Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Scheinwerferlicht: Screenings jetzt stärker etablieren

Es ist Bewegung in die Umsetzung von nationalen Präventionsmaßnahmen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gekommen. Einer der Schwerpunkte der Nationalen Herz-Allianz, das Etablieren von Programmen zur besseren Früherkennung von Risikopatient:innen und Prävention, wurde von der Bundespolitik aufgegriffen.

 

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), Prof. Holger Thiele, spricht mit Herzmedizin.de über die politische Dimension der Initiative, aktuelle Früherkennungsprojekte und seine Erwartungen an das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM).

Von:

Romy Martínez

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

30.10.2023

 

Bildquelle (Bild oben): K-i-T / Shutterstock.com

 

 

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) plant, schon bald einen Gesetzesentwurf für eine bessere Früherkennung und Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzulegen. Von einem dringenden Paradigmenwechsel ist die Rede. Karl Lauterbach (SPD) bestätigte dies heute bei einem Treffen mit Vertretern der ABDA, des Deutschen Hausärzteverbands, des Berufsverbands der Kardiologen, der Deutschen Herzstiftung sowie der Krankenkasse in Berlin. Mit ausschlaggebend war hier sicherlich die im Mai vorgestellte Studie des Max-Planck-Instituts und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB). Deutschland landete bei der durchschnittlichen Lebenserwartung im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern auf dem letzten Platz. Die Gründe hierfür sahen die Autor:innen hauptsächlich in Defiziten bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

 

Bereits 2021 brachte die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) die Gründung der Nationalen Herz-Allianz auf den Weg, die u.a. durch Präventionsmaßnahmen die Situation der Patientenversorgung in der Bundesrepublik nachhaltig verbessern soll.

 

Herzmedizin: Herr Prof. Thiele, wie unterstützt die Nationale Herz-Allianz das Bundesgesundheitsministerium?

 

Die Nationale Herz-Allianz ist eine Initiative der DGK zusammen mit allen anderen großen, kardiovaskulären Fachgesellschaften1 und auch Berufsverbänden sowie der Deutschen Herzstiftung und dem Deutschen Zentrum für Herzkreislaufforschung (DZHK). Das BMG hat die Schirmherrschaft für die Nationale Herz-Allianz übernommen, und dementsprechend arbeiten wir natürlich im engen Austausch miteinander.

 

Unsere Aspekte in Bezug auf die Umsetzung einer nationalen Herz-Kreislauf-Strategie wurden vom BMG teilweise aufgenommen. Natürlich unterstützt die DGK inhaltlich und fachlich das BMG, wenn es zum Beispiel um Fragen der Primär- oder Sekundärprävention sowie um Initiativen zum Rauchstopp geht.


Da wurde entsprechend auf die Expertise von Mitgliedern der DGK zurückgegriffen, und es sind auch Vorschläge gemacht worden, wie diese Maßnahmen [zur Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen] am besten im Alltag der medizinischen Versorgung umgesetzt werden können.

Vorschläge der NHA für eine bessere Versorgung

Herzmedizin: Wurden Ihre Vorschläge vom BMG aufgegriffen und um welche Maßnahmen handelt es sich konkret?

 

Die DGK möchte das Kinder- und Jugend-Screening sowie die Prävention bei Erwachsenen stärker etablieren, um die Mortalität und die Morbiditätsraten bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen langfristig zu verbessern. Programme zur besseren Früherkennung von Risikopatientinnen und -patienten sind auch ein integraler Teil des Positionspapiers für eine Nationale Herz-Kreislauf-Strategie der fünf beteiligten medizinischen Fachgesellschaften für eine bessere Versorgung von Patient:innen in Deutschland.

 

Das BMG hat für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (das Ärzteblatt berichtete) nun vier Handlungsfelder vorgeschlagen: Verbesserung der Früherkennung bei Kindern und Jugendlichen sowie die Verbesserung der Früherkennung bei Erwachsenen, Stärkung von Disease-Management-Programmen und Reduzierung des Nikotinkonsums. 


Konkret sehen wir, dass die von uns im Rahmen der NHA vorgeschlagenen Maßnahmen, wie die Einführung eines Lipid-Screenings bei der U9-Untersuchung und nach Alter gestufte Screenings für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sich in den Überlegungen des BMGs für eine Gesetzesinitiative zur Verbesserung von Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wiederfinden.

 

Zur Person

Prof. Holger Thiele

Univ.-Prof. Dr. med. Holger Thiele ist sowohl Internist und Kardiologe als auch Angiologe. Zusätzlich hat er die Zusatzbezeichnung Internistische Intensivmedizin, fachgebundene MRT, Notfall- und Rettungsmedizin. Er ist Universitätsklinikdirektor für Kardiologie am Herzzentrum Leipzig – eine der größten universitären Kardiologien in Deutschland – und berufener Professor der Universität Leipzig. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.

 

Systematische Screenings als Teil der Regelversorgung 

Herzmedizin: Um gleich bei den Lipid-Screenings zu bleiben: VRONI [Vorsorge zur Früherkennung von familiärer Hypercholesterinämie] im Norden ist ein gutes Beispiel für ein erfolgreiches Projekt im Rahmen der Bereitstellung neuer Möglichkeiten zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Kurz zusammengefasst, worum geht es bei dem Programm zur Früherkennung der familiären Hypercholesterinämie?

