Nobelpreis für Medizin 2024: Bedeutung der microRNAs in der kardiovaskulären Medizin

 

Der kürzlich vergebene Nobelpreis in Medizin für die Entdeckung der microRNAs (miRNA) an die beiden Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun hat auch eine besondere Bedeutung für das Verständnis der molekularen Mechanismen, die kardiovaskulären Erkrankungen zugrunde liegen.

Von:

PD Dr. Jes-N­­iels Boeckel

Universitätsklinikum Leipzig

 

09.10.2024

 

Bildquelle (Bild oben): ART-ur/Shutterstock.com

Ein großer Teil der im Körper hergestellten RNA kodiert nicht für Proteine. Diese RNAs werden als nicht-kodierende (non-coding) RNAs bezeichnet. Man unterteilt sie nach ihrer Größe und Form in die geläufigsten Typen: lange (long non-coding) lncRNAs, kreisförmige (circular ) circRNAs und kurze miRNAs. Victor Ambros und Gary Ruvkun haben wesentlich zum Verständnis beigetragen, dass Non-coding RNAs (ncRNAs) eine entscheidende Rolle in zahlreichen biologischen Prozessen während normaler physiologischer Abläufe spielen. Diese nicht-kodierenden RNAs regulieren die Genexpression und Chromatin-Modifikation und sind entscheidend für Zellproliferation, Differenzierung sowie die Aufrechterhaltung des Zellgleichgewichts. miRNAs wirken, indem sie größere Signalwege regulieren und oft mehrere Zielmoleküle (Targets) in einem spezifischen Bereich beeinflussen. Dadurch können sie komplexe biologische Abläufe effektiv steuern und eine Vielzahl von Prozessen gleichzeitig modulieren.

Die Erforschung der miRNA in kardiovaskulären Erkrankungen steht nun kurz vor ihrem zwanzigjährigen Jubiläum. Viele Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), wie Stefanie Dimmeler, Thomas Thum und Christian Weber, sowie zahlreiche weitere deutsche und internationale Forschende, darunter Eric Olson und insbesondere Deepak Srivastava, haben als erste sowohl international als auch national wichtige Publikationen zu den Mechanismen rund um miRNAs, insbesondere zur Entwicklung des Herzens, zu physiologischen kardiovaskulären Prozessen sowie zu Vorgängen in kardiovaskulären Erkrankungen, veröffentlicht.1–5

Fortschritte und Zukunft miRNA-basierter Ansätze

 

Diese frühen Studien und die darauffolgenden Arbeiten haben gezeigt, dass miRNAs nicht nur als Marker, sondern auch als funktionelle Akteure in kardiovaskulären Erkrankungen eine bedeutende Rolle spielen. miRNA-basierte Therapien könnten zukünftig eine wichtige Rolle in der Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen spielen, so haben in den letzten Jahren einige dieser miRNA-Therapien den Sprung in fortgeschrittene klinische Studien geschafft, mit vielversprechenden Ergebnissen. miRNA-Mimetika und Antagomire, die gezielt bestimmte genetische Mechanismen beeinflussen, wurden in Phase-I- und Phase-II-Studien an Patientinnen und Patienten getestet, mit positiven Resultaten, wie eine Verbesserung der Herzfunktion und eine spürbare Reduktion der Symptome.

 

Die Therapie mit dem synthetischen Antisense-Oligonukleotid CDR132L, entwickelt von Thomas Thum und Kollegen, zielt darauf ab, die abnormale Spiegel des MikroRNA-Moleküls miR-132 zu blockieren und so langfristige kardiale Verbesserungen zu erzielen. In einer Phase-1b-Studie, veröffentlicht im European Heart Journal, wurde die Sicherheit und Verträglichkeit von CDR132L nachgewiesen sowie eine signifikante Verbesserung der Herzfunktion bei Menschen mit Herzinsuffizienz im Vergleich zur Placebo-Gruppe festgestellt. Derzeit wird CDR132L in der Phase-2-Studie HF-REVERT an 280 Menschen mit Herzinsuffizienz mit geschwächter Pumpleistung untersucht, wobei der erste Patient im Juli 2022 eingeschlossen wurde, während andere Programme wie RG-012 zur Behandlung der Alport-Syndrom-bedingten Nierenerkrankung ebenfalls große Fortschritte gemacht haben.

 

Diese Entwicklungen zeigen, dass wir möglicherweise an der Schwelle zu einer neuen Ära stehen, in der miRNAs eine zentrale Rolle sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen spielen könnten. Diese Fortschritte sind nicht nur vielversprechend, sie unterstreichen das bedeutende Potenzial, das miRNA-basierte Therapien für die zukünftige Medizin bieten könnten.

Zum Autor

PD Dr. Jes-Niels Boeckel

PD Dr. Jes-Niels Boeckel ist an der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig tätig. Er ist Gruppenleiter „Non-Coding RNAs in Cardiovascular Diseases". Sein Forschungsinteresse gilt einem besseren Verständnis von Prozessen vermittelt durch non-coding RNA zur Entwicklung innovativer Therapiekonzepte.


Referenzen

 

  1. Bauersachs J, Thum T. MicroRNAs in the broken heart. Eur J Clin Invest. 2007;37:829–833.
  2. Kuehbacher A, Urbich C, Zeiher AM, Dimmeler S. Role of Dicer and Drosha for Endothelial MicroRNA Expression and Angiogenesis. Circ Res. 2007;101:59–68.
  3. Zernecke A, Bidzhekov K, Noels H, Shagdarsuren E, Gan L, Denecke B, Hristov M, Köppel T, Jahantigh MN, Lutgens E, Wang S, Olson EN, Schober A, Weber C. Delivery of MicroRNA-126 by Apoptotic Bodies Induces CXCL12-Dependent Vascular Protection. Sci Signal. 2009;2.
  4. van Rooij E, Sutherland LB, Liu N, Williams AH, McAnally J, Gerard RD, Richardson JA, Olson EN. A signature pattern of stress-responsive microRNAs that can evoke cardiac hypertrophy and heart failure. Proc Natl Acad Sci. 2006;103:18255–18260.
  5. Zhao Y, Samal E, Srivastava D. Serum response factor regulates a muscle-specific microRNA that targets Hand2 during cardiogenesis. Nature. 2005;436:214–220.

Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Neue ESC-Leitlinie 2024: Hypertonie

ESC-Kongress 2024 | Guidelines: Die neue ESC-Leitlinie Hypertonie führt einen niedrigeren Zielblutdruck und die Kategorie erhöhter Blutdruck ein. Kommentiert von Prof. M. Halbach.

Studien kompakt: 16.10.2024

Überblick zu aktuellen Studien u. a. zu Lp(a)-Spiegel, Holiday Heart Syndrom, Demenzrisiko durch Herzerkrankungen, intensive Lipidsenkung und neue Risikomarker

SCOFF: Nüchternheit nicht nötig vor minimalinvasiven Herzeingriffen

ESC-Kongress 2024 | SCOFF: Das Fasten vor Herzkatheteruntersuchungen brachte keine Vorteile. Können die Nüchterheitsregeln jetzt abgeschafft werden? Kommentiert von Prof. F. Kahles.

Laden, bitte warten.
Diese Seite teilen