de Haan: Es ist viel die Rede von Künstlicher Intelligenz. So soll aus einem einfachen Ruhe-EKG abzulesen sein, ob eine Person Vorhofflimmern hatte oder nicht. Was meinen Sie dazu?
Auricchio: Ja, das beschäftigt uns in der Elektrophysiologie sehr. Es ist aber wohl so, dass die Informationen aus dem Ruhe-EKG weit größer zu sein scheinen, als wir bisher angenommen haben. Durch sogenannte neuronale Netzwerke kann der Computer aus einem einfachen 12-Kanal-EKG das Geschlecht und das Alter der betroffenen Personen benennen und sogar bestimmte Kardiomyopathien, wie z. B. die hypertrophe Kardiomyopathie erkennen. Die weitere Entwicklung solcher Verfahren wird unsere diagnostische Kapazität enorm erhöhen.
de Haan: Antibradykarde Stimulation ist seit Jahrzehnten ein etabliertes Behandlungsverfahren. Wie sehen Sie den Stellenwert des sogenannten „Leadless Pacing“?
Auricchio: Ähnlich wie bei der Entwicklung des subkutanen Defibrillators, bemühen wir uns, die Probleme von herkömmlichen Schrittmachersonden zu beseitigen. Der sogenannte „leadless“ Schrittmacher ist eine phantastische Erneuerung im Bereich der kardialen Stimulation; die Funktion und die Batteriedauer eines leadless Herzschrittmachers sind noch nicht komplett vergleichbar mit einem herkömmlichen VVI-Herzschrittmacher. Ich bin allerdings der Meinung, dass dies in wenigen Jahren, der Fall sein wird. Ein Beispiel ist die neueste Entwicklung des Micra-Schrittmachers, welcher eine sequentielle VDD-Stimulation bereits ermöglicht. Neben Batterie-gesteuerten leadless Schrittmachern, gibt es andere, sehr vielversprechende Verfahren, wie z. B. leadless Schrittmacher, welche hochfrequente akustische Signale in elektrische Energie umwandeln (sogenanntes „energy transduction“ Verfahren) oder andere Verfahren, in denen die Kontraktionskraft des Herzmuskels elektrisch umgewandelt und dadurch die Batteriespannung aufrecht erhalten (scavenging energy) wird.
de Haan: Stichwort Patientenversorgung: Wie schon angesprochen, leidet eine große Zahl von kardiologischen Patientinnen und Patienten an behandlungsbedürftigen Herzrhythmusstörungen. In den kardiologischen Zentren in Deutschland ist dies nach internationalem Standard sicher gewährleistet. Wie sieht es aber in ländlichen Bezirken aus? Wie sind kleinere Krankenhäuser aufgestellt? Kardiologische Praxen?
Auricchio: Die Behandlung von Herzrhythmusstörungen, insbesondere wenn es sich um maligne Herzrhythmusstörungen handelt, zu denen auch Vorhofflimmern (Stichwort: Schlaganfallgefahr) gehört, erfordert neben gründlichen Kenntnissen elektrophysiologischer Vorgänge der Kardiologinnen und Kardiologen auch entsprechende Gerätschaften und Mitarbeitende. Nur eine ausreichende Erfahrung, die auf einer langjährigen Beschäftigung mit Herzrhythmusstörungen beruht, garantiert eine diagnostische und therapeutische Sicherheit.
Gerade in ländlichen Bezirken ist es schwierig, dies aufrecht zu erhalten. Die Bevölkerung wird älter, die Betroffenen sind weniger mobil, soziale Verhältnisse sind zu berücksichtigen etc. Wichtig ist, glaube ich, dass jede Praxis und jedes kleinere Krankenhaus eine Grundausstattung an Know-how und Gerätschaften hat, um die Patientinnen und Patienten zu stabilisieren. Eine enge Vernetzung – und dazu könnte auch die Telemedizin beitragen – mit einem elektrophysiologischen Zentrum ist zwingend notwendig.
de Haan: Zum Schluss gestatten Sie mir noch eine persönliche Frage: Welche Hobbys pflegen Sie außerhalb der Kardiologie?
Auricchio: Ich bin beruflich, wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen, sehr eingespannt und freue mich, wenn ich zu Hause im Kreise meiner Familie bin. Früher habe ich gerne Klavier gespielt und fotografiert. Dazu fehlt mir heute die Zeit. Ich höre aber gerne Musik, insbesondere Jazz und Klassik.