 

Zu VRONI im Norden kann man sagen, dass das Programm als VRONI in Bayern unter Leitung von Prof. Heribert Schunkert ins Leben gerufen wurde. In fast 300 Kinderarztpraxen wird mit Kapillarblut auf eine familiäre Hypercholesterinämie systematisch gescreent. Dieses Programm wird jetzt mit VRONI im Norden auf Niedersachsen ausgeweitet, und die Finanzierung ist über die Deutsche Herzstiftung, die Dr. Rolf M. Schwiete-Stiftung und die NHA via die DGK sichergestellt.

 

Ziel und Wunsch ist es natürlich, dieses Screening-Programm auf familiäre Hypercholesterinämie deutschlandweit auszuweiten und am besten natürlich in der Regelversorgung bei U9-Untersuchungen für Kinder zu etablieren. Die Erkrankung hat eine Inzidenz von ungefähr 1:250 und wir wissen, dass Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie ein massiv erhöhtes Risiko für eine vorzeitige Atherosklerose, vorzeitige Herzinfarkte und eine reduzierte Lebenserwartung haben. Diesen Verlauf könnte man durch eine frühzeitige Therapie zur Cholesterinsenkung aufhalten oder auch umdrehen.

 

Herzmedizin: Kann man sagen, dass die Erweiterung dieses Projekts auch ein Erfolg der Nationalen Herz-Allianz ist?

 

Die Ausweitung auf Niedersachsen sicherlich, weil die Nationale Herz-Allianz einen Teil der Finanzierung übernommen hat. Hervorragend wäre natürlich, wenn im Rahmen der Früherkennungsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen ein systematisches Screening als Teil der Regelversorgung etabliert werden könnte.

 

Herzmedizin: Inwieweit ist dann die Schaffung des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) eine Konsequenz der Bemühungen der kardiologischen Fachgesellschaften?

 

Das ist momentan etwas schwierig zu interpretieren, weil noch niemand hundertprozentig weiß, was das BIPAM eigentlich alles tun soll. Es hat mehr Kompetenzen als die bisherige Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die im Rahmen der COVID-19-Pandemie einige Kritik abbekommen hat, da die Auklärung der Öffentlichkeit in der Wahrnehmung einiger nicht so gut war, wie man es sich gewünscht hätte.

 

Ein Erfolg aus Sicht der DGK ist es, dass die Herz-Kreislauf-Erkrankungen neben Krebs und Demenz, als eine von drei wesentlichen Erkrankungen oder Volkskrankheiten genannt werden, die Lebenserwartung und Lebensqualität massiv beeinflussenn. Dass es nun eine der Kernaufgaben des BIPAM ist, diese drei Krankheitsgebiete zu beeinflussen, ist zumindest schon mal ein ganz wichtiger Aspekt.

"...ein riesiger Schritt in der kardiovaskulären Prävention und Versorgung in Deutschland" 

Herzmedizin: Abschließend ein Blick in die Zukunft: Wenn die Maßnahmen zur Verbesserung der Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen so umgesetzt würden, wie sie aktuell im Impulspapier des BMG formuliert sind, was würden Sie daraus schließen?

 

Das wäre ein klares Zeichen, dass die Nationale Herz-Allianz ernst genommen wird. Erfolge wird man sicherlich erst in einigen Jahren sehen, wenn sich dann hoffentlich die Lebenserwartung und vielleicht auch die Morbidität kardiovaskulärer Erkrankungen verbessert haben. 

 

Und daran müssen wir arbeiten. 

 

Aber die generelle Einschätzung von allen, die hier involviert sind, ist, dass mit der konsequenten Umsetzung dieser vier skizzierten Punkte des BMGs mit Sicherheit ein riesiger Schritt in der kardiovaskulären Prävention und Versorgung in Deutschland erreicht werden kann.

 

Das Impulspapier ist nun ein guter Anfang, aber erst ein erlassenes Gesetz entscheidet, welche Maßnahmen konkret umgesetzt werden. Das kann natürlich noch dauern und in der Regel wird auch ein Gesetz nie so erlassen, wie es initial ausformuliert wurde.

 

Herzmedizin: Prof. Thiele, wir bedanken uns für das Gespräch.



1Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) und Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation (DGPR)

Quellen

Weiterführende Informationen

Aktuelle Pressemitteilung der DGK, 31.10.2023

 https://herzmedizin.de/meta/presse/aktuelle-pressemitteilungen-2023/Nationale-Herz-Allianz-BMG-staerkt-Praevention-von-HKE.html

 

Lauterbach will Paradigmenwechsel in der Prävention

https://herzmedizin.de/fuer-aerzte-und-fachpersonal/news/gesundheitspolitik/bipam-herz-kreislauf-strategie-neuausrichtung-praevention.html

 

Lebenserwartung: Deutschland in Westeuropa unter den Schlusslichtern

https://herzmedizin.de/meta/presse/aktuelle-pressemitteilungen-2023/lebenserwartung--deutschland-in-westeuropa-unter-den-schlusslichtern.html

 

JT 2023: Vortrag Prof. Stephan Baldus | Wissen teilen. Gesundheit stärken. – Fortschritte der Nationalen Herz-Kreislauf-Strategie

https://herzmedizin.de/meta/presse/dgk-jahrestagung-2023/Wissen-teilen-Gesundheit-staerken--Fortschritte-der-Nationalen-Herz-Kreislauf-Strategie.html

 

Mission NHA

https://herzmedizin.de/nationale-herz-kreislauf-strategie/die-mission.html

 

 

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