Die größten Ernährungsfehler kennen und vermeiden

In Europa lässt sich mehr als jeder dritte Todesfall durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf eine ungesunde Ernährung zurückführen. So lauten aktuelle Schätzungen der Forschungsgruppe um Prof. Stefan Lorkowski an der Universität Jena. Im Interview verrät der Ernährungswissenschaftler die größten Fehler bei der Ernährung und erläutert die aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE).

Von Martin Nölke


Bildquelle (Bild oben): Shutterstock/9dream studio

Diese Ernährungsfehler sind häufig

Was sind die größten Ernährungsfehler hinsichtlich Herzgesundheit?

 

Es ist traurig, aber wir sehen immer wieder die gleichen Ernährungsfehler, die wir seit Jahren diskutieren und anmahnen. Ein wesentlicher Faktor ist die geringe Aufnahme von ballaststoffhaltigen Lebensmitteln, insbesondere Vollkornprodukten. Obwohl es lange kontroverse Diskussionen darüber gab, ob Getreide gesund oder ungesund ist, haben wir mittlerweile eine klare Datenlage. Beobachtungsstudien zeigen, dass Menschen mit einer hohen Ballaststoffzufuhr gesünder und länger leben. Dabei ist der Verzehr von Vollkorngetreide von großem Nutzen.

 

Ein weiteres großes Thema sind Hülsenfrüchte wie Bohnen, Linsen und Erbsen. Diese sollten regelmäßig auf dem Speiseplan stehen, denn sie haben einen hohen Proteinanteil und enthalten ungesättigte Fette sowie ein gutes Profil an verschiedenen Aminosäuren.

Wie steht es um den Fleischverzehr?

 

Rotes Fleisch, insbesondere in verarbeiteter Form wie Wurst, ist ein weiterer Risikofaktor, den wir seit Jahren anmahnen. Der Fleischkonsum in Deutschland ist weiterhin zu hoch. Die aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zielen darauf ab, den Fleischkonsum weiter zu reduzieren.

 

Darüber hinaus konsumieren viele Menschen zu viel Natrium bzw. Salz, das auch häufig versteckt in Lebensmitteln vorkommt, vor allem in Fertiggerichten oder auch Brausetabletten. Außerdem sollte mehr Gemüse auf dem Speiseplan stehen, mehr Fisch, Nüsse und Samen – als Lieferanten für mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Ein weiterer Klassiker im negativen Sinne sind zuckergesüßte Getränke wie Limonaden, Cola-Getränke und Energydrinks, die es zu meiden gilt.

Zum Experten

Prof. Stefan Lorkowski

Prof. Stefan Lorkowski ist Lehrstuhlinhaber für Biochemie und Physiologie der Ernährung an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten beschäftigt er sich u. a. mit Fettstoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.

Prof. Stefan Lorkowski
Bildquelle: Betty Hebecker

Aktuelle Empfehlungen zur Ernährung

Im März hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre neuen Empfehlungen „Gut essen und trinken“ veröffentlicht, die auch bei der Vermeidung der genannten Ernährungsfehler helfen können. Was hat sich im Vergleich zu den bisherigen Ernährungsempfehlungen geändert und warum?

 

Die aktualisierten DGE-Empfehlungen basieren auf einem neuen mathematischen Optimierungsmodell, das mehrere Rahmenbedingungen berücksichtigt. Vorher wurden die Empfehlungen vor allem auf Basis einer ausreichenden Nährstoffzufuhr erstellt, nun werden noch umfangreicher Gesundheitsdaten und besonders auch Umweltfaktoren einbezogen.

 

Ob ein Lebensmittel eine positive oder negative Auswirkung auf die Gesundheit hat, wurde anhand von Forschungsergebnissen zu DALYs (Disability-Adjusted Life Years) beurteilt, also ob der Konsum eines Lebensmittels mit mehr oder weniger gesunden Lebensjahren verbunden ist. Hinsichtlich Umwelt sind beispielsweise Treibhausgasemissionen und Landnutzung eingeflossen. Außerdem wurden die aktuellen Essgewohnheiten in Deutschland berücksichtigt, um die Umsetzung der Empfehlungen zu erleichtern.

