Kann eine Ersthelfer-App die Überlebensrate um 50 % steigern?

 

Ein Ersthelferalarmierungssystem soll helfen, bei außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand schneller die Reanimation einzuleiten und die niedrige Überlebensrate von nur etwa 10 % zu erhöhen. Am 1. Januar startete eine 8-monatige Testphase des App-basierten Systems „Region der Lebensretter“ im Rahmen der HEROES-Studie in 11 verschiedenen Regionen. Die Deutsche Herzstiftung unterstützt das Projekt. Der Vorstandsvorsitzende Prof. Thomas Voigtländer im Interview.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

05.02.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Thx4Stock team / Shutterstock.com

HERZMEDIZIN: Warum braucht es ein Alarmierungssystem für Ersthelfende in Deutschland?


Voigtländer: Die Zahl plötzlicher Herztode beträgt in Deutschland jährlich rund 65.000 Fälle oder mehr. Oft liegt das Problem in der niedrigen Laienreanimationsquote hierzulande von nur 51 % sowie in der Zeitspanne bis zum Eintreffen der Rettungskräfte – in der Regel 8 Minuten und mehr. Das ist häufig zu lang, denn jede Minute ohne Reanimation verringert die Überlebenschancen deutlich. Durch ein Ersthelferalarmierungssystem kann dieses reanimationsfreie Intervall verkürzt werden. Hier setzt die App „Region der Lebensretter“ an.


Mittels App werden qualifizierte Ersthelferinnen und Ersthelfer benachrichtigt, die sich in der Nähe des Notfalls befinden und innerhalb kürzester Zeit am Einsatzort sein können. So wird die Zeit überbrückt, bis professionelle Rettungskräfte eintreffen.


HERZMEDIZIN: Inwiefern ist die Deutsche Herzstiftung an „Region der Lebensretter“ beteiligt?


Voigtländer: Für die Deutsche Herzstiftung ist Reanimation ein ganz großes, ganz wichtiges Thema. So haben wir in Hessen bei der Einführung eines verpflichtenden Reanimationsunterrichts mitgewirkt und sind dazu auch mit Nordrhein-Westfalen im Gespräch. Die Unterstützung der Lebensretter-App lag daher für uns nahe. Wir fördern das Projekt finanziell und stärken die öffentliche Wahrnehmung für das Thema.

Zur Person

Prof. Thomas Voigtländer

Prof. Thomas Voigtländer ist Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien Krankenhauses und Mitglied im Cardioangiologischen Centrum Bethanien (CCB) in Frankfurt a. M. Zu seinen Schwerpunkten zählen u. a. die interventionelle Kardiologie und die nichtinvasive Bildgebung. Seit 2021 ist er Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, dem Vorstand gehört er seit mehr als 10 Jahren an.

HERZMEDIZIN: Wie genau funktioniert die Ersthelfer-App?


Voigtländer: Die App ist in vielen Regionen in bestehende Rettungsleitsysteme integriert. Sobald ein Notruf über die 112 eingeht, wird das System bei Verdacht auf Herz-Kreislauf-Stillstand (Einsatzstichwörter „bewusstlos“ und „Reanimation“) automatisch aktiv, außer es wird durch die Leitstelle unterbunden. So werden im Verdachtsfall registrierte Helferinnen und Helfer im nahen Umkreis des Notfalls benachrichtigt und ihnen bei Verfügbarkeit und je nach berechneter Ankunftszeit automatisch Aufgaben zugeteilt. Idealerweise stehen 4 Ersthelfende zur Verfügung: 2 Personen leitet die App zum Notfallort für die Reanimation, 1 Person leitet die App mittels „DEFI-Map“ zum nächstgelegenen öffentlichen Defibrillator (AED) und 1 Person weist am Notfallort den Rettungsdienst ein und betreut ggf. die Angehörigen.

HEROES-Studie zur Mortalität bei außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand

 

HERZMEDIZIN: Welchen konkreten Nutzen verspricht die App?


