Eine neue Studie hat das sogenannte Adipositas-Paradoxon widerlegt. Übergewichtige Menschen mit einer Herzkrankheit haben keine besseren Überlebenschancen als Menschen mit normalem Gewicht.
Eine neue Studie hat das sogenannte Adipositas-Paradoxon widerlegt. Übergewichtige Menschen mit einer Herzkrankheit haben keine besseren Überlebenschancen als Menschen mit normalem Gewicht.
Von Sven Stein
02.05.2023
Bildquelle (Bild oben): iStock / dmphoto
Es klingt absurd, doch Studien warfen immer wieder die Behauptung auf: Menschen mit Übergewicht hätten ein geringeres Sterberisiko bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Normalgewichtige. Eine neue Studie, die jetzt im European Heart Journal veröffentlicht wurde, räumt mit dieser Annahme auf. Eine Gruppe internationaler Forscher konnte zeigen, dass das sogenannte Adipositas-Paradoxon nicht existiert.
Das Adipositas-Paradoxon entstand aus der Beobachtung, dass Menschen mit Übergewicht und Fettleibigkeit zwar ein höheres Risiko haben, eine Herzkrankheit zu erleiden, aber dass sie diese Erkrankung anscheinend auch besser überleben können als Menschen mit normalem Gewicht. Angeblich profitierten Menschen mit einem Body Mass Index (BMI) von 25 kg/m2 oder mehr von diesem Vorteil. Dazu gab es verschiedene Erklärungsversuche, zum Beispiel, dass zusätzliches Körperfett einen gewissen Schutz vor weiteren Gesundheitsproblemen und Tod bietet, wenn schon Herzprobleme aufgetreten sind. Die Fettleibigkeit sei daher beispielsweise gut für Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz und einer verringerten Auswurfleistung des Herzens. Angeblich kamen sie seltener ins Krankenhaus. „Wir wussten, dass dies nicht stimmen konnte und dass Fettleibigkeit eher schlecht als gut sein musste“, sagt Prof. John McMurray von der Medizinischen Kardiologie der Universität Glasgow, der die aktuelle Studie leitete.
„Wir vermuteten, dass ein Teil des Problems darin bestand, dass der BMI ein schlechter Indikator dafür ist, wie viel Fettgewebe ein Patient hat“, erklärt Prof. McMurray. Daher berechneten die Wissenschaftler nicht nur den BMI (Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße in Meter zum Quadrat) von Patientinnen und Patienten, sondern berücksichtigten auch andere Körpermaße. So ermittelten sie den Umfang der Taille, das Verhältnis von Taille zur Körpergröße und Taille zur Hüfte.
In der Studie konnten die Mediziner dann zeigen, dass der vermeintliche Überlebensvorteil übergewichtiger Menschen verschwindet, wenn statt des BMI das Verhältnis von Taille zur Körpergröße genutzt wird. Dafür analysierten sie die Daten von rund 8400 Patientinnen und Patienten mit einer Herzinsuffizienz. Dabei kam heraus: die Personen mit dem meisten Körperfett hatten im Vergleich zu den Personen mit dem wenigsten Fett ein um 39 Prozent höheres Risiko, wegen der Herzinsuffizienz im Krankenhaus zu landen. Die Studie zeige, dass es kein Adipositas-Paradoxon gibt, wenn bessere Methoden zur Messung des Körperfetts verwendet werden, stellte Prof. McMurray fest. Eine Adipositas sei tatsächlich mit einem schlechteren Krankheitsverlauf verbunden, nicht etwa mit einem besseren.
„Fettleibigkeit ist ein Risikofaktor und eine treibende Kraft für Herzinsuffizienz“, erklärt Prof. McMurray. Das Übergewicht sei nicht gut – im Gegenteil: bei Patienten mit Herzinsuffizienz und verminderter Auswurfleistung des Herzens ist es sogar schädlich. In der Vergangenheit hätten die Patientinnen und Patienten wegen der vermeintlichen Schutzwirkung Sorge gehabt, ihr Gewicht zu reduzieren. Heute sei klar, dass die Adipositas das Problem ist.
Die Forscher planen nun weitere Studien, um zu beweisen, dass ein Gewichtsverlust die Situation der Patientinnen und Patienten verbessern kann.