Laudatio zum 90. Geburtstag von Prof. Wolfgang Schaper

 

Am 11. Januar feiert Prof. Dr. med. Dr. h.c. Wolfgang Schaper seinen 90. Geburtstag. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) mit ihrem Präsidenten Prof. Dr. Holger Thiele (Leipzig) versammelt sich, um ihn zu diesem Anlass zu beglückwünschen – man könnte sich das so vorstellen: Die DGK-Mitglieder erheben sich im gut besetzten Eisstadion der Stadt Bad Nauheim (gleich hinter dem Kerckhoff-Institut, dem Gründungsort der DGK) und singen den vierstimmigen Kanon „Viel Glück und viel Segen“ (W. Gneist 1898–1980), verbunden mit Hochachtung und Dankbarkeit. Bei offenem Fenster könnte er den Gesang in seiner Residenz hören. Oder besser noch: Wie man ihn kennt, wäre er gern vor Ort und würde sich bedanken …

Von:

Prof. Martin Gottwik

 

09.01.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Kerdkanno / Shutterstock.com

Wolfgang Schaper – Werdegang

 

Seine Jugend, Schulbildung und Abitur erfolgte in Oschersleben (Sachsen-Anhalt), sein anschließendes Medizinstudium in Halle/Saale, mit Abschluss 1957. Er wuchs in einer Arztfamilie auf, unter den Vorgaben, welche nach dem Kriegsende 1945 in der DDR (Deutsche Demokratische Republik) galten. 1960 entschloss er sich in Anbetracht der zunehmenden, politisch verordneten, sozialen und akademischen Enge, mit seiner jungen Familie in die BRD (Bundesrepublik Deutschland) überzusiedeln. Er wählte eine Position als Leiter eines Forschungslabors der Janssen Foundation in Beerse/Belgien, wo er über 12 Jahre zur Arteriogenese, auch mit Fokus auf die Ischämietoleranz des Herzmuskels, forschte.

 

Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt blieb von diesen Anfängen bis zu seiner Emeritierung als Direktor des Max-Planck-Institutes die Vaskuläre Biologie. Von Beerse aus habilitierte er sich 1967 an der Universität Leuven, Belgien. Auf seinem Forschungsgebiet erlangte er, abseits des deutschen akademischen Mainstreams, eine beachtliche internationale Anerkennung, welche auch in Deutschland nicht zu übersehen war. Dies hatte zur Folge, dass er 1971 den Ruf an das „Max-Planck-Institut für Physiologische und Klinische Forschung“ in Bad Nauheim erhielt. Die Position als Projektleiter des Max-Planck-Institutes für Vaskuläre Biologie am William G. Kerckhoff-Institut für Herz-Kreislauf-Forschung behielt er von 1972 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005. Der wissenschaftliche Schwerpunkt des Institutes, die Vaskuläre Biologie, fand ihren Niederschlag in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, welche unter seinem Namen erschienen sind: Dazu gehören 4 Monographien, 20 Buchbeiträge und 412 Originalarbeiten. Die Anbindung dieser Position an die benachbarte Justus-Liebig-Universität in Gießen war durch eine APL-Professur an der Medizinischen Fakultät am Lehrstuhl für Physiologie gewährleistet.

Der Weg zur Transformation der DGK

 

Seit ihrer Gründung im Jahr 1927 war die Geschäftsführung der Gesellschaft am William G. Kerckhoff-Institut in Bad Nauheim angesiedelt. W. Schaper übernahm die Geschäftsführung der DGK als Ehrenamt für die Jahre 1976–1989. Diese Position führte zu weiteren Funktionen in der DGK, als Präsident 1994–1996, sowie Aufgaben im Rahmen der ESC (Europäischen Gesellschaft für Kardiologie) und/oder anderen Fachgesellschaften.

