Juli 2023: Hier finden Sie auf einen Blick die wichtigsten Meldungen aus Gesundheitspolitik und ärztlicher Selbstverwaltung der vergangenen vier Wochen.
Juli 2023: Hier finden Sie auf einen Blick die wichtigsten Meldungen aus Gesundheitspolitik und ärztlicher Selbstverwaltung der vergangenen vier Wochen.
Bildquelle (Bild oben): K-i-T / Shutterstock.com
Von: Helmut Laschet
12.07.2023
Inhaltsübersicht:
Die Meldungen vom Juli 2023:
Berlin. Die Gesundheitsminister und -ministerinnen von Bund und Ländern haben sich am 10. Juli mit der Gegenstimme Bayerns und der Enthaltung von Schleswig-Holstein auf Eckpunkte für eine umfassende Reform der Planung, Strukturen und Finanzierung der Krankenhäuser geeinigt. Die dazu notwendigen Bundesgesetze werden in der Sommerpause erarbeitet und sollen nach den parlamentarischen Beratungen durch Bundestag und Bundesrat am 1. Januar 2024 in Kraft treten.
Ziel der Reform ist die Sicherung der flächendeckenden Versorgung, die Steigerung und Angleichung der Behandlungsqualität und Entbürokratisierung insbesondere zur Entlastung des ärztlichen und pflegerischen Personals.
In einem eigenen Bundesgesetz wird mit Wirkung ab dem 1. Januar 2024 die Voraussetzung zur Schaffung von Leistungs- und Qualitätstransparenz für Patientinnen und Patienten sowie einweisende Ärztinnen und Ärzte geschaffen. Dabei wird das Bundesgesundheitsministerium auch die nach Levels (1i, 1, 2, 3, Unikliniken) differenzierten Versorgungsstufen transparent machen; Levels sind jedoch kein Qualitätskriterium, sondern geben nur Auskunft über den Leistungsumfang und den Spezialisierungsgrad einer Klinik.
Die Reform erstreckt sich auf Vertrags-, Fach-, Bundeswehr- und BG-Krankenhäuser und bezieht sich nur auf medizinisch-somatische Leistungen.
Kernelement der neuen Vergütung von Krankenhausleistungen sind fallzahlunabhängige Vorhaltebudgets in Höhe von 60 Prozent des bisherigen Vergütungsvolumens; das Vorhaltebudget enthält das bisherige Pflegebudget, das die Kosten des Pflegepersonals vollständig refinanziert. Die bisherigen DRGs werden dazu bereinigt, im ersten Schritt normativ, perspektivisch in mathematischen Verfahren auf empirischer Basis der Kostensituationen. Die Neugestaltung der Vergütung führt zu keiner Erlösveränderung. Ausnahmen: zusätzliche, von der GKV zu finanzierende Zuschläge für koordinierende und vernetzende Leistungen von Unikliniken sowie Zuschläge für die Pädiatrie, Geburtshilfe, Notfallversorgung, Stroke Unit, spezielle Traumatologie und Intensivmedizin.
Auf Basis des Bundesgesetzes sollen die Länder ab 2024 ihre jeweils eigenen Krankenhauspläne entwickeln und den Kliniken Leistungsgruppen zuordnen; das Level-Konzept wird dabei nicht verwendet. Ausgangspunkt soll dabei die Krankenhausreform in NRW sein. Die Zuweisung von Leistungsgruppen zu einer Klinik und die Erfüllung der Qualitätsvoraussetzungen sind Grundlagen für den Anspruch auf Vorhaltevergütung. Bei Nichterfüllung von Qualitätskriterien kommt es zu Abschlägen. Davon können zeitlich begrenzt bundesgesetzlich definierte Ausnahmen gemacht werden.
Die für die Höhe der Vorhaltepauschalen maßgeblichen Leistungsgruppen werden nach dem Start der Reform auf Basis des NRW-Vorbilds weiterentwickelt. Das Initiativrecht dazu haben Bund und/oder Länder. Sie beauftragen die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, das InEK und das BfArM mit den wissenschaftlichen Vorarbeiten zur Definition neuer Leistungsgruppen und den dazu notwendigen Qualitätskriterien. Das Ergebnis wird in einem von Bund und Ländern geleiteten Ausschuss beraten, in dem Bundesärztekammer, Pflege, Deutsche Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband vertreten sind. Rechtskräftig werden die so erarbeiteten Vorschläge durch eine Rechtsverordnung des BMG mit Zustimmung des Bundesrates.