Bunt und gesund essen und dabei die Umwelt schonen, das sind die DGE-Empfehlungen.

  • Rund 1,5 Liter Flüssigkeit täglich trinken
  • Am besten Wasser oder andere kalorienfreie Getränke wie ungesüßten Tee
  • Trinkwasser aus der Leitung ist frisch, sicher und einfach verfügbar
  • Zuckergesüßte und alkoholische Getränke sind nicht empfehlenswert

  • Mindestens 5 Portionen Obst und Gemüse pro Tag, am besten in ihrer jeweiligen Erntesaison
  • Obst und Gemüse liefern reichlich Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe sowie sekundäre Pflanzenstoffe
  • Gut für die Gesundheit und zur Sättigung

  • Mindestens 1-mal pro Woche Hülsenfrüchte und täglich 1 kleine Handvoll Nüsse
  • Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen und Linsen sind reich an Eiweiß, Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen sowie sekundären Pflanzenstoffen
  • Nüsse liefern zusätzlich lebensnotwendige Fettsäuren und sind gut für die Herzgesundheit. 

  • Bei Getreideprodukten wie Brot, Nudeln, Reis und Mehl ist die Vollkornvariante die beste Wahl für die Gesundheit
  • Lebensmittel aus Vollkorn sättigen länger und enthalten mehr Vitamine und Mineralstoffe als Weißmehlprodukte
  • Insbesondere die Ballaststoffe im Vollkorn senken das Risiko für viele Krankheiten

  • Pflanzliche Öle sind reich an lebensnotwendigen Fettsäuren und Vitamin E
  • Bevorzugen Sie beispielsweise Rapsöl und daraus hergestellte Margarine
  • Empfehlenswert sind außerdem Walnuss-, Lein-, Soja- und Olivenöl

  • Milch und Milchprodukte liefern insbesondere Eiweiß, Calcium, Vitamin B2 und Jod und unterstützen die Knochengesundheit
  • Wenn pflanzliche Milchalternativen verwendet werden, ist auf die Versorgung mit Calcium, Vitamin B2 und Jod zu achten

  • 1- bis 2-mal pro Woche Fisch
  • Fette Fische wie Lachs, Makrele und Hering liefern wertvolle Omega-3-Fettsäuren
  • Seefisch wie Kabeljau oder Rotbarsch enthält zudem Jod

  • Wenn Sie Fleisch und Wurst essen, dann nicht mehr als 300 g pro Woche
  • Fleisch enthält gut verfügbares Eisen sowie Selen und Zink
  • Zu viel Fleisch von Rind, Schwein, Lamm und Ziege und insbesondere Wurst erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs
  • Die Produktion von Fleisch und Wurstwaren ist deutlich belastender für die Umwelt als die von pflanzlichen Lebensmitteln

  • Zucker, Salz und Fett stecken oft „unsichtbar“ in verarbeiteten Lebensmitteln wie Wurst, Gebäck, Süßwaren, Fast Food und Fertigprodukten
  • Wird hiervon viel gegessen, steigt das Risiko für Übergewicht, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes

  • Lassen Sie sich Zeit beim Essen und gönnen Sie sich eine Pause
  • Langsames und bewusstes Essen fördert das Sättigungsgefühl
  • Gemeinsames Essen tut gut

  • Ernährung und körperliche Aktivität gehören zusammen
  • Tägliche Bewegung und ein aktiver Alltag fördern die Knochengesundheit und senken das Risiko hinsichtlich Übergewicht und Krankheiten

Wieso wird zwischen Nährstoffversorgung und Gesundheitsförderung unterschieden – geht das nicht Hand in Hand?