 

1975 wurde W. Schaper nach Emeritierung seines Vorgängers Prof. Dr. Rudolf Thauer zum Geschäftsführer der DGK gewählt und hielt diese Stellung im Ehrenamt bis 1989. Die DGK hatte Anfang der Siebziger Jahre noch das Format einer klassischen, kleinen, elitären wissenschaftlichen Gesellschaft, deren Protagonisten ihre Rollen in der Grundlagenforschung und der Pathophysiologie spielten. Die deutsche kardiovaskuläre Medizin litt an den Spätfolgen der Personalverluste im Wissenschaftsbereich vor und während des 2. Weltkrieges (1939–1945), bedingt durch Vertreibung, rassistische Verfolgung und direkte Kriegseinwirkung auf Menschen und Institutionen. Die vor dem Krieg weltweit sichtbaren Leuchttürme der Wissenschaft, wie das Carl-Ludwig-Institut in Leipzig, waren erloschen. Die alte Garde der Wissenschaftler und Institutsvorstände, welchen eine persönliche Beteiligung an Verbrechen nicht nachgewiesen worden war, genoss weiter die Privilegien in ihren Positionen als deutsche Beamte und verabschiedete sich zusehends in den „wohlverdienten Ruhestand“. Was blieb, war eine wenig enthusiastische, unkoordinierte Wissenschaftsadministration auf Landesebene, in welcher jede Universität sich um das eigene Überleben sorgen musste.

 

Die Avantgarde war in Deutschland ausgelöscht und in Europa schwer beschädigt worden. Die wissenschaftliche Elite versammelte sich in den USA, welche sich nicht zuletzt als Folge dieses „Brain Drain unter Zwang“ in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts zum neuen Mekka der Medizinischen Wissenschaften entwickelten. Junge, aktive Wissenschaftler aus aller Welt zog es dorthin, um zu lernen. Bald wurde „IAG“ (in Amerika gewesen) zu einem erkennbaren Beschleuniger einer medizinisch-wissenschaftlichen Karriere auch in Deutschland. Die kompetenten jungen Deutschen genossen in den USA das einladende, demokratische, liberale, anspruchsvolle und vor allem unvoreingenommene Entgegenkommen ihrer neuen Lehrherren, verbunden mit deren Verständnis von qualitativ hochwertiger, ehrlicher wissenschaftlicher Arbeit, welches an vielen amerikanischen Institutionen damals vorherrschte.

 

Die Befreiung aus den Zwängen des überregulierten und überkontrollierten Lebens an der deutschen Universität führte bei vielen jungen Wissenschaftlern dort zum Aufblühen ihrer Fähigkeiten und verschaffte den deutschen „Post-Docs“ (promovierte wissenschaftliche Mitarbeiter mit Stipendium oder Zeitvertrag) als Gruppe einen guten Ruf. Wenn sie zurückkamen ins deutsche Wissenschaftssystem waren sie nicht mehr dieselben. Änderungen und Beschleunigung aller Entscheidungen und Verfahren im deutschen Wissenschaftsbetrieb wurden dringend notwendig. Transparenz und Sicherung der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit, im internationalen Wettbewerb um die beste Antwort auf relevante wissenschaftliche Fragen, wurden unerlässlich als Grundlage einer Zukunftssicherung im modernen Europa.


Dies etwa beschreibt die Situation in welcher W. Schaper 1972 die Leitung des Kerckhoff-Instituts übernahm und 1976 zusätzlich die Geschäftsführung der DGK. Er selbst war unbelastet. Bis zu seinem 11. Jahr erlebte er den Spuk des Nationalsozialismus, welcher dann vorbei war, bzw. abgelöst wurde vom „Real Existierenden Sozialismus“ deutscher Prägung, in der damaligen SBZ (Sowjetische Besatzungszone). Letzterem konnte er sich entziehen durch Umsiedlung in den Westen, die spätere BRD (Bundesrepublik Deutschland).


Nach einer wohl missglückten sozialen Prägung in akademischen Institutionen, welche den vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen des von der Sowjetunion besetzten Teiles Deutschlands entsprachen, wollte er es offensichtlich wissen, indem er eine Stelle in der europäischen Pharmaindustrie in Belgien antrat, sozusagen mitten in einem Think-Tank, welcher nach allen Prinzipien des Kapitalismus ausgestattet war. Das bedeutete große Freiheit, im Vergleich zu staatlichen Einrichtungen, mit nahezu unbegrenzten Finanzierungsmöglichkeiten für wissenschaftliche Projekte, welche eine kommerzielle Nutzung in absehbarer Zeit versprachen. Der Preis dafür war eine gnadenlose Kosten-Nutzen-Rechnung, der im Zweifelsfall alles untergeordnet wurde, als erstes die „Reine Wissenschaft“.