Voigtländer: Das wird aktuell durch einen Vorher-Nachher-Vergleich in 11 Testregionen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen im Rahmen der HEROES-Studie untersucht: 8 Monate lang vor der Einführung des Systems vs. 8 Monate nach der System-Einführung am 01.01.2025.1 Die Studie wird von Dr. Jan-Steffen Pooth vom Uniklinikum Freiburg unter Leitung von Prof. Michael Patrick Müller, St. Josefskrankenhaus Freiburg, koordiniert. Das Forschungsteam hält eine Steigerung der Überlebensrate um 50 % für realistisch: von aktuell 10–11 % bei außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillsand auf 14–15 %.


Eine bereits durchgeführte Studie in der Region Freiburg zu „Region der Lebensretter“ zeigt eine Einsatzübernahmequote von 63 % über die App. Die mediane Eintreffzeit betrug knapp unter 4 Minuten und in 68 % der Fälle trafen die Helfenden vor dem Rettungsdienst ein.2

Notfallmediziner Dr. Jan-Steffen Pooth im Gespräch mit Notärztin Notfallmediziner Dr. Jan-Steffen Pooth im Gespräch mit einer Notärztin am Zentrum für Notfall- und Rettungsmedizin des Universitäts-Notfallzentrums, Uniklinikum Freiburg. (Bildquelle: DHS/Manuel Gerlach)

HERZMEDIZIN: Wie geht es nach der Testphase im September weiter?


Voigtländer: Nach dem 8-monatigen Test werden die Ergebnisse ausgewertet und mit dem Kontrollzeitraum von Januar bis August des Vorjahres hinsichtlich Überlebensrate verglichen, als das System noch nicht implementiert war. „Region der Lebensretter“ ist grundsätzlich als regionenübergreifendes Ersthelfersystem für den bundesweiten Betrieb ausgelegt und kann in der Breite helfen, ein dichtes Netzwerk von Ersthelfenden aufzubauen. Bislang gibt es in Deutschland auch keine einheitliche Lösung, sondern viele verschiedene regionale Anbieter.


HERZMEDIZIN: Können Kardiologinnen und Kardiologen jetzt und in Zukunft unterstützen?


Voigtländer: Das Projekt „Region der Lebensretter“ wird mit großem Engagement betrieben und in den letzten Monaten haben sich über 13.700 neue Ersthelferinnen und Ersthelfer in der App registriert, insgesamt sind es bereits über 25.000 Personen.3 Wir freuen uns von kardiologischer Seite über die Deutsche Herzstiftung zu unterstützen und sehen großes Potenzial für eine Verbesserung in der Notfallrettung. Kardiologinnen und Kardiologen können generell für die Themen Laienreanimation und Ersthelferalarmierung sensibilisieren und selbst aktiv werden.

 

 

Auch über die Testregionen der HEROES-Studie hinaus, sind weitere Leitstellenbereiche an das System angeschlossen. Hier ist eine aktuelle Übersicht.


Hier finden sich der App-Download und Infos zum Mitmachen bei „Region der Lebensretter“.


Referenzen

 

  1. Müller MP, Ganter J, Busch HJ, et al. Out-of-Hospital cardiac arrest & SmartphonE RespOndErS trial (HEROES Trial): Methodology and study protocol of a pre-post-design trial of the effect of implementing a smartphone alerting system on survival in out-of-hospital cardiac arrest. Resusc Plus. 2024;17:100564. Published 2024 Feb 1. doi:10.1016/j.resplu.2024.100564
  2. Ganter, J., Busch, HJ., Trummer, G. et al. Von der Smartphone-basierten Ersthelferalarmierung zum „lebensrettenden System“. Notfall Rettungsmed (2024). https://doi.org/10.1007/s10049-024-01395-2
  3. Region der Lebensretter. URL: https://regionderlebensretter.de/

Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Diese Seite teilen