Drohende Versorgungslücke bei Fachärzten

 

Die Anzahl der Facharzt-Praxen in Deutschland nimmt schon seit einigen Jahren immer weiter ab. Knapp ein Drittel der niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen ist über 60 Jahre alt, daher könnte in 2 bis 3 Jahren der Exodus drohen. Im Interview gibt Dr. Norbert Smetak Einblicke in die aktuelle Versorgungssituation und weist auf den dringenden Bedarf von mehr Steuerungsinstrumenten hin.

Von:

Dr. Norbert Smetak

Niedergelassener Kardiologe

 

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

24.01.2024

 

Bildquelle (Bild oben): PhotographyByMK / Shutterstock.com

 

 

   

 

HERZMEDIZIN: Wie sieht es in Ihrer Praxis aus – gibt es lange Wartezeiten oder müssen Sie Patient:innen wegschicken?

 

Dr. Smetak:  Bei Anrufen verweisen wir neue Patient:innen in der Regel auf den Hausarzt mit der Bitte, dass der Hausarzt entscheidet, ob es dringend ist oder nicht, da wir diese Filterung tatsächlich nicht schaffen können und auch nicht wollen. Wir sind in einem System, wo wir eine Steuerung brauchen. Und eine Form der Steuerung ist für mich, dass der Hausarzt zuerst sortiert: wo gehört der Patient hin? Wir schaffen es aber auch nicht mehr, diese Sortierung 1:1 umzusetzen. (Es geht einfach nicht mehr.)

Patient:innen müssen mehrere Monate auf ein Routine-Termin warten.

 

In meiner Praxis erhalten neue Patient:innen einen klaren Hinweis der MFA, sich bitte an den Hausarzt zu wenden. Wenn der sich meldet, oder dessen MFA (die melden sich in der Regel leider noch per Fax), dann gibt es einen Termin, wobei sich die Wartezeit nach der Dringlichkeit richtet. Generell sind meine Wartezeiten aber sehr lang – mehrere Monate bei einem Routine-Termin.

Wir brauchen eine Steuerung im System.

 

In Baden-Württemberg ist es im Selektivvertrag nach 73c verpflichtend, dass Patient:innen zuerst zum Hausarzt gehen und dann zum Facharzt. Das ist eine mögliche Form der Steuerung. Klar wäre eine andere Form der Steuerung, dass Patient:innen, die auf eigenen Wunsch zum Facharzt gehen, zum Zahler werden: Also wenn Leistungen eingefordert werden, die im System aber nur begrenzt zur Verfügung stehen. Ich predige schon lange – und das ist mein großer Wunsch, dass Herr Lauterbach auch darauf hört - dass wir Steuerung im System brauchen, sowohl im Routine- als auch Notfall. Gerade ist die entsprechende Mitteilung in Bezug der Notfallversorgung herausgekommen. Da gibt es ein Eckpunktepapier und da wird auch von Steuerung gesprochen, weil es ohne gar nicht mehr geht. Das brauchen wir aber auch im Routinebetrieb.


HERZMEDIZIN: Kann die Einführung von Primärversorgungszentren die Situation verbessern?

Dr. Smetak: Das Primärversorgungszentrum ist ein hausarztzentriertes System. In dem System wird eine Interprofessionalität eingeführt. Das geht in Richtung des HÄPPI-Konzepts (Hausärztliches Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell), wo zusätzlich spezielle Fachkräfte tätig sind. Das muss man sehen, ich weiß es schlichtweg noch nicht, wie es sich entwickeln wird.

HERZMEDIZIN: Sollen Fachärzte in die Primärversorgung miteingebunden werden?