 

Ganz anders waren damals die Abläufe an traditionellen deutschen universitären Institutionen, welche grundgesetzlich geschützt waren (GG Art. 5.3.1), in ihrer staatlich finanzierten, garantierten „Freiheit der Wissenschaft“. Diese im Prinzip wunderbare Einrichtung war gelegentlich förderlich für wissenschaftliche „Seefahrten ohne Kompass“, wobei die verantwortlichen Steuerleute dabei kaum aufzufallen schienen, außer wenn das an sich knappe Budget am Ende des Rechnungsjahres nicht aufgebraucht war. Die Unterweisung und Unterstützung junger Mitarbeiter in der Beschaffung von Drittmitteln z. B. durch die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft), war damals an deutschen Universitäten, im Gegensatz zu den USA, nicht üblich. Die Industrieforschung wurde im akademischen Milieu häufig als nachrangig eingestuft und dabei wurde übersehen, dass über 80 % der zielführenden Forschungsleistungen (inklusive Nobelpreise in den Naturwissenschaften) genau dort erarbeitet wurden.

 

Nach 12 Jahren Industrieforschung hatte W. Schaper die „Facts of Life“, welche an dieser Stelle auch als Kosten-Nutzen-Rechnung bezeichnet werden können, gelernt und wohl verstaut in seinem Gepäck. Er wurde sich sicher bewusst im Verlauf der nächsten 33 Jahre, dass es Glück bedeutete, an ein MPI (Max-Planck-Institut) berufen worden zu sein und nicht an eine universitäre deutsche Fakultät.

Geschäftsführer in der DGK: W. Schapers Rolle in der Reorganisation

 

W. Schaper war ein Glücksfall für diese Position: Er war unbelastet, er hatte in der Industrie eine Schule durchlaufen, in welcher nicht nur die besten Ideen gefragt sind, sondern nur solche, die auf dem Weltmarkt bestehen können. Diese Schule war nicht in Deutschland, sondern in Belgien, einem kleinen Land, welches sich grundsätzlich mit Nachbarn messen und immer an denen orientieren musste, welche erfolgreich waren, was a priori große Leistungsbereitschaft, Offenheit und Flexibilität voraussetzte.


Der wissenschaftliche Nachweis als Beleg der Wahrheit im Sinne der Aufklärung galt als Ziel. Die Wahrheit hieß Evidence. Die Lehrmeinung hatte ausgedient. Die Behinderung durch akademische Hierarchien, Zeitvorgaben und Formalitäten mussten in den Hintergrund treten. Die globale Wissenschaftssprache war Englisch, Deutsch hatte seit 1933 ausgedient, das musste sich in der DGK noch herumsprechen. W. Schaper war totaler Quereinsteiger, auch in die akademische Welt der DGK, aber er wusste, wie es geht: Bei der Beurteilung einer wissenschaftlichen Arbeit sollte die Leistung beurteilt werden und nicht der Name der Institution. Die Anonymisierung vorgelegter Arbeiten zur Begutachtung für das Kongressprogramm der DGK war eine hohe Hürde, welche gegen großen Widerstand der etablierten hierarchisch geprägten akademischen Ordnungshüter überwunden werden musste. Zur Motivation für weitere Anstrengungen sollten anstatt der Vorgesetzten diejenigen die Ergebnisse vortragen, welche die Arbeiten ausgeführt und geschrieben hatten, weil sie wussten, von was sie redeten. Die Leistungsträger in unseren wissenschaftlichen Instituten sollten auf diese Weise fit gemacht werden, damit sie auf den internationalen Veranstaltungen auftreten und den Anschluss an den Rest der Welt finden konnten.


W. Schaper war überzeugt von der wissenschaftlichen Organisation der AHA (American Heart Association) und deren Kongressen. Er versuchte manche Abläufe der DGK-Jahreskongresse an dieses Format anzugleichen, wieder um den Leistungsträgern unserer Gesellschaft eine Plattform zur Vorbereitung für die internationale Bühne zu schaffen.