 

Wer alle essenziellen Nährstoffe, also Fettsäuren, Aminosäuren, Vitamine, Mineralstoffe, Wasser usw. ausreichend zu sich nimmt, wird keine Mangelerscheinungen haben. Die Gesundheit betrifft jedoch auch Aspekte, die über diesen grundsätzlichen Bedarf an essenziellen Nährstoffen hinausgehen. Dafür wurden Lebensmittelgruppen wie Gemüse, Obst, Fisch und Fleisch(produkte) analysiert, ob sie vorteilhafte oder nachteilige Effekte unabhängig von der Nährstoffzufuhr bewirken. So ist beispielsweise rotes Fleisch ein guter Lieferant für den Nährstoff Eisen, aber vor allem in verarbeitetem Zustand auch mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs verbunden. Umgekehrt sind Ballaststoffe wie in Vollkornprodukten keine essenziellen Nährstoffe, fördern jedoch die Gesundheit und beugen vielen ernährungsmitbedingten Erkrankungen vor.

Es wurden sowohl Umwelt- als auch Gesundheitsaspekte für die Ernährungsempfehlungen einbezogen. Was wurde stärker gewichtet – Umwelt oder Gesundheit?

 

Gesundheit und Umwelt sind im Modell gleich stark gewichtet, wobei die Berücksichtigung der Umweltaspekte die Gesundheitsförderung nach aktueller Datenlage nicht beeinträchtigt. Man könnte sich noch nachhaltiger ernähren, aber kaum gesünder. Würden die Umweltfaktoren herausgenommen werden, gäbe es keine signifikanten Ansätze für eine gesündere Ernährung.

 

Gleichzeitig ist zu betonen, wie wichtig eine nachhaltige Ernährungsweise ist. Ernährung und Lebensmittelproduktion tragen erheblich zum Klimawandel bei und wir müssen eine Ernährungsweise entwickeln, die es bei den gegebenen Ressourcen erlaubt, dauerhaft knapp 10 Milliarden Menschen zu ernähren. Mit den neuen DGE-Empfehlungen ist das gut gelungen.

Welche konkreten Änderungen gibt es im Einzelnen bei den Empfehlungen?

 

Die neuen Empfehlungen betonen eine pflanzenbasierte Ernährung. Eine gesunde und umweltschonende Ernährung besteht überwiegend aus pflanzlichen Lebensmitteln (3 Viertel), ergänzt durch tierische Lebensmittel (1 Viertel).

 

Hülsenfrüchte und Nüsse werden jetzt mit einer eigenen Empfehlung und einer eigenen Lebensmittelgruppe stärker hervorgehoben, da sie gesundheitsförderlich und in heimischer Produktion auch nachhaltig sind. Für den Verzehr von Obst und Gemüse werden weiterhin insgesamt mindestens 5 Portionen am Tag empfohlen. Jedoch entfallen die ergänzenden einzelnen Portionsangaben von 3 Portionen Gemüse und 2 Portionen Obst; es sollte aber immer beides verzehrt werden.

 

Die angegebene Fleischmenge ist deutlich auf maximal 300 g pro Woche gesunken. Milch und Milchprodukte wurden auf 2 Portionen pro Tag reduziert. Hier kommt der verminderte Verzehr tierischer Produkte zum Tragen. Des Weiteren erwähnenswert: Die Portionsangabe von 1 Ei pro Woche wurde nicht aus gesundheitlichen Gründen, zum Beispiel wegen Cholesterol, aufgestellt, sondern trägt Umwelt und Verzehrgewohnheiten Rechnung.

Hier finden Sie Orientierungswerte für gesunde Erwachsene (zwischen 18 und 65 Jahren) mit einem Energiebedarf von ca. 2.000 kcal pro Tag, die sowohl pflanzliche als auch tierische Lebensmittel essen (Mischkost). Die angegebenen Lebensmittelmengen sind nur als Orientierungswerte für die Lebensmittelauswahl zu verstehen und nicht dazu da, auf das Gramm genau erreicht zu werden.

  • 5 Portionen Obst und Gemüse (je 110 g)
  • 1 Portion Nüsse und Samen (25 g)
  • 5 Portionen Getreide/Brot/Nudeln, davon mind. 1/3 Vollkorn (je 60 g)a
  • 1 Esslöffel pflanzliche Öle (10 g)
  • 1 Esslöffel Butter/Margarine (10 g)
  • 2 Portionen Milch (250 g) / Käse (30 g) / Joghurt (150 g)b

 

a Eine Scheibe Brot bzw. eine Portion Getreideflocken, ungekochte Nudeln und ungegarter Reis entspricht 60 g. Üblicherweise liegt die Portionsgröße für Nudeln oder Reis höher bei beispielsweise ungegart 120 g (entspricht 2 Portionen á 60 g).

