Gesundes-Herz-Gesetz im Bundestag

 

Der Bundestag beriet am Mittwoch, 6. November, in einer ersten Lesung zum Entwurf des Gesundes-Herz-Gesetzes (GHG). In der Debatte bezogen die Vertretenden der Fraktionen Stellung zum Entwurf. Anfang Oktober hatten die Nationale Herz-Allianz (NHA) und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) bereits einen Faktencheck zum GHG veröffentlicht, in dem sie sich für das Gesetz aussprachen. Ein Abgleich wichtiger Diskussionspunkte.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

08.11.2024

 

Bildquelle (Bild oben): K-i-T / Shutterstock.com

Die Debatte eröffnete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und legte die Gründe für das Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) dar, mit dem kardiovaskuläre Risikofaktoren möglichst früh erkannt und bekämpft werden sollen. Obwohl im westeuropäischen Vergleich die Gesundheitsausgaben die höchsten sind, haben Deutsche die niedrigste Lebenserwartung (im Mittel 1,7 Jahre geringer). Als Hauptgrund gilt eine unzureichende kardiovaskuläre Prävention.


In ihrem Faktencheck ergänzen die Nationale Herz-Allianz (NHA) und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), dass Deutschland im europäischen Vergleich mit die höchsten Prävalenzen aufweist für vermeidbare Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, Adipositas, Diabetes mellitus und Hypercholesterinämie.

FH-Screenings und Herz-Check-ups

 

Lauterbach verwies in seiner Rede auf eine aktuelle Studie zu dem UK-Präventionsprogramm „NHS Health Check“, das 2009 eingeführt wurde und Screenings zu kardiovaskulären Risikofaktoren beinhaltet. Die prospektive Studie mit über 97.000 Personen ergab für diejenigen, die am NHS Health Check teilnahmen, höhere Diagnoseraten für Risikofaktoren sowie im Langzeitverlauf eine niedrigere kardiovaskuläre Mortalität und Gesamtsterblichkeit, was auf den Nutzen der Früherkennung hinweist.


Der GHG-Entwurf umfasst einen Anspruch auf pädiatrische Screenings zu familiärer Hypercholesterinämie (FH) sowie auf Screenings zu kardiovaskulären Risikofaktoren (Herz-Check-ups) im Alter von 25, 40 und 50 Jahren. Die CDU/CSU-Fraktion kritisierte in der Debatte „ausgabenintensive flächendeckende Untersuchungen“.


Im Faktencheck weisen NHA und DGIM darauf hin, dass die Sinnhaftigkeit von Vorsorgeuntersuchungen durch Studien gut belegt ist. Zudem sind kardiovaskuläre Screenings im Vergleich zu anderen Screenings hoch effektiv: Die „Number needed to screen“ zur Verhinderung eines Todesfalls liegt bei 274 für Bluthochdruck bzw. bei 418 für Dyslipidämie, im Vergleich zu >1.000 bis 3.000 für Karzinom-Erkrankungen.


Die FH ist mit einer Prävalenz von 1:250 eine häufige Erkrankung im Vergleich zu anderen genetisch bedingten Erkrankungen, zu denen Screenings hierzulande bereits etabliert sind, wie Phenylketonurie und Ahornsirupkrankheit (Prävalenz 1:5.000 – 1:580.000), erläutern NHA und DGIM. FH verursacht schwerste Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, häufig schon im jungen Erwachsenenalter. Sie ist gut diagnostizierbar und behandelbar, aber nach Schätzungen bei <5 % der Betroffenen in Deutschland diagnostiziert. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) urteilt grundsätzlich positiv über ein FH-Screening.

Medikamentöse Lipidsenkung

 

Ein weiterer Diskussionspunkt im Bundestag war die Verschreibung bzw. Erstattungsfähigkeit von Statinen sowie damit verbundene Kosten und mögliche Nebenwirkungen. NHA und DGIM stellen im Faktencheck klar, dass keine Erweiterung der Indikation im GHG geplant ist.


Die Verordnungsfähigkeit soll evidenzbasiert durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bewertet werden. Das GHG greift die aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) auf und adressiert eine teilweise Unterversorgung. Zudem werden die niedrigen Jahrestherapiekosten von ca. 70 € und die gute Verträglichkeit der Medikamente betont.


Bei Kindern ist nur im Falle einer diagnostizierten FH eine Statin-Therapie empfohlen, um die schweren Folgeerkrankungen von FH zu vermeiden. Die angeborene Fettstoffwechselstörung ist durch Lebensstilmodifikation nicht ausreichend beeinflussbar. Das IQWiG bewertet die medikamentöse Behandlung von Kindern mit FH positiv, halten NHA und DGIM fest.

Berücksichtigung der Selbstverwaltung

 

Den erneut vorgetragenen Vorwurf einer „Staatsmedizin“ durch das GHG entkräftete der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Prof. Josef Hecken, bereits am 28. August nach dem Kabinettsbeschluss des GHG selbst: „Mit dem heute beschlossenen Entwurf stimmt auch der Weg wieder: umfassende Recherche der aktuellen wissenschaftlichen Studienlage, breite fachliche Diskussion und Abwägen von Nutzen und Risiken. […] Die Gefahr, dass die Gesundheitsversorgung stärker in Richtung Staatsmedizin rückt, ist durch den neuen Entwurf zunächst einmal deutlich reduziert.“ Durch den aktuellen, im Bundestag eingebrachten GHG-Entwurf war der anfänglichen Kritik eines mangelnden Einbezugs der Selbstverwaltung bereits Rechnung getragen worden.

Finanzierung der Gesetzesmaßnahmen

 

Eine Umschichtung zur kostenneutralen Gegenfinanzierung des GHG zu Ungunsten der Primärprävention, insbesondere der Leistungen für verhaltensbezogene Prävention nach § 20 Absatz 5 SGB V, wurde in der Debatte fraktionsübergreifend kritisch gesehen. Krankenkassen und Sportverbände sehen dadurch bewährte Angebote gefährdet. Auch NHA und DGIM sehen im Faktencheck eine Umschichtung kritisch. Insbesondere die qualitätsgeprüften Bewegungsangebote müssten erhalten bleiben.


Die Vertretenden von SPD und Grünen signalisierten eine Nachbesserung im weiteren parlamentarischen Verfahren. Auch eine stärkere Berücksichtigung der Verhältnisprävention und der Aufbau einer nationalen Herz-Kreislauf-Gesundheitsstrategie sollen Gegenstand der Beratungen werden – so wie es auch NHA und DGIM befürworten.

Die nächsten Schritte

 

Der GHG-Entwurf wurde zusammen mit einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Stärkung der Primärprävention von den Abgeordneten an die Ausschüsse überwiesen. Bei den anschließenden Beratungen übernimmt der Gesundheitsausschuss die Federführung.


Der weitere Verlauf bleibt vor dem Hintergrund des Ampel-Aus abzuwarten. Nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) soll das GHG noch in diesem Jahr vom Parlament verabschiedet werden und im nächsten Jahr in Kraft treten.


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