Die Erfüllung von Qualitätskriterien für die jeweiligen Leistungsgruppen wird regelmäßig vom Medizinischen Dienst im Auftrag von Bund und Ländern geprüft. Die Frequenz der Prüfungen ist noch klärungsbedürftig. Die planungsrechtlichen Folgeentscheidungen obliegen den Ländern.
Diese Krankenhäuser sollen die wohnortnahe Grundversorgung durch Bündelung interdisziplinärer Leistungen sichern. Ziel ist eine sektorenübergreifende und integrierte Grundversorgung. Level-1i-Kliniken können durch Umwandlung bisheriger Krankenhäuser entstehen, aber auch aus ambulanten Versorgungsmodellen entwickelt werden. Die Planungshoheit dafür haben die Länder. Neben allgemeiner stationärer Behandlung (mindestens Allgemeinmedizin oder Geriatrie, optional Innere Medizin, Chirurgie) sollen diese Kliniken folgende Leistungen erbringen können:
Daraus ergeben sich wahrscheinlich zusätzliche Chancen für niedergelassene Fachärzte und -ärztinnen, sektorenübergreifend tätig zu sein.
Eine wichtige Rolle sollen die Krankenhäuser bei der Aus- und Weiterbildung ärztlichen Nachwuchses spielen. Sie sollen dafür Verbundweiterbildungen gemeinsam mit anderen Krankernhäusern organisieren. Die Landesärztekammern sollen verpflichtet werden, die im Verbund dieser Kliniken absolvierten Weiterbildungen anzuerkennen.
Ungeklärt ist die Frage, welche Transformationskosten der Umstrukturierungsprozess verursacht und wer in welcher Höhe für die Finanzierung verantwortlich ist. Generell finden sich nur allgemeine Hinweise auf die Verpflichtung der Länder zur Finanzierung von Investitionskosten. Eine finale Einigung über die Gesamtreform „umfasst auch die notwendige finanzielle Ausstattung durch Bund und Länder für den Transformationsprozess“, heißt es in den Eckpunkten. Der Bund will prüfen, ob mit einer schnelleren Auszahlung des Pflegebudgets sowie eine zeitnähere Anpassung von Vergütungen an Tarif- und Kostensteigerungen außerhalb des Bundeshaushaltes – also zu Lasten der GKV – die Liquidität der Krankenhäuser gesichert werden kann. Die Insolvenz von Krankenhäusern will Lauterbach jedenfalls nicht ausschließen. „Wenn wir dies hätten verhindern wollen, dann hätten wir sehr viel früher umstrukturieren müssen.“
Berlin. Die Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung für das Gesundheitswesen kommt in die Phase der konkreten gesetzgeberischen Arbeit. Zwei Gesetze wird das Parlament in der zweiten Jahreshälfte beraten und beschließen müssen.
Das geplante Digitalgesetz wird die medizinische Versorgung für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten spürbar verändern. Hier die wichtigsten Projekte:
Zweck dieses Gesetzes ist es, anonymisierte Gesundheitsdaten – etwa aus der ePA – für medizinische Forschung aller Forschungseinrichtungen, auch solchen der Industrie, zugänglich zu machen. Patientinnen und Patienten haben das Recht, dem zu widersprechen oder Nutzungsrechte einzuschränken. Darüber müssen die Krankenkassen informieren. Die Praxis des Datenschutzes wird vereinfacht, indem die Genehmigung – etwa klinischer Studien – der oder dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz übertragen wird. Der Zugang zu anonymisierten Gesundheitsdaten wird über eine beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einzurichtende Koordinierungsstelle ermöglicht.
Berlin. Für MVZ wird es schwieriger, nichtärztliches Personal zu finden. Nach einer Umfrage des Zentralinstituts für die kassenärztlichen Versorgung berichten fast 50 Prozent der befragten MVZ, die Hälfte der Bewerberinnen und Bewerber sei formal nicht geeignet. Ein Drittel der sich Bewerbenden verfügt nicht über die erforderliche Mittlere Reife. Ferner gebe es Lücken bei der Sozialkompetenz. Rund ein Drittel der MVZ registrierten zwischen 2017 und 2022 Ausbildungsabbrüche. 76 Prozent schätzten die Verfügbarkeit nichtärztlichen Personals für das Jahr 2022 als schlecht bis sehr schlecht ein.
