen Gesamtbevölkerung beträgt 35,5 %. 400.000 Minderjährige in Deutschland rauchen Zigaretten, obwohl die Abgabe an diese Personengruppe verboten ist. Gleichzeitig ist die Prävalenz von Rauchstopp-Versuchen in Deutschland von 33,9 % im Jahr 2016 auf aktuell nur noch 8,0 % Ende 2022 zurückgegangen.

Welche politischen Maßnahmen reduzieren Zigarettenrauchen?

 

In Neuseeland rauchen nur 8 % der Bevölkerung täglich4 – im Vergleich zu 35,5 % in Deutschland. Daran hat möglicherweise der Preis einen Anteil; so kostet eine Schachtel Zigaretten in Neuseeland über 20 Euro. In Neuseeland wird sogar diskutiert, diese im internationalen Vergleich bereits sehr niedrige Raucher-Quote durch drastische Maßnahmen noch weiter zu senken. Vorgeschlagen wurden u. a. ein grundsätzliches Verkaufsverbot für Tabak an alle Personen, die nach dem 1. Januar 2009 geboren wurden, eine Reduktion von lizenzierten Tabakverkaufsstellen um den Faktor 10 und die Absenkung des Nikotingehaltes von 15 auf 0,7 mg pro Zigarette, d. h. unter die Schwelle des Suchtpotentials.

Zur Person

Prof. Ulrich Laufs

Prof. Ulrich Laufs ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig. Zu seinen Schwerpunkten gehören u. a. kardiovaskuläre Prävention und Lipoprotein-Stoffwechselstörungen. Im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) vertritt er den Bereich der Universitätskliniken.

Warum zögert die Politik?

 

Wirksame politische Maßnahmen zur Reduktion des gesundheitsschädlichen Nikotinkonsums sind also bekannt. Woran könnte die Umsetzung hängen? Hier ist folgende Information relevant: im Jahr 2022 nahm der Fiskus rund 14,2 Milliarden Euro durch die Tabaksteuer ein.5

Fazit

 

Rauchen ist das Gesundheitsrisiko Nummer 1. Die Zunahme des Zigarettenrauchens in Deutschland ist alarmierend, insbesondere bei Jugendlichen. Studien zeigen, dass ein unermüdliches kurzes Ansprechen von Rauchenden durch Ärztinnen und Ärzte die Wahrscheinlichkeit für einen Nikotinstopp erhöht. Um ein Vielfaches wirksamer als alle anderen Strategien sind jedoch politische Maßnahmen, wie in Neuseeland bereits umgesetzt. Andere Länder sind offensichtlich bereit, zugunsten der Gesundheit der Bevölkerung auf die in Deutschland prävalente Finanzierung von politischen Parteien durch Zigarettenhersteller und die Steuereinnahmen zu verzichten und den Anstrengungen der Zigaretten-Industrie etwas entgegenzusetzen.


Referenzen

 

  1. El-Hellani A, Wagener TL, Brinkman MC. Reengineering Addiction - The Tobacco Industry's Potential Response to a Nicotine Standard for Cigarettes. N Engl J Med. 2024 May 9;390(18):1639-1641. doi: 10.1056/NEJMp2314800.
  2. Hammond D, Collishaw NE, Callard C. Secret science: tobacco industry research on smoking behaviour and cigarette toxicity. Lancet. 2006 Mar 4;367(9512):781-7. doi: 10.1016/S0140-6736(06)68077-X. PMID: 16517278.
  3. Deutsche Befragung zum Rauchverhalten (DEBRA) Studie. URL: https://www.debra-study.info; letzter Zugriff: 25.05.2024.
  4. DER SPIEGEL (online). Neuseeland verbietet Verkauf von Zigaretten – an künftige Generationen. URL: https://www.spiegel.de/ausland/neuseeland-verkauf-von-zigaretten-an-kuenftige-generationen-verboten-a-05a5c193-2be5-45de-8c17-0bd9d89e6188; 13.12.2022.
  5. Statista. Steuereinnahmen aus der Tabaksteuer in Deutschland von 2009 bis 2022. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37837/umfrage/einnahmen-aus-der-tabaksteuer-in-deutschland; letzter Zugriff: 25.05.2024.

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