Dr. Smetak: Das ist eine Geschichte, die in Richtung einer Netzstruktur geht. Das kann man machen. Ich kann es mir aber auch andersrum vorstellen: Wenn wir uns als Spinne sehen wollen, sind wir Fachärzte im Zentrum des Netzes und drumherum sind die Zuweiser. Man kann also genauso ein Kardiologen-zentriertes System schaffen. Auch wir haben nämlich über Telemedizin und TMZ (Kardiologische Telemedizinzentren) eine ganze Kette von Zuweisern. (Das kann man genauso gut auch andersherum aufziehen.)

Der BNK entwickelt gerade ein Facharzt-zentriertes Versorgungsmodell.

 

Dieses Facharzt-zentrierte Modell kann man genauso anbieten. Wir haben spezialisierte MFAs bei uns, z.B. die Herzinsuffizienz (HI)-Nurses, die auch Angebote machen können. Wir können Schulungen anbieten im DMP (Disease-Management-Programm) und vieles andere mehr. Wir betreuen oft dauerhaft schwer herzkranke Patient:innen, und ich sehe das Facharzt-zentrierte Versorgungsmodell als eine gewisse Möglichkeit.

Zur Person

Dr. Norbert Smetak

Dr. Norbert Smetak ist niedergelassener Kardiologe und seit vielen Jahren berufspolitisch aktiv. Der 65-Jährige gilt bundesweit als sehr erfahrener und anerkannter Berufspolitiker. Dr. Norbert Smetak engagiert sich in zahlreichen Verbänden: Er ist Vorsitzender des fachübergreifenden Ärzteverbands MEDI, Vorstandsmitglied beim Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e. V. (SPIFA), Bundesvorsitzender des Bundesverbands Niedergelassener Kardiologen e. V. (BNK) sowie Vizepräsident beim Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten e. V. (BDI). Außerdem praktiziert Dr. Norbert Smetak auch weiterhin in seiner internistisch-kardiologischen Praxis in Kirchheim.

Dr. Norbert Smetak, niedergelassener Kardiologe aus Kirchheim und Berufspolitiker
Bildquelle: Ronny Kretschmer / HKM

Gesundheitskioske und Primärversorgungszentren werden nicht überall gebraucht.

 

Ich denke, das muss man sich regional anschauen. Das kann man nicht über Deutschland hinwegkippen wie die Gesundheitskioske, die auch nicht überall notwendig sind. Ich bin davon überzeugt, dass man Primärversorgungszentren nicht überall braucht. Da ist ja auch das Konzept dahinter, viel zu delegieren in diesem System, dass nur noch der Hausarzt die wichtigen Dinge sieht. Wie gesagt, ich bin auch nicht davon überzeugt, dass das Modell wirklich die Früchte trägt, die man sich vorstellt.

Wenn nichts geschieht, wird es einen Riesen-Exodus geben.

31 % der Fachärzte sind über 60 Jahre alt. In 2 bis 3 Jahren kann man das Problem nicht mehr prophylaktisch angehen. Die Nachwuchsgeneration geht nicht so gerne in die Niederlassung, sondern bleibt mehr in der Klinik und hat eine andere entsprechende Einstellung, was die Arbeitszeiten betrifft. Es sei ihnen zugestanden, aber das wird die Situation drastisch verschärfen. Da gibt es schöne Statistiken dazu, wie die Kopfzahl an Ärzten zugenommen hat, aber insgesamt die Arbeitszeiten deutlich abgenommen haben.

Um die Versorgung langfristig zu sichern, werden wir weiterhin auf Politiker einwirken, und wir werden mit Sicherheit auch auf die Kommunen einwirken. Außerdem werden wir auf die Bundestagsabgeordneten, auf die Landtagsabgeordneten, auf die Politik insgesamt einwirken, und wir werden die Patienten und Patientinnen mobilisieren. Wir werden über den Stand der Dinge informieren, warum Defizite herrschen, wer schuld daran ist, und was sie tun können, damit es besser wird.
Und ich bin fest davon überzeugt, dass von allen Seiten immer darauf hingewiesen werden muss, dass wir dringend Steuerungselemente benötigen.




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