 

b Eine Portion entspricht beispielsweise entweder 1 Glas Milch (250 g), einer Scheibe Käse (30 g) oder einem Joghurt (150 g); daraus sind unterschiedliche Kombinationen möglich.

  • 2 Gläser Saft (je 200 g)
  • 1 Portion Hülsenfrüchte (125 g verzehrfertig)c
  • 1 Portion Kartoffeln (250 g)
  • 1–2 Portionen Fisch (je 120 g)d
  • 1–2 Portionen Fleisch (Rind, Schwein, Geflügel) (je 120 g)d
  • 2 Scheiben Wurst (je 30 g)
  • 1 Ei (60 g)e

 

c Für die Umrechnung von getrockneten Hülsenfrüchten in verzehrfertige den Faktor 1,8 verwenden.

 

d Die Berechnungen für Mischkost berücksichtigen sowohl Fleisch als auch Fisch. Die Angabe 1–2 Portionen bei Fisch und Fleisch bezieht jeweils die andere Gruppe mit ein: Wer 2 Portionen Fisch pro Woche isst, kann noch 1 Portion Fleisch essen bzw. wer 1 Portion Fisch isst, 2 Portionen Fleisch

 

e Lebensmittel, die verarbeitete Eier enthalten, zum Beispiel Nudeln oder Kuchen, kommen zusätzlich dazu.

Die DGE-Empfehlungen richten sich an gesunde Erwachsene. Woran können sich ausgenommene Personengruppen orientieren?

 

Genau, die Empfehlungen richten sich an gesunde Erwachsene, die auch tierische Lebensmittel verzehren. Es ist – bei ausreichender Datenlage – geplant, für weitere Ernährungsweisen und Bevölkerungsgruppen angepasste Ernährungsempfehlungen bereitzustellen, zum Beispiel für eine vegetarische oder vegane Ernährung, für Kinder und Jugendliche oder für Seniorinnen und Senioren. Wer von Erkrankungen betroffen ist, beispielsweise Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, kann die Empfehlungen als Ausgangspunkt nehmen, um in Rücksprache mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sinnvolle Anpassungen in der Ernährung vorzunehmen.

 

Es ist gut zu wissen, wie eine gesundheitsfördernde und umweltschonende Ernährung aussehen kann. Aber wie gelingt dann auch die Umsetzung? Haben Sie hilfreiche Tipps?

 

Zunächst einmal sollte man eine gesunde Ernährung als Genuss und Gewinn sehen, und nicht als Verzicht. Es gibt unzählige leckere und gesunde Rezepte. Die eatbetter-Initiative bietet beispielsweise solche Rezepte, die einfach, kostengünstig und wissenschaftlich geprüft sind.

 

Des Weiteren hilft es, sich bewusst zu machen, was wir neben den normalen Mahlzeiten noch zu uns nehmen: das Eis zwischendurch, die Kekse, die Chips oder auch Alkoholisches. Da kommt oft einiges an „leeren“ Kalorien zusammen, die wir nicht brauchen und oft nur aus Gewohnheit oder Langeweile zu uns nehmen. Ein kompletter Verzicht auf Zeit oder ein teilweiser Verzicht mit Cheat Days können helfen, sich darüber klar zu werden. Zudem ist es sinnvoll, entsprechende Lebensmittel erst gar nicht einzukaufen.

 

Um mengenmäßig zu reduzieren, sind kleinere Teller hilfreich. Für die Lebensmittelauswahl beim Einkauf kann man sich am Nutri-Score orientieren, um gesündere Alternativen innerhalb einer Produktgruppe zu finden. Und: Öfter mal selbst machen – zum Beispiel einen Joghurt nehmen und Obst reinpürieren. Das ist besser, als einen fertigen Fruchtjoghurt zu kaufen, wo in der Regel große Mengen Zucker zugesetzt sind.

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