Es war auffällig, dass W. Schaper bei seinen Anstrengungen um Transparenz und Qualität potente Verbündete in den Universitäts-kliniken fand, welche damals vielleicht näher an der Realität waren als manche ihrer Kollegen im Elfenbeinturm. Die Namen der Professoren F. Loogen, W. Kübler und H. Just sollten hier für die Nachwelt erwähnt werden. Außerdem war es dringend erforderlich leistungsstarke junge Wissenschaftler, welche das Rückgrat der DGK im internationalen Wettbewerb bedeuten, in die Planungs- und Entscheidungsgremien einzubeziehen, um jenen auch auf diesem Weg den Zugang in die EU-Gremien zu ebnen. (Es hatte sich am Anfang der Ära Schaper in der DGK noch nicht überall herumgesprochen, dass die Entfernung aller wissenschaftlichen Höchstleistungen, welche von Männern im Alter über 40 Jahre erbracht worden waren, keinen wesentlichen Verlust bedeutet hätten.) Alles zusammen schaffte allerhand Unruhe, führte aber zu einem guten Ende.


Das Erste, was bewältigt werden musste, war die Expansion: Über 13 Jahre wuchs die Gesellschaft von < 1000 auf > 4000 Mitglieder, die Zahl der Präsentationen beim Jahreskongress von < 70 auf > 600. Die Jahreskongresse nahmen, nicht nur in der Größe, internationales Format an. Englische Präsentationen wurden akzeptiert. Die Frühjahrstagungen mussten heraus aus der Enge von Bad Nauheim und wurden 1983 unter der Präsidentschaft von Prof. Dr. G. Rieker (München) in das Kongresszentrum Rosengarten der Stadt Mannheim verlagert, welches diese Tagung in ihrem Terminkalender als „Flaggschiff“ betrachtete und dementsprechend unterstützte. Das Raumangebot und die professionelle Betreuung dort förderte eine zunehmend breite Akzeptanz dieses Standorts bei den aktiven Kongressteilnehmern und den Gästen. W. Schaper unterstützte eine seriöse Außendarstellung der DGK durch Pressekonferenzen und TV-Interviews während der Kongresse, welche von Prof. E. Fleck (Berlin) als ehrenamtlicher Pressesprecher der DGK auf einem sehr hohem Niveau orchestriert wurden und sehr bald selbst in der FAZ ein Echo hervorriefen. Die DGK war als vollwertiges Mitglied der kardiologischen Gesellschaften in der EU angekommen, spätestens beim Jahreskongress der ESC 1985 in Düsseldorf.


Die Geschäftsführung im Ehrenamt war 1989 mit 1 1/2 Sekretärinnen als Unterstützung nicht mehr zu bewältigen. W. Schaper bat den Vorstand der DGK um seine Entlassung. Sein Nachfolger wurde der erste hauptamtliche Geschäftsführer der DGK. Prof. Dr. Gunter Arnold in Düsseldorf übernahm das Amt nach seiner Emeritierung als Ordinarius für experimentelle Chirurgie und Direktor des Universitätsklinikums Düsseldorf. Damit wurde die DGK 62 Jahre nach ihrer Gründung vom Kerckhoff-Institut getrennt. Prof. Arnold übernahm ein bestelltes Feld, brachte es zum Blühen, machte eine Firma daraus und eine Marke, welche weltweit Beachtung findet, ohne dabei das Vermächtnis aus W. Schapers DGK zu schmälern, nämlich die Verpflichtung, dass die DGK für die Herz- und Kreislaufforschung gegründet worden war und als solche in der heutigen Welt, nun bald im Alter von 100 Jahren, eine Zukunft haben muss. Ein guter Indikator für das Gelingen könnte sein, dass die DGK jährlich mehr als € 700 000 für Forschungsstipendien und Forschungspreise an vorwiegend junge Wissenschaftler ausschüttet.

Danksagung

 

In Zusammenfassung: Großer Dank und große Hochachtung gehört Prof. Dr. med. Dr. h.c. Wolfgang Schaper von allen, welche bei ihm gelernt und mit ihm gearbeitet haben; zusätzlich von denen, welche als Mitglieder der DGK von den Ergebnissen seiner Weitsicht und seiner Einsätze für die Gesellschaft profitiert haben. Das betrifft alle in der DGK, momentan liegt die Zahl bei rund 12 000 Mitgliedern.


Referenzen

 

  • Nachweise über nationale und internationale Ehrungen und Auszeichnungen im Detail: s. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • Nachweise über Wissenschaftliche Arbeit im Detail: s. Science Citation Index (SCI)

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