Gefragt wurde auch nach der wirtschaftlichen Situation. Hier zeigen sich beträchtliche Unterschiede zwischen vertragsärztlicher und Klinik-MVZ: Vertragsärztliche MVZ erzielten 2021 im Median einen Überschuss von 200.000 Euro je Gesellschafterin und Gesellschafter, in der Rechtsform der GmbH 153.000 Euro. Klinik-MVZ kommen im Schnitt auf 110.000 Euro, das erste Quartil macht einen Verlust von 76.000 Euro. Klinik-MVZ zahlen angestellten Ärztinnen und Ärzten jedoch mit 122.000 Euro höhere Gehälter als vertragsärztliche MVZ mit 103.000 Euro.
Die Investitionsquote der MVZ lag zwischen 5 und 10 Prozent, und damit deutlich höher als die der Kliniken (3 Prozent). In den letzten drei Jahren wurde besonders stark in IT, Telematik und Hygiene investiert.
Berlin. Zwei alternative fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid haben am Donnerstag, 6. Juli, jeweils keine Mehrheit gefunden. Mehr als drei Jahre nach einem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, mit dem das „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ als nicht Grundgesetz-konform verworfen worden war, bleibt damit die Hilfe zur Selbsttötung in einer rechtlichen Grauzone. Das Gericht hatte in seinem Urteil ausdrücklich das Recht auf Selbsttötung einschließlich der Möglichkeiten und der Hilfeleistungen postuliert und dies aus dem Grundrecht auf Selbstbestimmung und Menschenwürde abgeleitet. Den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Rahmen sollte nun der Bundestag füllen; dazu lagen zwei interfraktionelle Gesetzentwürfe vor, die beide jeweils von allen Fraktionen außer der AfD mitgetragen wurden.
Der im März 2022 vom SPD-Abgeordneten Castellucci und von weiteren Parlamentsmitgliedern vorgelegte Entwurf belässt die Regelung der Suizidhilfe im Strafrecht. Danach bleibt die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ strafbar (Paragraf 217 Absatz 1), schafft aber Ausnahmetatbestände: Nicht rechtswidrig ist eine „Förderungshandlung, wenn die suizidwillige Person volljährig und einsichtsfähig ist, eine fachärztliche Untersuchung ergeben hat, dass keine die autonome Entscheidung beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt und nach fachlicher Überzeugung das Sterbeverlangen freiwillig, ernsthaft und dauerhaft ist“. Ferner muss eine individuelle umfassende und ergebnisoffene Beratung stattgefunden haben. Ärztinnen, Ärzte und Krankenhäuser oder andere Institutionen dürfen über Beratungen und Hilfeleistungen informieren (Paragraf 217a). Für diesen Entwurf votierten 304 Abgeordnete, 363 lehnten ihn ab, 23 enthielten sich.
Eine andere Parlamentariergruppe unter Federführung der Abgeordneten Helling-Plahr (FDP) und Künast (Grüne) hat vor kurzem zwei im März 2022 vorgelegte Entwürfe zu einem Konsens zusammengeführt, mit dem ein eigenes „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung“ außerhalb des Strafrechts geschaffen wird. Kernpunkte sind das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung, der autonom gebildete freie Wille, der durch Beratungen und Untersuchungen festgestellt werden muss und die Zulässigkeit der Verschreibung geeigneter Medikamente oder Betäubungsmittel durch Ärztinnen und Ärzte. Verbunden ist dieser Gesetzentwurf mit einem Entschließungsantrag zum Ausbau systematischer Prävention, Erforschung und Entstigmatisierung des Suizids. Dieser Entwurf erhielt 287 Ja- und 375 Nein-Stimmen bei 20 Enthaltungen.
Dagegen fand ein Entschließungsantrag zugunsten eines nationalen Präventionsprogramms eine überwältigende Mehrheit.
Bereits im vergangenen Jahr hatte der Bundestag eine Orientierungsdebatte über die gesetzlichen Regelungsmöglichkeiten geführt. Nun, mehr als drei Jahre nach dem Karlsruher Urteil, melden die Bundesärztekammer, das Nationale Suizidpräventionsprogramm sowie die Fachgesellschaften für Psychiatrie und Psychotherapie und für Palliativmedizin Bedenken an: Sie warnen vor einer „übereilten Entscheidung“ und fordern eine eingehende parlamentarische und gesellschaftliche Debatte. Ihr Monitum: Die Suizidprävention müsse wesentlich stärker in den Vordergrund gerückt werden, die Qualifikation der Beratungsinstitutionen müsse differenzierter und einheitlich im Bundesrecht definiert werden. Vor diesem Hintergrund begrüßte die Bundesärztekammer die Entscheidungen des Bundestages gegen beide Gesetzentwürfe.